1974: Schröther, Rudolf, Umfluten, u.a. Weihe

[Auszug aus dem Aufsatz: Schröther, Rudolf, Die Lippe und die Umfluten in der Stadt Lippstadt, HB 1974, S .177-182 [Auszug: 180- 182, Weihe betreffend]

WEIHE UND SÜDLICHE UMFLUT

Neben der Lippe mit Umfluten und Schifffahrtskanal gibt es indessen in Lippstadt noch einen Wasserlauf, der seine eigene Geschichte hat, die Weihe. Sie zweigt jetzt bei Bad Westernkotten von der Gieseler ab und mündet in Lippstadt in die südliche Umflut an der Unionstraße. Die Verbindung mit der Gieseler hat man wahrscheinlich erst nach 1630 künstlich hergestellt. Vorher wird die Weihe als natürlicher Wasserlauf nur zur Entwässerung der Äcker und Wiesen zwischen Bökenförde und Lippstadt gedient haben.

Eine Vergrößerung der Wasserführung durch Ableitung von Gieselerwasser war aus drei Gründen erwünscht. So wurde der nutzbare Durchfluss für die an der Weihe liegende Börnicke Mühle vergrößert. Die Mühle lag an der jetzigen Unionstraße; der Stau wurde noch vom Drahtwerk der Westfälischen Union genutzt. Außerdem wurden mit dem Wasser der Weihe die südlichen Festungsgräben eingespeist, schließlich diente es zu Feuerlöschzwecken und zum Abtransport von Unrat. Zu diesem Zweck hatte man anfangs offene und später überdeckte Gräben in den Straßen der Stadt hergestellt, in die das Wasser eingeleitet und zur Lippe abgeleitet wurde. Sie hießen gleichfalls Weihen. Daraus wurde Löschwasser und wahrscheinlich auch Brauchwasser für untergeordnete Zwecke entnommen, aber auch Regenwasser und das gesamte Abwasser abgeleitet. An der Unionstraße ist noch so eine Zuleitung erkennbar, die dort als eiserne Rinne über die südliche Umflut nicht gerade zur Verschönerung des Stadtbildes beiträgt.

FÜR DIE SCHLOSSGRÄFTE IN OVERHAGEN

Da das Wasser der Gieseler in Overhagen besonders für di e 55es erforderIich war‚ hat diese künstliche Ableitung eines Teiles davon zu Streitigkeiten geführt, worüber schließlich am 9. Oktober 1678 ein Vergleich abgeschlossen wurde. Darin werden die in den Straßen der Stadt Lippstadt verlaufenden Gräben oder Weihen „rivalis“ genannt. Weil auch an der Weihe Neuplanungen vorgenommen wurden, ist dieser Vergleich zwischen dem Schloss Overhagen und den Bürgern Lippstadts sicher lesenswert, weshalb er hier im Urtext gebracht wird (die „Einführung” ist ein fast amüsantes Exempel für den breit ausladenden Kanzleistil jenes Jahrhunderts):

„NICHT ALLEIN SEINEN CURS AUF LIPPSTADT“

„Zu wißen sey hiermit:

Demnach wegen des Flüßleins Weydenaw, oder Gieseler genandt: „als solches im Cöllnischen Territorio entspringt, und nicht  allein gerade seinen Curs auf Lippstadt zur Speisung dessen Graben, und auf den Straßen, hergehenden rivalis, auch einer davor gelegenen Lehen Mühlen, die Börnikker Mühle, nimt, sondern auch deßen, nechst dem Kötter Bruch her, zwischen West und Norden, nach Overhagen zu Behuf derselbigen Hause, an und zugehöriger Mühlen laufenden Abfluss hat: „zwischen Herrn Drosten und Obristwachtmeister Beckmann und deßen Bruder, auch der Stadt Lippe Eins, und dem Herrn von Schorlemer zu Overhagen, gedachten Hauses Besitzern andern Theils, einige Irrungen dahero entstanden, dass allerseits zu obernannten Mühlen und der Stadt nothdürftige quantität dieses Waßers sonderlich bey trockener Sommerszeit praetendieret werden wollen, und zwar lippischen Theils mit Zusperrung und Zudammung, Overhagischen Theils aber mit  Eröfnung des Abflusses,  und Wegräumung zu dessen Sperrung eingelegter Pfähle, gestalt disfalts beyde Theile auf alt hergebrachte Gerechtsamkeit Competirenden Natürlichen Zu- und Abflusses besagten Waßerleins deßen quasi Besitz, und des Endes angezogenen Beweißthums sich berufen, darüber jedoch zur Verhütung weiterer Streits und Ungelegenheit, auch zwischen beyderseits Churfürstl. Churfürstl. und Hochgräfl. – Landesherrschaften besorglich entstehender Verdrießlichkeit, dieser privat Nützung, und differenthen halbers, sich zum gütlichen Vergleich, und Entschiedung veranlaßt haben; Dass dahero mit Vorwißen S. S, Churfürstl. Churfürstl Durchl. Durchlaucht zu Cöllen und Brandenburg auch Ihro Hochgräfl. Gnaden zur Lippe zu gütlicher Abhelf- und Hinlegung dieser Sachen vorangeregter geschritten worden. Allergestelt dann des Endes in Beyseyn zweyer Churfürstl.-Cöllnischer, und Brandenburgischer Deputirten den 16/6 Monats Oktobris des 1676sten Jahres in repräesenti auf den Mahlplatz und zwar vornehmlich, der Herr Obrister, und Couverneur der Vestung Lippstadt, Freyherr von Pöllnitz als interponent und Schieds Freund, dann auch der Herr von Schorlemmer zu Overhagen eins, und Herr Drost Beckmann, auch Lippstädtscher Seiten Herr Bürgermeister und Syndicus anders Theils: als particular intereßenten, erschienen, und sich daselbst eingefunden, den Augenschein eingenommen, und auf gütliche allerseits gepflogene Unterredung, eingenommene information, und gehaltene Conferentzien absonderlich aber auf kräftiges Zusprechen und Vermittelung wohlgem. Herren Obristen und Gouverneur. Die Sache, mit ausdrücklicher von den Herrn Deputirten gethaner Außesetzung der zwischen denen Benachbahrten Churfürstl. Churfürstl. und Hochgräfl. Herrschaften an diesem Ort habender territorial quaestion, auch zwischen der Stadt Lippe, und denen Köttern obschwebender anderwertiger Streitigkeit, allerseits Partheyen auf vorgebracht gütliche Vorschläge vollkömlich vermittelt und verglichen werden.

und zwar, dass der Mund von gedachten Abfluss mit eingelegten Schaalen und Pfälen, auf jeden intereßirten Theils Kosten dergestalt zugesetzt werden sollte, dass in selbigen Schaalwerk eine Öffene von 4 Rheinischen Schuhen breit zu ungesperreten continuirlichen Abflusses:_ein Drittheil Waßers nebst dem Kötterbruch vorbey nach der Overhagischen Mühlen verbleiben , und unterhalten werde, damit das Wäßerlein, nicht allein bey seinen defluzu, und die allerseits intereßirten, bei ihrer drauf habenden Fischgerechtigkeit, wie nicht weniger das Haus Overhagen bey dem zu dero Mühlen verglichenen Drittheils erhalten werde, sondern auch gleichfalls der Lippischen Lehn Mühlen, die Börnicker Mühle genannt, und der Stadt Lippe ihre zwey verglichene Drittel Waßers vollkömmlich ungesperrt, und contintirkich zufließen möge.

Nachdemahlen aber vorerwehnter maßen abgeredet worden, dass beyderseits Abschaalen, sowohl bey Sommer, als anderer trockener Zeit und wenn das Waßer klein ist, ein Dritter Theil Waßers an der Ort gelassener Öffnung ad 4 Rheinischer Schuhe auf Oberhagen seinen Lauf habe, und den Fischen der freye Ab- und Aufstich. Als aber bey gegenwärtigen Jahrs erfolgene truckene Zeit sich befanden, daß  vorgl. Abschaalung absonderlich an den Orte der Öfnung von 4 Rheinischer Fußen, dermaßen dem Haus Overhagen nachtheilig gemacht zu seyn Sustiniret werden wollen, dass dorthin auf dessen Mühlen kaum ein halb, Zoll Waßers geflossen wäre; dahero zu Erhalt- und Gewinnung eines dritten Theils Waßers Herrm von Schorlemmer die in solcher Öffene vorhandene ebenmäßige Zuschaalung, zum Theil hinwieder wegräumen, und dem Waßer einen mehreren Abfluß geben laßen, wodurch dann. beyderseits Partheyen in abermahligen Mißverstand gerathen, und daher jedertheil beschwert zu seyn vermeinen wollen. So ist durch nochmahlige gütige Unterredung und obwohlgem. Herrn Obristen Freyherrn von Pöllnitz wohlgemeintete Vermittelung von Neuem beliebet und verglichen worden, dass besagter Öfne, allwo Herr von Schorlemer das vorhin eingeschnittene Schallwerk zum Theil weggehauen, zum Theil aber stehen lassen, auf das Stehen verbliebenes altes oder voriges Werk, ein Schällgen von 4 Zollen hoch ein- und aufgeleget werden solle / :

würde aber über lang oder kurz befunden werden, dass dieser Aufsatz des. neuen Schälgens entweder dem Herrn von Schorlemmer den verglichenen einen dritten Theil; oder dem Herrn Drosten Beckmann, und der Stadt Lippe, die gleichfalls verglichene dritten Theil Waßers nicht gäbe, und ein oder andern Theil dadurch ein gebührendes Waßer benommen würde, oder auch daß durch dieses Flußes beyderseiten habenden Uferen einen Durchbruch geschähe, also gar, daß des Waßers Lauf, auch dahero diesen Contract zuwider, ‚einen oder anderen Theil, nachtheilig wäre; oder sonsten sich wegen Abgang, oder wie es Nahmen haben mag, gebührendes Wasser beschwert befinden würde: So soll ladirerter Theils zu deßen abwend — und Beßerung drüber zuvor dem anderen freundlich zuschreiben, den Mangel selbst beyderseits besichtigen, und mit jedes Verwißen, ohngehindert repariren, und das Waßer dem Vergleich zufolge nach Proportion vertheilen: Sollte aber dasselbe, welchem mehr den seine zugetheilete quota Waßers zufließet, auf notificirte Zeit und Tag entweder selbst, oder durch einen zeugsams Vollmächtigen nicht einkommen oder erscheinen. Auf welchem Fall dem Lodireten Theile bey machten stehe solle, allein dem Mangel zu verbeßern, und alles obigen Vergleich zufolge einrichten zu lassen, welche Unkosten alle drey intereßenten zu bezahlen schuldig seyn sollen. Alles mit Hindansetzung, List und Gefahrde; zu mehrer Vesthaltung deßen ist gegenwärtiger Vergleich receß zweyfach, zu jeden Theils Nachricht ausgefertigt, und durch allerseits Partheyen, nebenst Herrn Obristen und Gouverneur Freyherrn von Pöllnitz eigenhändiger Subcription und Verdrückung dero respective angebohrener Stadt und gewöhnlicher Insiegeln bestärket worden.

So geschehen Lippstadt, den 9. Octobris Anno 1678.

L. S. gez. von Pöllnitz

L. S. gez. We v..Schorlemmer, Herr zu Oberhagen

L. S. Stadt Lippstadt, im Namen bedeye Brüder gez. Ludolf und Heinrich Christoff Beckmann

L. S. Marcus Rettberge.

Aus dem Vertrag geht nun hervor, dass zwei Drittel des bei Bad Westernkotten ankommenden Wassers nach Lippstadt, der Rest nach Overhagen abzuleiten sei. In Trockenzeiten blieb das aber anscheinend ohne Erfolg, da Overhagen dann zu wenig Wasser erhielt.

„DAUERARBEIT AN DEN FLUSSLÄUFEN“-

Zusammenfassend ist festzustellen, dass seit der Gründung der Stadt fast dauernd an den Wasserläufen in Lippstadt gebaut worden ist, Festungsgräben, Umfluten, Mühlen und Wehre wurden errichtet und umgebaut. Insgesamt wurde aber das ankommende Wasser im Laufe der Zeit immer besser und vielseitiger genutzt.

Die letzten Jahrzehnte unseres 20, Jahrhunderts werden jedoch alles verändern. Die Wasserläufe werden z. B. andere Querschnitte erhalten oder verschwinden, der Mühlenbetrieb wird voraussichtlich weitgehend eingestellt sein und an die Stelle der Schifffahrt tritt ggf. noch mehr Kanusport. So mag dieser kurze Rückblick zugleich der Schlussstrich unter die fast acht Jahrhunderte alte „Geschichte der Lippe in Lippstadt“ sein.