2016: Gut Flug! – Zur Geschichte des Taubensports in Bad Westernkotten

von: Lorenz Leonhardt; in: Jahrbuch 2016, Reihe: Unsere Vereine (Folge 12)

Diese Begrüßung ist in Bad Westernkotten Vergangenheit. Die drei Brieftaubenvereine „Siegerlust“, „Hellwegbote“ und „Tempo“ gibt es nicht mehr. – Ein kleiner Rückblick.

I. 1952 – eine Momentaufnahme
Es ist Freitagabend im April 1952. Unter dem Vordach des Holzschuppens von Theo Coböken, dem Vereinsvorsitzenden, treffen sich die Brieftaubenzüchter von „Hellwegbote“ (gegründet 1923) zum Einsetzen ihrer Renner. Der 1. Preisflug der Saison steht an.
Hier werden die Tauben der einzelnen Züchter in Listen eingetragen mit Ringnummer, Vereinsnummer, Jahrgang und Preisgeldgruppe.
Dasselbe geschieht bei Josef Schäfermeier, dem Vorsitzenden von „Siegerlust“ (gegründet 1926). Zu dieser Zeit gibt es in Westernkotten, einer Hochburg des Taubensports, zwei Vereine mit ca. 30 aktiven Züchtern.
Nach der Registrierung der Tauben wird der volle Taubenkorb von jedem Züchter auf das Fahrrad geschnallt und ab geht’s nach Lippstadt zur Gastwirtschaft Kampeter in der Hospitalstraße. Dort auf dem Hinterhof ist die Zentrale der Reisevereinigung. – Ein Betrieb wie auf dem Jahrmarkt.
Jedem Verein wird ein Tisch zugewiesen, an dem ihren Tauben ein Gummiring angelegt wird. Die Nummer des Gummirings wird dann in die zuvor angelegten Listen eingetragen.
Somit trägt jetzt jede Taube einen Metallring, der ihr in der zweiten Lebenswoche aufgezogen wurde und für jeden Flug einen auswechselbaren Gummiring.
In großen Körben werden bis zu 100 Tauben eingesetzt und zum nahegelegenen Güterbahnhof gebracht. Hier sorgt der Flugleiter für Verpflegung und Abtransport der Tauben zum Startort, dem Auflassort. Die Auflassentscheidung liegt in der Verantwortung eines zertifizierten Flugleiters. Dieser hat sich beim Wetterdienst erkundigt, ob auch sicheres Flugwetter auf der Strecke herrscht. [Heute werden die Brieftauben mit einem Speziallastwagen (Kabinenexpress) zum Auflassort gefahren.]
Der Zeitpunkt des Auflassens der Tauben wird den Züchtern auf einer Tafel im Fenster des Vereinslokals bei Kemper und Dietz angezeigt. So kann sich jeder Taubenfreund ungefähr ausrechnen, wann mit der ersten Taube im Heimatschlag zu rechnen ist. Eine Taube kann bei guten Bedingungen durchgehend eine Stundengeschwindigkeit von 100 km erreichen [heute sogar noch mehr]. Beim Eintreffen im Heimatschlag wird der Taube der Gummiring abgezogen, in eine kleine Metallhülse gelegt und in die dafür vorgesehene Öffnung einer sogenannten Taubenuhr gegeben. Durch Drehen der Walze in der Uhr wird ein Abdruck der Uhrzeit auf einem Papierband getätigt. Die Uhren können 30 Hülsen aufnehmen und werden nach dem Flug unter Aufsicht im Raum der Reisevereinigung geöffnet und ausgewertet. Das Ergebnis wird in einer Preisliste festgehalten, die jedem Züchter zukommt. [Heute wird die heimkehrende Taube schon auf dem Läufer elektronisch erfasst.]
Die Reisevereinigung Lippstadt besteht aus 20 Ortsvereinen mit über 200 Züchtern und durchschnittlich 4000 Reisetauben. Sie hat eine Ausdehnung von Langenberg bis Anröchte, von Erwitte bis Sassendorf.
In einer Versammlung aller Züchter im Frühjahr wurden für das Alttaubenfliegen die Richtung und 14 Auflassorte, für das Jungfliegen 6 Auflassorte mit Kilometerangabe in einem Reiseplan zusammengefasst. Die Endflüge im Reiseplan weisen oft eine Entfernung um die 1000 km aus, ab 500 km konnten sie als Bezirksflüge zählen, die dann von mehreren Reisevereinigungen ausgeflogen wurden.
II. Und heute? – Kein Taubenverein in Bad Westernkotten hat überlebt
Noch immer gibt der phänomenale Orientierungssinn der Tauben Rätsel auf – er richtet sich wohl nach Sonne, Sternen und dem Magnetfeld der Erde. Schon erstaunlich für ein so kleines Geschöpf, über Hunderte, ja Tausende von Kilometern zurück in den Heimatschlag zu finden.

Von den zuletzt drei Taubenzuchtvereinen in Bad Westernkotten (der dritte, Tempo, wurde 1964 gegründet, Vorsitzender war Heinrich Leonhardt) hat keiner überlebt. – Woran liegt das? – Mal abgesehen vom altbackenen Image des Brieftaubensports, ist die Beschäftigung mit den „Rennern der Lüfte“ für manche nur noch gefühlt ein Hobby. Das ist ein Geschäft, und für manche auch ein schmutziges. Seit den fünfziger Jahren hat sich einiges getan im Taubensport: Höher, schneller, weiter heißt die Devise. Tauben sind Leistungssportler geworden.
Zunächst haben die Züchter die Tauben aufgeteilt in Zucht- und Reisetauben, die Reisetauben wiederum in Männchen und Weibchen. Mit den Männchen fliegen sie eine sogenannte Witwerschaft. Dahinter verbirgt sich, dass die Taubenpärchen die Woche über getrennt und erst am Tag vor dem Flug wieder zusammen gelassen werden. Die Folge ist eine gesteigerte „Sehnsucht“, den Heimatsschlag wieder zu erreichen. Die treuen Vögel bleiben in der Regel ein Leben lang mit dem gleichen Partner zusammen. Taubenweitflügel nutzen diese Gefühle aus – zur Leistungssteigerung.
Die männlichen Reisetauben werden abgesondert trainiert, oft in abgedunkelten Vorschlägen gehalten und erhalten genau abgewogenes hochwertiges Reisefutter. Dem Trinkwasser werden aufbauende Pülverchen beigegeben. Trotzdem sterben jedes Jahr während der Wettflüge immer wieder viele Tauben einen qualvollen Tod durch Dehydration, Erschöpfung, Verletzungen oder Angriffe von Greifvögeln. Hinzu kommen Geschäfte mit den Tauben, die bis nach China reichen. Manche sagen: Die Unschuld hat der Taubensport schon lange verloren. – Bei diesem Aufwand, finanziell und auch zeitlich, aber auch vor dem Hintergrund dieser Veränderungen, verwundert es nicht, dass die Taubenzüchter Nachwuchssorgen haben.
Der Verband deutscher Brieftaubenzüchter mit Sitz in Essen wurde 1884 gegründet. Zum Verband gehören zurzeit etwa 8000 Vereine. Hochburgen des Taubensports sind Belgien, die Niederlande und Deutschland, hier besonders das Ruhrgebiet.
110.000 Mitglieder hatte der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter 1960, circa 40.000 sind es heute, 30 Züchter hatte Westernkotten. Nur einer ist geblieben, der sich Erwitte angeschlossen hat.
III. Schöne Erinnerungen
Vorbei ist die Zeit einer umfassenden Ortsausstellung, unterstützt von allen ansässigen Züchtern. Oder das Fachsimpeln am Abend nach dem Flug in den Vereinslokalen Kemper, Dietz oder der Spänebar. Vergessen das Zusammensein mit Taubenfreunden am Schützenfestmontag aus Erwitte Lipperode Geseke. Da kommt insbesondere bei den alten Züchtern schon etwas Wehmut auf.

Zeittafel zur Geschichte des Taubensports in Bad Westernkotten
1.7.1923: Gründung des Vereins „Hellwegbote“ im Gasthof Kessing, Am Ehrenmal. Erster Vorsitzender wird Theo Coböken
1.8.1926: Gründung des Vereins „Siegerlust“, ebenfalls im Gasthof Kessing. Erster Vorsitzender war Franz Lüning.
1952: Mehr als 30 aktive Taubenzüchter in Westernkotten
17.11.1964: Gründung des Vereins „Tempo“ in der Gaststätte Schäfermeier, Bruchstraße („Spänebar“).
31.12.. 2000: Zum Ende des Jahres wird der Taubenverein „”Hellwegbote” aufgelöst.
2.11.2003: Mit einem gemütlichen Abend im Café Gerling beschließt der Taubenverein „Tempo” seine Auflösung. Als einziger aktiver Züchter war Heinrich Leonhardt verblieben, der sich dem letzten noch verbliebenen Verein „Siegerlust” anschließt. Insgesamt nur noch 4 aktive Züchter im Ort.
2016: Auch der Verein Siegerlust stellt seine Aktivitäten ein. Verbleibende Züchter schließen sich Nachbarvereinen an.
[Zu allen drei Vereinen finden sich Beiträge zur Entstehungsgeschichte usw. im Heimatbuch von 1987 „Bad Westernkotten. Altes Sälzerdorf am Hellweg“]