1989: Erinnerungen an die Schulzeit in (Bad) Westernkotten

Von Wolfgang Marcus [in: Aus Kuotten düt und dat 1989, Nr. 15 und 16]

Am 14. April 1988 kam ein Kreis von neun Personen (im Alter von 32 ‚bis 70 Jahren) in Bad Westernkotten zusammen, um ein paar Erinnerungen aus der Schulzeit auszutauschen.

In ungeordneter Form sind einige hier wiedergegeben:

„Bei Fräulein Strachotta haben viele unserer Vorfahren erst Hochdeutsch gelernt. Mein Onkel Theo erzählte immer, dass sie am Anfang mit der Aufforderung „Nun Kinder, steht mal auf“ nicht viel Erfolg hatte, Erst als es hieß „N’u stott doch mohl upp“, trat der gewünschte Erfolg ein.”

„Früher: (noch im Jahrgang 1912) hatten auch die Jungen bis zum Schuleintritt noch. Kleidchen an. Unser Papa hat erzählt, dass es dann mit den hinten geknöpften Hosen enorme Schwierigkeiten gab, so dass die Mitschüler einem beim Aufknöpfen behilflich sein mussten“,

„Unsere Mutter. erzählte: „Da hatte auch einer aufgezeigt in der Stunde, „Was willst du denn,“ rief die Lehrerin; „Ik mott pissen”, schallte es ihr da entgegen. Da wäre die Lehrerin bald explodiert. Alle mussten dann gemeinsam nachsprechen, wie es richtig heißt: „Ich möchte bitte hinaus“.

„Der Turnunterricht bei Fräulein Strachotta sah oft folgendermaßen aus: Wir wanderten alle zusammen zum Schäferkamp. In Höhe des Lebensmittelgeschäftes Mücher (Deimel) hielten wir an. Alle Schüler mussten dann so lange auf einem Bein stehen bleiben, bis die Lehrerin aus dem Laden wieder herauskam. Sie hatte eine Tüte Klümpkes gekauft und verteilte sie an die Schüler, die das Auf-einem-Bein-Stehen so lange ausgehalten hatten. Dann ging es zurück zur Schule und der Turnunterricht war beendet“.

„Ich erinnere mich, dass uns Fräulein Strachotta immer nachhaltig vor Läusen gewarnt hat. So erzählte sie von einem Mädchen, das so viel Läuse hatte, dass diese das Mädchen hinter Wiesen Wall getragen haben. Wir haben es natürlich geglaubt und riesige Angst vor den Läusen gehabt”´.

„Wir kannten zu Hause keine Läuse. Aber als ich 1937 in die Schule kam, da hatte ich sie auch, Mit Läusekamm, Sabadell-Essig, und anschließend ein Kopftuch um, wurde den Plagegeistern zu Leibe gerückt. Hin und wieder kamen Fürsorgeschwestern aus Lippstadt und „guckten die Köpfe nach“.

„Wenn wir gut in der Schule waren, bekamen wir von Fräulein Strachotta Kuchen-Krümmel, Die hatte sie in einer Tüte im Pult und wir durften nach vorne kommen und die Hand aufhalten.“

Vielen ist noch in Erinnerung, dass Fräulein Strachotta meist mit auf dem Rücken verschränkten Armen umherging. — In der Klasse, auf dem Schulhof und später als sie pensioniert war, auf dem Trottoir (Bürgersteig von Jochheims bis Schröers).

„In den Pausen marschierten die Lehrer auf und ab über den Schulhof, Die besonders strengen passten höllisch‘ auf, dass nicht zu wild Fangen gespielt und gerauft wurde, Beliebte Spiele in den Pausen waren: Verstecken, Ballschlagen, Kreisspiele, Hüpkern oder:

Steinchen, spiel verstecken.“

„Steinchen, spiel verstecken

in des Kindes Hand;

woll’n die Elisabeth necken,

Elisabeth komme bald,

Ich suche den Versteckenstein,

Oh, wie klingelt es,

oh, wie bimmelt es,

in des Kindes Hand”.

Ein beliebter Abzählvers war:

„Fui maket koinen langen Mist un diu bist.”

Oder: „Machet auf das Tor, machet auf das Tor, es kommt ein goldener Wagen;

was will er, will er denn, was will er, will er denn?

Er will Charlotte holen — nach Polen !!!“

und:

„Es geht eine Zipfelmütz in unserm Kreis herum.

Drei mal drei ist neune, du weißt ja, was ich meine,

drei mal drei ist neun mal zehn,

Zipfelmütz bleib stehn — bleib stehn!

Sie rütteln sich, sie schütteln sich,

sie werfen die Beine hinter sich,

sie klatschen in die Hand —

wir beiden sind verwandt.”

„Ab und zu hatten wir das Glück, dass während der Pause gerade eine Brautmesse beendet war; dann liefen wir natürlich zur Kirchentür hin, um das Strick zu spannen, In den Jahren wurden noch Groschen geworfen, und es gab ein großes Balgen. Oft ließen die Lehrer dann die Pause vorzeitig beenden, und wenn es klingelte, mussten wir uns schnell in Reihe und Glied klassenweise aufstellen, und es ging zurück in das Schulgebäude”.

Geschlagen wurde von den Lehrern früher oft und viel, Einmal hatte die Klasse in Abwesenheit des Lehrers Blödsinn gemacht. Da mussten wir alle auf den Flur. Der Lehrer stellte sich mit einem Stock hinter die Klassentür und alle mussten an ihm vorbei. Wer Glück hatte, kam zwischen 2 Schlägen durch“.

„An einem Tag war unser Lehrer mal besonders zornig. Wutentbrannt schlug er mit der Faust auf das Pult und leider auch auf das Tintenfass, Die Tinte spritzte ihm nur so um die Ohren. Er eilte hinaus, um sich zu reinigen, Aber als er wieder reinkam, wagte niemand zu lachen.“

„Stündliches Wechseln der Unterrichtsfächer gab es nicht, Oft hatten wir den ganzen Vormittag nur rechnen und, wenn es nicht klappte, gab’s auch Überstunden für alle“.

„Nachsitzen war an der Tagesordnung — oft schon für geringe Vergehen.“

„Besonders in Rage geriet der Lehrer‚ wenn ihm Vergehen wie Vogelnester-Ausnehmen gemeldet wurden. Dann musste der Übeltäter nach vorne kommen und.es gab, eine: ordentliche Tracht auf den Hosenboden.“

„Wir haben mal mit Lehrer Probst einen Ausflug zur Badeanstalt nach Erwitte gemacht. Es war eine große Hitze, und als wir aus dem Grünen Weg (gegenüber der Badeanstalt) kamen, stürmten die Jungen voller Freude. Auf das zu erwartende kühle Nass auf die Badeanstalt zu. Aber wir hatten uns zu früh gefreut, Zur Strafe mussten wir uns wieder in Reihe und Glied aufstellen und zurück ging.es in Richtung Westernkotten. Unterwegs durften wir dann noch Heilkräuter sammeln.”

„Beim Stichwört. Badeanstalt fällt mir ein, dass wir auch gerne in der Gieseler badeten, besonders in „Öfflers Kolk“ (so benannt, weil dort die Gieseler an Öfflers Fredegrasgarten vorbeifließt). Von den Eltern wurde es jedoch nicht gern gesehen. Es wurde immer gewarnt und gesagt „Vom Baden in der Gieseler kriegt man einen Buckel, Ausschlag oder andere Krankheiten.“

„Im Krieg hieß es einmal, die Amerikaner hätten blaue Raupen (wohl als biologisches Kampfmittel) vom Himmel gesprüht. Herr Lehrer Probst versprach für jeden Fund 5 Mark. 2 Jungen, die einen langen Schulweg bis zur B 55 hatten, fanden auf dem Schulweg ein grünes Exemplar und, um schnell Geld zu verdienen, tauchten sie es In das Tintenfass. Der Lehrer voll des Lobes wollte schon das Portemonnaie zücken, wenn er nicht schnell einen Blick in das Spiritusglas geworfen hätte. Hier hatte sich das seltene blaue Exemplar wieder in ein normales grünes verwandelt.”

„Bei Lehrer Schäfers mussten wir im Winter manchmal zum Sportplatz. Und dann haben wir im Schnee mit unserem Körper und Händen Adler gemacht. Ein beliebtes Spiel im Turnunterricht war auch „Hahnenkampf auf einem Bein.”

„Als Lehrer Schäfers in Westernkotten anfing und der Klasse vorgestellt werden sollte, fragte der Hauptlehrer: „Wer weiß denn schon, wie dieser Lehrer heißt?“ — Stolz meldete sich ein kleines Mädchen und meinte überzeugt: „Kleiner Lehrer” — Der Hauptlehrer musste sich das Lachen verbeißen, bekam dabei aber fürchterlich große Nasenlöcher. Wir haben immer gesagt, „da könnte man einen Heuwagen drin wenden.“

„Wenn eine Lehrperson Namenstag hatte, wurde am vorhergehenden Nachmittag die Klasse mit bunten Girlanden und Blumen geschmückt. Auf das Pult wurde ein dicker Gartenblumenstrauß gestellt und an die Klassentafel mit bunter Kreide „Vivat, vivat Herr Lehrer (oder Fräulein Lehrerin)” geschrieben.

In den Kriegsjahren und danach malten wir auch eine schöne Torte an die Tafel, Später sollen auch echte Torten von den Schülern gebacken worden sein. Wenn die Namenstags-Person dann in die Klasse kam, wurde ein Lied gesungen und Gedichte aufgesagt.”

„Schulausflüge führten zu Sehenswürdigkeiten in der näheren Umgebung, z.B. nach Schwarzenraben, zum Schloss und zu den Fischreiherhorsten sowie nach Overhagen oder zum Bullerloch oder zur Pöppelsche, In den Jahren nach dem Krieg ging es auch schon mal zum Kahlen Asten oder zum Hermannsdenkmal. Um den Durst auf den Ausflügen zu löschen, gab uns die Mutter süßen Himbeersaft mit und eine doppelte Portion Butterbrote, Schnuckereien oder Sprudel kannten wir in unserer Schulzeit nicht.”

„In den Kriegsjahren und danach haben wir oft in den Schulstunden Heilkräuter in der Feldflur gesammelt; Ackerschachtelhalm auf dem Erlenhof, Lindenblüten an der verlängerten Bruchstraße und Kamillenblüten im Lipp’schen. Außerdem wurden mit den Lehrpersonen Kartoffelkäfer abgesucht (im Westerfeld, im Lipp’schen und hinter dem Hellweg zum Domhof hoch sowie auf den Feldern entlang der Salinen (wo jetzt der Kurpark ist)”.

„In den fünfziger Jahren haben wir manchmal mit Lehrer Gunkel Bäume im Kurpark gepflanzt. Lehrer Gunkel, der ein großer Naturfreund war, hat uns auch dazu angehalten, beim Abgang aus der Volksschule zur Erinnerung einen Baum zu pflanzen. Vom Geburtsjahrgang 1935/36 (Schulentlassung 1951) wurde zunächst ein Baum an der Gieselerbrücke (am Weg zum Lipp’schen) gesetzt. Da er aber nach einiger Zeit einging, pflanzten diese Schüler nochmals eine Kastanie am Südwall und setzten einen großen Findling, den die Jungen aus der Gieseler geholt hatten, daneben.“

„Ich bin 1930 in die Schule gekommen. Jeden Morgen vor Schulbeginn konnten wir den Tornister in der Schule abstellen, dann ging es erst in die Messe. Und wehe, einer ging nicht rein. Vor der Kirche stellten wir uns klassenweise auf, dann ging es gemeinsam rein. Bevor es in die Bänke ging, bekreuzigten wir uns alle im Gang mit einem lauten „Gelobt sei Jesus Christus“.

„Nachdem ich in der Messe gewesen war, fiel mir ein, dass mein Zeugnis nicht unterschrieben war, Obwohl es verboten war, nach Hause zu laufen, bin ich schnell losgesaust. Unsere Mama hat es dann schnell unterschrieben. Um die Tinte zügiger zu trocknen, habe ich es über den Herd gehalten. Zu meinem Schrecken schrögelte so die ganze Seite an. Nur unter Tränen war ich zu bewegen, noch an diesem Morgen in die Schule zu gehen und das Zeugnis vorzulegen.“

„Ich erinnere mich noch immer an die Schulspeisung. Diese wurde aus Lebensmitteln gekocht, die die Amerikaner nach dem Krieg nach Deutschland schickten, Meistens gab es Haferflockensuppe mit Rosinen drin. Die Hausmeistersfrau kochte jeden Morgen unten im Schulkeller einen großen Waschkessel voll. Flüchtlingskinder, Kinderreiche oder die, denen es finanziell nicht so rosig ging, wurden damit gespeist. Gut belegte Butterbrote, die die einheimischen Kinder mit in die Schule brachten, wurden oft gegen einen Schlag aus dem großen Topf getauscht.”

„Als wir Ende März 1945 aus der Schule entlassen wurden — die Amerikaner standen ja quasi schön vor der Tür — kriegten wir unsere Zeugnisse, die Noten waren nur auf kleine Zettel geschrieben, unten im Kohlenkeller der Schule — sozusagen aus Sicherheitsgründen …“