1975: An die Stadt Erwitte übergeben Abschied von einem Amtsbezirk – Die vier Lippegemeinden ausgenommen / Erwitte seit 1856 Verwaltungssitz

Von: Reichmann, Franz, An die Stadt Erwitte übergeben. Abschied von einem Amtsbezirk. Erwitte seit 1856; in: HB 55 (1975), S.15-16;22-24;29-30

[Mit dem 1. Januar 1955 ging im Zuge der kommunalen Neugliederung auch das Amt Erwitte mit seinen Gemeinden, ausgenommen die vier „Lippegemeinden“ (Benninghausen, Hellinghausen, Herringhausen und Overhagen) an die „neue“ Stadt Erwitte über. Amtsdirektor Franz Reichmann gab in seiner Eigenschaft als letzter Hauptverwaltungsbeamter des Amtes Erwitte in der letzten Sitzung der Amtsvertretung am 19. Dezember 1974 einen aufschlussreichen Überblick über „Das Amt Erwitte in Vergangenheit und Gegenwart“. Wir veröffentlichen den Vortrag leicht gekürzt. Er begann mit dem Hinweis auf die Bedeutung des einstigen Königshofes, auf dessen Boden das Amtshaus steht, und mit der Schenkung des Königshofes Erwitte mit allem Besitz und allen Rechten durch Kaiser Konrad II. an Bischof Meinwerk von Paderborn (1027). Vorbemerkung der Herausgeber der Heimatblätter]

Bald nach diesem Ereignis, so führte Amtsdirektor Reichmann u. a. aus, nahm Paderborn die Rechte aus der Grundherrschaft, deren Verwaltung der Fronhotverband war, zum Anlass, dem Erzbistum Köln die Landesherrschaft in unserem Gebiet streitig zu machen. Dieser Versuch misslang zwar, da Köln die älteren Rechte besaß, wurde aber von Zeit zu Zeit immer wieder unternommen. Zur Beilegung des Konfliktes bat man schließlich aufgrund einer Vereinbarung zwischen Köln und Paderborn die juristische Fakultät der Universität Freiburg um ein Gutachten. Die Entscheidung erging 1583 als sog. „Laudum“, wodurch die Landeshoheit über das Erwitter Gebiet dem Erzbischof von Köln zugesprochen wurde. Gleichzeitig wurden aber auch dem Paderborner Bischof das Eigentum an seinen Besitzungen m Erwitte, Westernkotten und Umgegend und die aus dem Eigentum herzuleitenden Rechte bestätigt.

STEUERN UND GLOCKENSCHLAG

Die Verwaltung des Fronhofverbandes hatten lange Zeit die Herren von Störmede, die aber 1316 dieses Amtes enthoben wurden, weil der damalige „Verwalter“ (Meier) des Fronhofes zugleich im Dienst des Kölner Erzbischofs stand, was Paderborn nicht für tunlich hielt. Der Fronhofverband wurde dann aufgelöst und unter Aussonderung des zum eigentlichen Königshof m Erwitte gehörenden Vermögens das Amt (Officium) Erwitte-Westernkotten gebildet. Der Sitz dieses paderbornischen Amtes war zeitweilig Erwitte, später überwiegend Westernkotten. Zu seinen Aufgaben zählte u. a. die Einbeziehung der von den Hörigen an den Bischof zu leistenden Abgaben. Die landesherrliche Verwaltung führte für den Erzbischof und Kurfürsten von Köln der Gograf für das Amt Erwitte, dessen Bezirk wesentlich über das paderbornische Amt hinausging. Ihm oblagen neben der höheren Gerichtsbarkeit auch die Erhebung der Landessteuern und die Wahrnehmung der sonstigen landesherrlichen Rechte, wozu der Glockenschlag, das Geleitsrecht und die Heranziehung zu Hand- und Spanndiensten gehörten.

Wegen der Zunahme der kriegerischen Ver Wicklungen brauchten die Landesfürsten mehr Geld. Da ihr Grundbesitz meist schon verpfändet war, konnten die Einnahmen nur durch Erhöhung der Steuern vermehrt werden. An die Stelle der Gografen traten in Kurköln 1609 die Drostenämter unter einem Amtmann, denen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit ein Richter beigegeben wurde. Der Reichsfreiherr Dietrich von Landsberg m Erwitte erwarb dieses Amt 1643 vom Kurfürsten m Köln. 1650 übertrug ihm der Bischof von Paderborn auch die Verwaltung des paderbornischen Amtes Erwitte-Westernkotten. Durch den von Paderborn bestätigten Rezess (1687) wurde der Bitte der amtshörigen Hofstellenbesitzer entsprochen, sich durch die Zahlung erhöhter Abgaben von der Leibeigenschaft loskaufen zu können. Die Erblichkeit der Güter wurde anerkannt, ebenso das Recht, sie durch Testament auf Fremde übertragen zu können. Dadurch wurde die Bauernbefreiung, die in den alten preußischen Provinzen erst nach den Befreiungskriegen unter schweren Bedingungen Wirklichkeit wurde, im Bereich der Bistümer Köln und Paderborn, zumindest in unserem Raume, ohne große Härten durchgeführt.

Mit der Auflösung des Herzogtums Westfalen fielen das kurkölnische und das paderbornische Amt Erwitte an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt. Die Ämter wurden aufgelöst und kleinere Verwaltungsbezirke, die Schultheißenämter, gebildet. „1816 kam unser Gebiet unter preußische Herrschaft“ erklärte Amtsdirektor Reichmann. „Paderborn hatte ebenso wie Köln alle seine Rechte verloren. Die Verwaltungsorganisation wurde mehrmals geändert. Aus den vergrößerten Schultheißenbezirken wurden einige Jahre später die sog. Bürgermeistereien gebildet. Obwohl Erwitte seit Jahrhunderten Verwaltungszentrum und auch jetzt wieder Mittelpunkt eines Bürgermeistereibezirkes wurde, verblieb der Sitz der Bürgermeisterei m Westernkotten. Auch die 1826 verfügte Verlegung des Verwaltungssitzes von Westernkotten nach Erwitte erfolgte vorläufig nicht. Aufgrund der Westfälischen Landgemeindeordnung von 1856 wurde anstelle der bisherigen Bürgermeisterei wieder das Amt Erwitte gebildet und der seinerzeitige Bürgermeister Anton Schlünder zum Amtmann des neugebildeten Amtes Erwitte bestellt. Seither besteht diese Verwaltungsform unverändert bis auf den heutigen Tag.“

AUS DEM AMT ANRÖCHTE

Außer der Stadt Erwitte und der Gemeinde Bad Westernkotten gehörten zu dieser Amtsgemeinschaft die Gemeinden Eikeloh, Völlinghausen, Stirpe, Weckinghausen, Overhagen, Herringhausen, Hellinghausen und Benninghausen. Mit Wirkung vom 1. April 1928 kamen durch Umamtung vom Nachbaramt Anröchte die Gemeinden des Kirchspiels Horn Berenbrock, Böckum, Ebbinghausen, Horn-Millinghausen, Merklinghausen-Wiggeringhausen, Norddorf, Schallern und Schmerlecke zum Amt Erwitte, so dass der heutige Amtsbezirk 18 Gemeinden mit 16 965 Einwohnern und ein Gebiet von 102,82 qkm umfasst. Sitz der Verwaltung war seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts unverändert Erwitte.

Die Stadt Erwitte gehört als vorfränkische Siedlung zu den frühesten bezeugten deutschen Orten. Durch den von Karl dem Großen um 784 in Erwitte errichteten Königshof trat Erwitte in die Geschichte ein. Das durch die Säkularisation 1803 in Privathand und 1938 m das Eigentum der Stadt Erwitte übergegangene von Grund auf restaurierte Hofhaus (Königshof) diente bis 1967 der Amtsverwaltung und seither bis heute verschiedenen öffentlichen Zwecken der Stadt.

Im Mittelalter war Erwitte auch Sitz eines kurfürstlichen Gogerichts und eines Freistuhl- und Femgerichts. Zum Erwitter Gogericht gehörten zeitweise mehr als 100 Orte, unter ihnen auch die Stadt Lippstadt. Die Bedeutung der mittelalterlichen Gerichtsbarkeit bewirkte, dass 1839 Erwitte Sitz eines Stadt- und Landgerichts wurde, zu welchem Zweck das (1973 einem Brand zum Opfer gefallene) Gerichtsgebäude am Hellweg, der Bundesstraße 1, erbaut wurde. Dieses Stadt- und Landgericht bestand aber nur bis 1845, dem Jahre der Errichtung von Kreisgerichten. Sitz eines solchen Kreisgerichts wurde damals aber die Stadt Lippstadt. Der nachmalige Amtsgerichtsbezirk Erwitte umfasste 15 Gemeinden der Ämter Erwitte und Anröchte. Bedauerlicherweise wurde das Erwitter Amtsgericht schließlich vom Landesgesetzgeber Nordrhein- Westfalen mit Wirkung vom 1.Juli 1069 aufgehoben und der Erwitter Gerichtsbezirk dem Amtsgericht Lippstadt zugeordnet.

Erwitte war Jahrhunderte hindurch Sitz berühmter Adelsgeschlechter, so der Ritter von Erwitte, der Grafen von Landsberg, Freiherren von Droste, Freiherren von Hoerde und der Herren von Bredenoll. Aus dieser Zeit sind erhalten das Stammschloss der Grafen von Landsberg, die sog. „Burg Erwitte“, die heute der Bundesrepublik Deutschland gehört, sowie das Schloss der Herren von Droste und Hoerde, das bereits seit 1859 Krankenhaus (von Hoerde’sches Marienhospital) ist. Das geschichtlich bedeutsamste Bauwerk Erwittes ist die romanische Pfarrkirche, die – mit Prof. Homberg gesprochen – einst „Fürnehmste Kirche des Herzogtums Westfalen“.

Die wesentlichen Teile dieses denkmalwerten Bauwerkes stammen aus dem 12. Jahrhundert und der überragende, mächtige, bis zur Brandkatastrophe am 2. Oktober 1971 „schiefe“ Turm aus dem 13. Jahrhundert. 1939 bis 1961 wurde die Kirche unter der Leitung des Landeskonservators durchgreifend restauriert. Ein weiteres Kleinod Erwittes ist das 1716/1717 als kurkölnisches Gerichtshaus erbaute Rathaus am Marktplatz.

Mit Urkunde des Oberpräsidenten der Provinz Westfalen vom „Mittsommertage“ 1936 wurde der Gemeinde Erwitte u. a. mit Rücksicht auf ihre elfhundertjährige ruhmreiche Geschichte und auf ihre Entwicklung zu einem Gemeinwesen mit vorwiegend städtischem Charakter das Recht verliehen, die Bezeichnung „Stadt“ zu führen. Ihre Einwohnerzahl betrug Ende 1974 5539.

IN BAD WESTERNKOTTEN

Während die ersten Ansiedlungen der heute 2757 Einwohner zählenden zweitgrößten Amtsgemeinde Bad Westernkotten bereits auf vorgeschichtliche Zeiten zurückgehen, ist die „Villa Coten“ zuerst in einer Urkunde der Herren von Padberg vom 16. Januar 1238 erwähnt, welche die Schenkung eines Morgens Ackerland an die Kirche in Cappel zum Inhalt hat. In späteren Urkunden ist für die Gemeinde auch vereinzelt die Bezeichnung „Salzkotten“ zu finden, weil man früher die Salzhäuser allgemein Cothen oder Kotten nannte. Die Bezeichnung Westerenkoten (heute Westernkotten) hat sich später eingebürgert. Sie ist darauf zurückzuführen, dass der Paderborner Bischof von jeher die Stadt Salzkotten besaß. Um die wahrscheinlich bedeutenderen Salzstätten auf dem hiesigen paderbornischen Besitz von denen Salzkottens unterscheiden zu können, wurde von Paderborn für die Gemeinde gemäß ihrer Lage die Bezeichnung Westerenkoten eingeführt.

In der Soester Fehde (1444 — 1449) wurden von Lippstadt aus, das mit Soest verbündet war, eine Reihe von Ortschaften, u. a. auch die um Westernkotten gelegenen Orte Aspen, Hockelheim, Swick und Ussen, vollkommen zerstört. Demzufolge veranlasste der Bischof von Paderborn die Bewohner der zerstörten Ortschaften, sich ebenfalls in Westerenkoten niederzulassen. Diese Umsiedlung fand um 1500 statt, 1506 wurde die vergrößerte Siedlung durch Wälle befestigt. Diese Zusammenlegung und die spätere Einbeziehung von Wehringhausen bestimmten die heutige Ortslage der Gemeinde. Die Wallbefestigung konnte nach Einführung der Feuerwaffen aber den Ort nicht davor bewahren, dass in den folgenden Jahrhunderten immer wieder Kriegsvölker Westernkotten plünderten und brandschatzten.

Auch schwere Seuchen (Pest und Cholera) sind in der Gemeindechronik vermerkt, von denen die 1635 aufgetretene Pest am verheerendsten wirkte und die Bevölkerung bis auf 18 vernichtete. Die bis auf den heutigen Tag zur Verehrung der Gottesmutter und des hl. Altarssakramentes von den Westernköttern getreulich gehaltene Lobetagsprozession entspricht einem Gelübde aus jener Zeit.

Mit großer Zähigkeit führten die Westernkötter einen fast 300 Jahre währenden „Kampf“ um die Erhebung ihrer Kapellengemeinde zur selbständigen Pfarrgemeinde, die sie schließlich im Jahre 1902 gegen den Widerstand der Erwitter Pfarrherren errangen.

Der 1845 erbohrten heilkräftigen Bad Westernkötter Thermalsole von 23 Grad C ist es zu verdanken, dass diese neben der mehr und mehr zurückgehenden Salzgewinnung in zunehmendem Maße Heilzwecken dienstbar gemacht und dass sich so im Verlaufe des vergangenen Jahrhunderts das einstige Sälzerdorf zum Kurort entwickeln konnte. Die heimische Siedesalzerzeugung war der wachsenden Steinsalzgewinnung einfach nicht mehr gewachsen. Daran änderte auch nichts — wie man nachlesen kann — die Arbeitsamkeit der Westernkötter, der es zuzuschreiben ist, dass bereits 1832 67 000 Zentner Salz auf der Lippe verladen wurden und 1869 allein 40 000 Zentner aus Westernkotten kamen. Ein entscheidendes Verdienst um den Ausbau des einstigen Sälzerdorfes zum zeitgemäßen Kurort hat die 1950 gegründete kommunale Badegesellschaft, die Solbad-Westernkotten-GmbH.

Noch im gleichen Jahre wurden aus dem Besitz des Markgrafen von Meißen die Saline, die Solequelle mit einer Schüttung von 90.000 Liter in der Stunde, drei Gradierwerke und ein Grundbesitz von 30 Morgen sowie von der ortsansässigen Familie Wiese das Kurhaus mit Nebengebäuden erworben. Der ständig wachsende Kurbetrieb erforderte m den folgenden Jahren die Erweiterung des Bade- und Kurmittelhauses, die Errichtung einer Kurhalle und eines Konzertsaales, den Bau eines modernen Kurmittelhauses, die Vergrößerung und den weiteren Ausbau des neu angelegten Kurparkes, die Anlegung von Wegen und sonstigen Erholungsanlagen, die Erbohrung einer zweiten Solequelle auf einem von der Badegesellschaft zu Eigentum erworbenen Grundstück u. a. m. In Anerkennung dieser gemeinsam mit der Gemeinde geleisteten fruchtbaren Aufbauarbeit hat die Landesregierung mit Urkunde vom 7. Juli 1958, die der Gemeinde durch den Regierungspräsidenten m Arnsberg anlässlich der 700-Jahr-Feier überreicht wurde, der Gemeinde das Recht verliehen, den Namen „Bad Westernkotten“ zu führen.

IN BENNINGHAUSEN GESTIFTET

Benninghausen hat wegen seiner geografischen Lage als Übergang über die Lippe nach dem Münsterland schon früh eine besondere Bedeutung gehabt. Von einer alten Geschichte kündet der frühromanische, als Wehrturm gebaute 1000jährige Turm der heutigen Pfarrkirche, die bereits die dritte am Platze ist. 1240 trat für den Ort ein Ereignis ein. Ritter Johann von Erwitte und seine Gemahlin Hildegunde stifteten zum Heil ihrer Seelen das Zisterzienser-Nonnenkloster und schenkten diesem alle ihre Liegenschaften in Benninghausen.

Im Laufe der Zeit allerdings verlor das Kloster seinen eigentlichen Charakter und wurde zu einem adeligen Damenstift. Auch ging die Verbindung mit dem Zisterzienserorden verloren, so dass schließlich der Kölner Erzbischof bis zur Aufhebung des Klosters (1804) die Oberleitung übernahm. Die Zisterziensernonnen haben die alte Kirche, die sie 1240 vorfanden, abreißen und eine neue bauen lassen, die den Dorfbewohnern, dem großen Dienstpersonal und den Chor- und Laienschwestern Platz bot. Diese Kirche wurde aber im Laufe der nächsten 300 Jahre baufällig und 1514 durch die Äbtissin Anna von Ketteler unter Beihilfe der Dorfgemeinde durch eine neue, die heutige Pfarrkirche, ersetzt. Das Bauwerk findet das hohe Lob der Kunstsachverständigen wegen seiner außerordentlich schönen Raumwirkung. Es wurde 1957/58 unter Leitung des Landeskonservators restauriert.

Das Klostergebäude hat 1527 die Äbtissin von Oheimb [?] niederlegen lassen und ein neues errichtet, welches wir heute noch in seiner imposanten Größe vor uns haben. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss (1803) begann für das Kloster der zweite Abschnitt seiner Geschichte. Es wurde aufgehoben‘ und zunächst der Krone Hessen-Darmstadt, 1816 aber Preußen zugeteilt. 1820 ließ Oberpräsident von Vincke das Kloster als Landarmenhaus für Westfalen einrichten. Sehr bald darauf wurde hier auch ein Arbeitshaus gegründet. 1891 verlegte man das Landarmenhaus nach Geseke, wo es heute als Fachkrankenhaus für Geriatrie weitergeführt wird. Nach einer recht wechselhaften Geschichte und Zweckbestimmung während des vergangenen Jahrhunderts wurde schließlich 1960 auch die Auflösung des Landesarbeitshauses eingeleitet und inzwischen verwirklicht. Das heutige Westfälische Landeskrankenhaus Benninghausen dient überwiegend Geistes- und Alterskranken. In ihm befand sich auch jahrelang ein Landeserziehungsheim, das aber 1966 nach Dorsten verlegt wurde.

ALTES KIRCHSPIEL HELLINGHAUSEN

Mit Recht können aber auch die Gemeinden des alten Kirchspiels Hellinghausen auf ihre denkmalswerten Bauten als Zeugen hervorragenden Schaffens ihrer Vorfahren stolz sein. Das Kleinod des Dorfes Hellinghausen ist die 1780 erbaute Kirche mit ihrem romanischen Westturm. Sie wurde 1957—1961 unter Mitwirkung des Landeskonservators instandgesetzt.

Zur Gemeinde Herringhausen gehört das im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts entstandene Wasserschloss des Freiherrn von Schorlemer, das wegen seiner großzügigen, symmetrischen Gesamtplanung gerühmt wird. Besonders genannt werden muss auch das vom Freiherrn von Schorlemer 1691 erbaute Schloss Overhagen, in dem seit 1962 das „Colleg Schloss Overhagen“ zu Hause ist.

Zu den ältesten Siedlungen der engeren Heimat gehört auch die Kirchspielgemeinde Horn, die sich unter Einbeziehung des Namens ihres zweiten Ortsteiles Millinghausen Horn-Millinghausen nennt. Schon in den Corveyer Traditionen wird im Jahre 823 ein Haufus m Haron erwähnt, der dem Kloster Corvey zwei Unterhöfe mit Kotten und Wäldern schenkte. Es darf als sicher angenommen werden, dass das Stift Meschede, dem der Haupthof Horn unterstellt war, und dessen Gründung zwischen 850 und 875 liegt, bereits eine gelegentliche Seelsorge im alten Haron betrieben hat; Die Pfarrei Horn ist eine alte Mutterpfarre, obwohl sie erst in dem kölnischen Abgabenbuch „Liber valoris“ urkundlich um 1313 vorkommt. Schon die zugehörigen alten Ortschaften Berenbrock, Böckum, Ebbinghausen, Merklinghausen-Wiggeringhausen, Norddorf, Schallern, Schmerlecke (dieses ist durch einen Schenkungsakt Kaiser Ludwigs des Frommen als Ismereleke bereits 833 urkundlich erwähnt) und Seringhausen (im Amtsbezirk Anröchte) sowie die höhere Besteuerung im „Liber valoris“ deuten auf ein hohes Alter hin.

KARGES LEBEN / KEINE INDUSTRIE

Bei der Beleuchtung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Amt Erwitte zeigt das Zeitgeschehen um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, dass unsere Vorfahren länger und härter arbeiten und wesentlich karger leben mussten als wir. Auch in unserer engeren Heimat war es nicht besser als anderswo. Außer der Saline in Bad Westernkotten und zwei Zigarrenfabriken m Erwitte gab es im Amt Erwitte gegen Mitte des 19. Jahrhunderts keine Industrie. Handel und Gewerbe waren nur geringfügig vertreten und darauf abgestellt, den örtlichen Bedarf der Dorfbewohner zu befriedigen. Die 1854 in Betrieb genommene Eisenbahn Paderborn – Hamm berührte zwar in Benninghausen und Horn den Amtsbezirk Erwitte, doch waren die örtliche Lage der Bahnhöfe weit ab von diesen Gemeinden und der mangelhafte Zustand der Verbindungswege nicht dazu angetan, die Niederlassung eines Industrieunternehmens daselbst zu begünstigen. Die ackerbautreibende Bevölkerung war daher im Amtsbezirk Erwitte in einer bedeutenden Überzahl. Die bäuerlichen Familien mit dem männlichen und weiblichen Hilfspersonal zählten 1S61 2625 Vollbeschäftigte bei einer Gesamtbeschäftigtenzahl von 3250. Von den 625 sonstigen Beschäftigten war der größte Teil auch noch nebenbei landwirtschaftlich tätig.

Dank dem Bau der Warstein-Lippstädter Eisenbahn, der heutigen Westfälischen Landeseisenbahn, die am 1. November 1883 das erste Mal zur Haar hinauffuhr, erhielten auch Erwitte und Bad Westernkotten Anschluss an das Verkehrsnetz des Deutschen Reiches. Handelsbeziehungen zum Industriegebiet wurden angeknüpft und Selbsthilfeeinrichtungen der Landwirtschaft ins Leben gerufen, so die Molkereigenossenschaften in Erwitte und Benninghausen 1891, in Horn 1892, die 1964 mit Erwitte fusionierte, die Filiale der Westfälischen Kornverkaufsgenossenschaft Soest in Erwitte 1891, 1951 die Landwirtschaftliche Trocknungsgenossenschaft in Erwitte und schließlich 1954 die Gemüsebau- und Absatzgenossenschaft Bettinghausen-Horn, die jedoch 1968 mit der gleichnamigen Genossenschaft m Soest fusionierte. Schon 1865 war die Sparkasse der Ämter Erwitte und Anröchte mit dem Sitz m Erwitte und in der Folgezeit die Spar- und Darlehnskassen in Bad Westernkotten, Benninghausen und Horn- Millinghausen sowie eine Zweigstelle der Volksbank Lippstadt in Erwitte entstanden.

Bis zum ersten Weltkrieg stieg in Erwitte zwar die Zahl der Zigarrenfabriken auf vier, die der Tabakarbeiter auf rund 300, dagegen ging die Salzgewinnung in Bad Westernkotten immer mehr zurück. Überörtliche Bedeutung erlangten nur die Brennereien Siedhoff in Schmerlecke und Beckmann in Böckum (beide 1867 gegründet).

Der unglückliche Ausgang des Krieges 1914/18 bewirkte, dass die Erwitter Tabak- und Zigarrenfabriken sämtlich schließen mussten. In dieser Notzeit wurde jedoch der Grundstein zur Entwicklung einer gesunden örtlichen Industrie gelegt. 1924 wurde in Benninghausen ein Sauerstoffwerk gegründet, dem 1953 ein Propangas- Großvertrieb folgte. In Erwitte wurde 1919 das erste Kalkwerk errichtet, das leider bereits 1921 m Konkurs ging, vom Zementsyndikat angekauft und stillgelegt wurde. Auch den in dieser Zeit in Erwitte gegründeten Chemischen Werken war keine lange Lebensdauer beschieden.

11 000 TONNEN AM TAG

Amtsbürgermeister a. D. Maurer, seit 1934 Erwittes Ehrenbürger, der 1920 mit der Verwaltung des Amtes Erwitte betraut worden war, erkannte bald, dass man der herrschenden Arbeitslosigkeit durch Leistung von Notstandsarbeiten allein nicht abhelfen konnte. Das ausgedehnte Kalksteinvorkommen in der Gemarkung Erwitte, für die Errichtung von Kalk- und Zementwerken zu nutzen und die Ansiedlung leistungsfähiger Betriebe zu fördern, sah er daher als wichtigste Aufgabe an. So entstanden 1926 bis 1930, 1950 und 1964 die heutigen sieben Werke. Sie stellten zunächst Kalk- und Naturzement her und hatten einen schweren Stand, ihre jungen Betriebe gegen den Widerstand des Zementsyndikats zu behaupten. In dem mehrjährigen Ringen um ihren Bestand wurden die Werke von der Stadt Erwitte tatkräftig unterstützt. Beim Ausbruch des zweiten Weltkrieges 1939 waren sie in günstiger Aufwärtsentwicklung. Während des Krieges wurden die Werke stillgelegt bzw. ihre Produktion stark eingeschränkt. Nach Beseitigung der Kriegsschäden konnten sie 1946 die Produktion, die sie bereits vor dem Kriege auf Portlandzement umgestellt hatten, wieder aufnehmen und erheblich ausweiten, so dass die Gesamtproduktionskapazität Ende 1974 bei 11.000 Tonnen lag.

Den nachhaltigen Bemühungen von Rat und Verwaltung der Stadt, die mit der Zementindustrie immer noch vorherrschende wirtschaftliche Monostruktur abzubauen, war durch die Niederlassung einiger beachtlicher Ausgleichsbetriebe — wie einer Armaturenfabrik, eines Asphaltmischwerkes, einer Fabrik zur Herstellung von Betonfertigbauelementen, eines großbetrieblichen Zentralversandlagers — mit insgesamt rund 800 Arbeitsplätzen in der jüngsten Vergangenheit auf dem Wege zur Festigung ihrer kommunalwirtschaftlichen Struktur ein verheißungsvoller Erfolg beschieden.

Eine besonders wirtschaftliche Entwicklung in den zwei Jahrzehnten nach dem Kriege hat, wie erwähnt, auch Bad Westernkotten genommen. Bad Westernkotten ist heute überwiegend auf Kurbetrieb ausgerichtet. So ist die Hälfte aller ortsansässigen Unternehmen dem Heilbad dienstbar, die fast 80 Prozent der gemeindlichen Gewerbesteuer erbringen.

Anders liegen die Dinge bei den meisten nach wie vor landwirtschaftlich strukturierten Gemeinden des Kirchspiels Horn, von denen nur Horn-Millinghausen, Böckum und Schmerlecke dank des ortsansässigen Gewerbes eine verbesserte eigene Steuerkraft haben, so dass der eigentliche „nervus rerum“ des ganzen Kirchspiels der Landesfinanzausgleich im Wege von Schlüsselzuweisungen ist.

Erwähnt werden müssen auch die in den Amtsgemeinden während der zweieinhalb Jahrzehnte nach dem Kriege mit Hilfe von Kreis, Land und Bund sowie auch des Amtes durchgeführten Maßnahmen der allgemeinen Daseinsvorsorge im Bildungswesen, Sport und Freizeitgestaltung, im Gesundheitswesen, in der Wasserversorgung, Ortsentwässerung und des Straßen- und Wegebaues.

Hier seien nur die bedeutendsten aufgeführt. In acht Gemeinden wurden zehn Schulen neu gebaut bzw. umfangreich erweitert. Fünf Kindergärten sind in drei Gemeinden entstanden, ein weiterer ist zurzeit im Bau. In acht Gemeinden entstanden neue Sportanlagen. Die grundlegende Erneuerung und Erweiterung des Marienhospitals m Erwitte wurde mit namhaften Zuschüssen gefördert. Zwei Drittel der Amtsgemeinden erhielten erstmalig eine zentrale Wasserversorgung. In acht Gemeinden gibt es nun eine zentrale Ortsentwässerung, in vier Gemeinden wurden vollbiologische Kläranlagen errichtet. In allen Orten wurden die Ortsstraßen umfassend ausgebaut, darüber hinaus entstanden ..4 [nicht zu entziffern] km land- und forstwirtschaftliche Wirtschaftswege.

Im Amtsbezirk ergab die letzte Volks-, Berufs- und Arbeitsstättenzählung von 1970:

  • Landwirtschaft 479 Betriebe 702 Arbeitsplätze
  • Industrie 25 Betriebe 1174 Arbeitsplätze
  • sonst. Gewerbliche Arbeitsstätten 305 Betriebe 668 Arbeitsplätze
  • Dienstleistungen 182 Betriebe 1200 Arbeitsplätze

insgesamt 991 Betriebe 3744 Arbeitsplätze

Gegenüber diesem Arbeitsplatzangebot gibt es nach der genannten Zählung 6033 ortsansässige Arbeitskräfte, so dass 2289 Erwerbspersonen als Arbeitskraftreserve für eine künftige Strukturverbesserung zur Verfügung stehen.

DIE KOMMENDEN AUFGABEN

Wenn nun das Amt Erwitte mit seinen Gemeinden, ausgenommen die vier „Lippegemeinden“ (Benninghausen, Hellinghausen, Herringhausen und Overhagen), nach über 1oojähriger nutzbringender Existenz einschließlich der Nachbargemeinde Seringhausen mit Wirkung vom 1. Januar 1975 in einer neuen Stadt Erwitte mit einer Fläche von 89,02 qkm und rund 13.000 Einwohnern aufgeht, so steht an der Spitze einer Vielzahl der sich stellenden Aufgaben die Beseitigung der wirtschaftlichen Monostruktur durch Bauleitplanung und Grundstückserschließung für die Niederlassung geeigneter gewerblich-industrieller Ausgleichsbetriebe m Erwitte und der weitere zeitgerechte Ausbau des Heilbades Westernkotten.