2005: Domhof

Der ehemalige Domhof in der südlichen Gemarkung von Bad Westernkotten

Von Wolfgang Marcus, Bad Westernkotten

[Erstveröffentlichung: Marcus, Wolfgang, Der ehemalige Domhof in der südlichen Gemarkung von Bad Westernkotten, in: Lippstädter Heimatblätter 2005, S. 81-88]

. „Ziemlich schockiert“, so beschrieben viele Mitglieder der Heimatfreunde Bad Westernkotten ihren ersten Eindruck, als sie im Herbst 2004 nur noch Bauschutt und eingeebnete Gebäude antrafen. Die Rede ist vom ehemaligen Domhof, einem alten Gutshof etwa 5 Kilometer südlich von Bad Westernkotten, nahe der Pöppelsche. Vor 10 Jahren, im Dezember 1994, war der Hof an das Zementwerk Gebrüder Seibel in Erwitte verkauft worden, das jetzt den Abbruch veranlasste. Mit Schreiben vom 9. Juni 2004 hatte das Zementwerk beim Kreis Soest eine Abbruchgenehmigung beantragt, das gemeindliche Einvernehmen dafür erteilte die Stadt Erwitte am 17. Juni 2004. „Sang- und klanglos, “ so die Heimatfreunde, ging so ein weiteres Stück Alt-Westernkotten verloren.[1]

Anlass aber auch, die Hofgeschichte in kurzer Form Revue passieren zu lassen.

1. Lage, Größe, Naturraum

Der Domhof lag in der südlichsten Spitze der Gemarkung Westernkotten, knapp 2,5 Kilometer südlich der B 1 am Wirtschaftsweg „Zum Domhof“ (früher Steinweg), der gegenüber von „Landhaus 101″ (früher Schulte-Berendwilm)  von der B 1 abzweigt. Damit befand sich der Domhof schon auf der Nordabdachung des Haarstranges. Die Höhe des Geländes dort beträgt knapp 150 Meter über NN, somit lag der Domhof ca. 70 Meter höher als Bad Westernkotten.

Der Domhof bildete mit Scheunen, Stallungen, Wohnhäusern und Nebengebäuden ein Gehöft, das sich um einen Innenhof gruppierte. Näheres ist dem Grundriss[2] zu entnehmen.

Zum Domhof gehörte eine Gesamtfläche  von 103,20 Hektar, die sich im Jahre 1990 auf 11 Flurstücke verteilte. Dabei besaß die größte Parzelle sogar eine Fläche von 34 ha! Alle Ländereien des Domhofes lagen gut arrondiert um das Gehöft herum in der Flur „In der Erwitter Mark“ sowie „Im Hüppner Feld“. Im Süden gehörte auf weite Strecke die Böschung der Pöppelsche (Flur „Im Freiberge“), die Talaue der Pöppelsche („Im Dahl“) sowie jenseits der Pöppelsche, bereits in der Gemarkung Eikeloh gelegen, ein Flurstück in der „Kahle Mark“ dazu.

Etwa 80 Prozent der Flächen waren Anfang der 1990er Jahren Ackerflächen, gut 10 Prozent Grünland (vorwiegend im Pöppelschetal), knapp 10 Prozent Wald (Pöppelschetal) und etwa 2 Hektar Hof-, Gartenland- und Wegeflächen.[3]

Die Bodengüte der Ackerflächen war nicht besonders hoch. Die Bodenwerte lagen bei etwa 70 in Teilen der Hüppner Mark und bis unter 40 in der Erwitter Mark.

Besonders problematisch war für den Hof der kalksteinhaltige Untergrund, der das Niederschlagswasser auf Äckern und Wiesen schnell versickern lässt und so eine Bewirtschaftung extrem schwierig machte. „Wenn der Domhof genug Wasser hat, dann versinkt der Weringhoff unten im Dorf bereits in den Fluten“, habe man früher immer gesagt, kann sich Karl-Josef Schulte, der letzte Bauer auf dem Hof, erinnern.[4]

2. Der Domhof im Mittelalter und in der frühen Neuzeit

Der Domhof ist wahrscheinlich der übrig gebliebene Teil der einstigen „Villa hoensberg“ oder „Hunsberg“, die erstmals im Jahre 1207 urkundlich erwähnt wird[5]. Dazu führt Bergmann[6] aus: „Im späten Mittelalter stehen die Einkünfte aus dem Zehnten in Hunsberge dem Kloster Mariengraden in Köln zu. Wegen der erheblichen Entfernung hat das Kloster den Zehnten an Everhard Vlecko  verpachtet. Da mit diesem offenbar Streitigkeiten bestehen, überträgt das Kloster den Zehnten 1207 zusammen mit dem Zehnten von Bökenförde, Suberninchusen, Richerswich und Vulveringhusen dem Soester Bürger Everhard Amphora. Bei dessen Erben verbleibt der Zehnte bis zum Jahre 1231, in dem Probst und Kapitel von Mariengraden den Zehnten dem Patroclistift in Soest auftragen.“

Damit kann der Hof auf eine nahezu 800-jährige Geschichte zurückblicken.

Über die ersten Eigentümer liegen keine genauen Angaben vor. Wahrscheinlich gehörte der Domhof bzw. die Ansiedlung Hunsberg in dieser Zeit bereits dem Grafen von Arnsberg, der im Hellwegraum reich begütert war. „Nach einer im Liber jurium et feudorum des Kölner Erzbischofs Dietrich von Moers (1414-1463) tradierten Notiz ist Goiswin Slyngworm 1406 mit einem arnsbergischen Lehnsgut in Hoensberg ausgestattet worden.“[7] Schulte-Berbühl führt dazu aus: Als im Jahre 1368 die Grafschaft Arnsberg an das Erzbistum Köln verkauft wird, weil der letzte Graf Gottfried IV und seine Frau Anna von Kleve keine Kinder hatten und die Grafschaft nicht an den verhassten Grafen Engelbert von der Mark fallen soll, wird vorher ein Güterverzeichnis angelegt, dass in den nächsten Jahren fortgeschrieben wurde. Danach erhielt Goswin Slingworm – die Familie ist ein Zweig der Familie von Ketteler mit Sitz in Altengeseke – zu Arnsberg am 13.1. 1406 das Gut die Hoensberg (heute Domhof) und eine Hufe ackerbaren Landes in Eikeloh zu Lehen.[8]

Seit 1492 hat der Domhof für mehr als 300 Jahre dem Kloster Cappel gehört, das den Hof von Pächtern bewirtschaften ließ.[9] Probst Pelegrinus von Pickenbroich (1488 bis 1504) erwarb ihn für das Kloster.[10] Nach einer Urkunde im Staatsarchiv Detmold[11] war es eher eine Schenkung an das Stift, und zwar des Knappen Johann Pykinbrock (Verwandter des Probstes?) mit Datum vom 8.10.1492.

Im Schatzungsregister von 1565 wird als Pächter des Hofes „der Dumme uff dem Hoenberghe“ genannt[12]. Der Hof wird mit einer Steuer von 2,5 Gulden belegt und liegt damit in der Gruppe der Höfe, die am meisten zu zahlen haben: Nur drei Höfe weisen eine höhere Veranlagung auf.

Vom Familiennamen „Dumme“ leitet sich mit ziemlicher Sicherheit der Name Domhof (also eigentlich „Dummen Hof“) ab.

In einem Dienstgeldregister  von 1575 – Dienstgelder waren Hand- und Spanndienstpflichten, die in Geldzahlungen abgegolten wurden – wird „die Dummesche“ mit einer Zahlung von 6 Ort aufgeführt[13], und 1606 heißt es in einem Hand- und Leibdienstregister wieder „die Dummesche“.[14]

Im Schatzungsregister von 1682, dem ersten, das für die Zeit nach dem 30jährigen Krieg vorliegt, wird „Der Schulte aufm Hoensberg“ genannt, der den dritthöchsten Steuerbetrag des Dorfes Westernkotten zu entrichten hat[15]. 1728 wird der Hof unter „Hoinsberg“ wieder mit dem dritthöchsten Steuersatz herangezogen.[16]

Für 1745 erfahren wir wieder den Eigennamen des Hofpächters: in diesem Jahr tritt „Peter Könighaus, Schulte zum Honsberg“ in den Erwitter Männerschützenverein ein.[17] Im Jahre 1752 sind zwei Kinder dieses Peter Könighaus, Anton, 13 Jahre, und Anna Gertrude, 11 Jahre, im Tal der Pöppelsche, die plötzlich Hochwasser führte, südlich des Domhofes zusammen mit zwei Jugendlichen „elendig vertrunken“. Daran erinnert ein kleines Steinkreuz im Tal der Pöppelsche.[18]

In einem Kopfschatzregister von 1759[19] werden genannt: „Dummenhöffer, ein Ackersman, seine Frau, ein voller Knecht, ein Junge, eine volle magdt“. Auch im „Kopfschatz Knechte und Mägde“ von 1773 heißt es wieder nur „Dummenhöfer“. Im Viehschatzregister von 1781 erfahren wir etwas über den Viehbestand des Hofes: 4 Pferde, 6 Kühe, 9 Schweine, 76 Schafe, 1 Esel und 1 Geis. [20]

3. Der Domhof im 19. Jahrhundert

1803 war der Domhof an Becker gt. Schulte Hoensberg verpachtet. Er musste damals jährlich folgende Leistungen für das Stift Cappel (bzw. dessen Rechtsnachfolger, die Probstei Eikeloh) erbringen:

je 24 Scheffel Roggen, Gerste und Hafer

240 Börden Reiserholz

2 Spanndienste

50 Reichstaler sog. Gewinngeld alle 12 Jahre zur Verlängerung der Pacht.[21]

Mit der Säkularisation 1803 verloren die kirchlichen Eigentümer, so auch das Stift Cappel, ihre Rechte. Die Pächter mussten fortan ihre Zahlungen an den Staat, den Fürstlichen Rentmeister Schlinkert in Anröchte, zahlen. In den folgenden Jahren ermöglichten die Regierungen von Hessen-Darmstadt (bis 1816) und anschließend Preußens im Zuge der sog. Bauernbefreiung, dass die früheren Pächter alle noch ausstehenden Pachten durch Zahlung des 18- bis 20fachen des Jahresbetrages ablösen konnten und so zu Grundeigentümern wurden.

Für die Domhof-Eigentümer waren die Ablösungsbeträge aber anscheinend schwerlich zu erwirtschaften. Denn im 19. Jahrhundert hatte der Hof zahlreiche verschiedene Eigentümer, die unter der Last der Ablösebeträge immer wieder verkaufen mussten.

Einige sind zumindest namentlich bekannt.

1829 wird in einer Quartierliste Friedrich Becker als Besitzer des Domhofes genannt [22].

Für 1834 ist aus den Pfarrakten ein Gutsbesitzer Brockhoff nachzuweisen.

Für 1859 liegt ein Pferdeverzeichnis vor. Darin wird „Nackhardt, Gerhardt gnt. Domhöfer“ mit insgesamt 5 Pferden aufgelistet.[23] 1861 tritt ein „Van Gember, Gutsbesitzer zu Domhoff“ in den Erwitter Schützenverein ein. Für 1867 liegt eine Einladung an den Gemeindevorsteher von Westernkotten zur Versteigerung des im Eigentum des Gutsbesitzers Wilhelm Böhmer stehenden Domhofs vor. Der Wert ist auf 23.341 Reichstaler geschätzt. [24]1880 tritt ein „Carl de Greek, Gutsbesitzer zu Domhoff“, in den Erwitter Schützenverein ein.[25]

Am 15.2.1886 behandelt der Gemeinderat von Westernkotten einen Antrag des „Gutsbesitzers Gerholt zum Domhof“ auf Instandsetzung des Weges vom Dorf zum Domhof. Der Antrag wird abgelehnt, da der Weg „für den öffentlichen Verkehr hinreichend gut sei.“[26]

Im Patriot vom 6.8.1898 findet sich folgende Mitteilung: „Westernkotten. 4. August. Bei der Zwangsversteigerung des Gutes ‘Domhof‘ war der Letztbietende die Ww. Director Kühne zu Münster mit der Summe von 126.110 Mark.“

4. Seit 1899: Der Domhof im Eigentum der Familie Schulte

4.1. Die Familie Schulte

Die Ursprünge der Familie Schulte liegen in der Ortschaft Eickhoff, heute ein Ortsteil von Büren, etwa 3 Kilometer  östlich von Rüthen-Langenstraße und 3 Kilometer südlich von Steinhausen. Noch heute dominiert der „Schultenhof“, Steinhäuser Straße 15, die Ortschaft, die ihren bäuerlichen Charakter weithin bewahrt hat. Der ursprünglich „Eickhoff“ genannte Hof gab dem jetzigen Dorf den Namen. Bis 1812 gehörte das Siedlungsgefüge Eickhoff zum Dorf Steinhausen und wurde erst dann eine rechtlich selbständige Gemeinde.

1857[27] wurde der heutige Schultenhof, der vorher an anderer Stelle im Dorf gelegen hatte und wahrscheinlich durch Brand zerstört wurde, an der heutigen Stelle neu errichtet. Die Erbauer, die auch im Gedenkstein über dem Haupteingang des Wohnhauses zu finden sind, waren Clemens Schulte (*11.1.1819, + 21.12.1902), Sohn des Alois Schulte und seine Frau Gertrud vom Söbberinghoff, und Theresia Eickhoff (*29.5.1833, +14.6.1907), die vom Eickhoff, Gemeinde Oberbergheim, Pfarrei Allagen, stammte [eine Eickhoff heiratete nach Eickhoff!]. Ihre Hochzeit hatte am 15.11.1853 stattgefunden.

Aus ihrer Ehe gingen 11 Kinder hervor:

  • 1. Heinrich (starb im Alter von 2 Jahren etwa 1856)
  • 2. Antonia, (* 11.4.1856, verheiratet in Langenstraße auf dem Hof Werminghausen, +1.3.1951)
  • 3. Eberhard (*27.10.1858, + 26.11.1951, der Hoferbe, Großvater der heutigen Eigentümerin, Marie Theres Stuhldreier geb. Schulte)
  • 4. Anna (*8.12.1860, + 23.8.1923, Elverfeld)
  • 5. Karl (*3.4.1863, +21.4.1953, Pastor in Bödefeld)
  • 6. Anton (*1.12.1865, + 11.9.1949, der spätere Eigentümer des Domhof)
  • 7. Josef (*17.2.1868, + 22.5.1920, Sanitätsrat in Geseke)
  • 8. Wilhelm (*11.9.1871. +18.1.1904; blieb auf dem Hof)
  • 9. Clementine
  • 10. Paul (*29.6.1877, + 22.11.1959; Tierarzt in Essen)
  • 11. Klemens (*28.8.1879, + 9.2.1963; Forstmeister in Hofheim)

Über die genauen Zusammenhänge, wie Anton Schulte Eigentümer des Domhofes wurde, konnte ich folgendes in Erfahrung bringen:

Anfang 1899 stand folgende Mitteilung im Patriot: „Westernkotten. 16. Feb. Das in der Nähe gelegene Gut Domhof in Größe von 420 Morgen ist durch Kauf in den Besitz des Gutspächters Herrn Anton Schulte-Eickhoff auf Aßhoff [unklar!] übergegangen. Am Donnerstag erfolgt die Übergabe.“[28]  Im Heimatbuch von 1987 wird noch erwähnt, dass Anton Schulte den Hof „vom Paderborner Priesterseminar“ erwarb.[29]

Anton Schulte (*1.12.1865, + 11.9.1949) aus Eickhoff hatte bereits 1896  Josephine Vonnahme (* 1870, + 5.7.1950) geheiratet und bekam mit ihr 10 Kinder[30]:

– Wilhelm (geb. ca. 1897, kurz danach verstorben)

– Friedrich (geb. ca. 1898, kurz danach verstorben)

– Anton (geb. 1899, 1917 im 1. Weltkrieg gefallen)

– Karl (geb. 1901, gestorben 1963, der spätere Hoferbe)

– Thea (*1903, später verheiratet mit Valentin Seng)

– Josef (*05, verheiratet mit Hedwig Hollenbeck-Bals)

– Josephine (später Dr. med.)

– Anna (als Kind gestorben)

– Paul (verheiratet mit Thea, geb. Huster)

– Maria (verheiratet mit Wilhelm Westerschulte aus Liesborn).

Unter seiner umsichtigen Leitung verzeichnete der Hof erstmals seit vielen Jahrzehnten wieder einen klaren Aufschwung (vgl. dazu 4.3.), so dass der Hof 1930 folgenden Viehbestand aufweisen konnte: 8 Pferde, 62 Rinder, davon 21 Kühe, 42 Schafe und 38 Schweine.[31]

Anton Schulte bekam beim Beschuss des Hofes in den letzten Kriegstagen einen Bauchschuss. Er verstarb1949, seine Frau Josephine im Jahre 1950.

Bereits Jahre vorher hatte ihr Sohn Karl den Hof übernommen. Karl war nur 4 Jahre zur Volksschule nach Westernkotten gegangen, danach wurde er auf dem Domhof von einem Privatlehrer unterrichtet. Karl heiratete am 21.4.1948 Katharina Struchholz (Spunier) aus Erwitte (* 27.2.1919). Aus ihrer Ehe gingen drei Kinder hervor:

– Josefa (* 1949)

– Beate (*1952)

– Karl-Josef (* 1955)

In seine Zeit fällt unter anderem die Anschaffung des ersten selbst fahrenden Mähdreschers im Jahre 1959. Karl führte den Hof bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1963. Seine Witwe Katharina heiratete im November 1965 wieder, und zwar Heinrich Laumeier aus Bentler.[32] Bis 1970 hatte der Hof noch Milchkühe. In den 1980er Jahren wurde die Viehhaltung auf Mastschweine und Mastbullen mit Güllehaltung umgestellt. 1990 hatte der Hof etwa 700 Schweine und 60 Bullen.

1992 verstarb Heinrich Laumeier. Schon Jahre vorher hatte der Sohn aus erster Ehe, Karl-Josef, die Leitung des Hofes übernommen und bis zum Schluss bzw. zum Abbruch des Gehöftes inne.

4.2. Beschäftigte auf dem Hof 
Erinnerungen von Ursula Vedder geborene Hofmann
Die Familie Schulte wird von Anfang an im Haushalt und in der Landwirtschaft Bedienstete angestellt haben. Die Erwitterin Ursula Vedder, geb. Hofmann, erinnert sich:
„ Ich bin im Dezember 1944 auf dem Domhof geboren. Meine Mutter, Anna Hofmann geb. Hansel, geboren 1918, kam aus Rixbeck, ihr Vater war aus Westenholz. Mit 15 Jahren, also 1933, kam sie als Haushaltshilfe auf den Domhof. Mit den Jahren hatte sie sich hochgearbeitet und besaß als Köchin und Wirtschafterin das besondere Vertrauen der Herrschaften. 1943 heiratete sie meinen Vater, Wilhelm Hofmann, geboren 1911 in Bochum-Langendreer,  der bereits seit 1930 auf dem Domhof in der Landwirtschaft tätig war. Als Karl Schulte 1963 starb, hat mein Vater sogar die Landwirtschaft bis zum Eintritt des zweiten Mannes von Frau Schulte hauptverantwortlich geleitet. Bis 1966 haben wir auf dem Domhof gewohnt, bevor wir nach Erwitte zogen und mein Vater Arbeit auf einem Zementwerk fand.
Meine Mutter hat für alle auf dem Hof gekocht. Es gab z.B. drei Mittagstische, die alle im Haupthaus stattfanden: a) im Wohnzimmer speisten die Herrschaften, b) in der Küche die Eheleute Hofmann mit mir und die jeweils angestellten Hausmädchen und c) alle männlichen unverheirateten Arbeiter auf dem Hof in der sog. Jungenstube, die auch sonst als Aufenthaltsraum für die Männer zur Verfügung stand.
Es gab schon eine deutliche Hierarchie auf dem Hof, besonders die alten Schulten legten  immer Wert auf eine gewisse Etikette und wir Kinder mussten in ihrer Anwesenheit „immer besonders artig“ sein. Oma Josephine trug ständig ein langes schwarzes Kleid. Auf der anderen Seite gab es aber auch keine absolute Distanz. So erinnere ich mich, dass die Herrschaften schon kurz nach dem Krieg ein eigenes Auto hatten; und es war selbstverständlich, dass meine Eltern am Sonntag zum Kirchgang – übrigens in Erwitte – im Auto mitgenommen wurden. Und noch anders war es bei uns Kindern: Da wusste man wirklich nicht, wer Arbeiterkind war und wer Kind der Herrschaften war. Zu Verwandtenbesuchen wurde ich z. B. häufig mitgenommen. Die Familie Schulte hatte mehr Kontakt nach Erwitte als nach Westernkotten. In Westernkotten kehrte Herr Schulte schon mal bei „Dietzen Nanni“ ein oder man besuchte die Familie Mönnig auf dem Weringhoff, die Familie Hoppe-Nucke in der Salzstraße .
Wir wohnten bis etwa 1963 im Parterre in dem Haus für Bedienstete, das an der Hofeinfahrt rechts stand. Wir hatten dort zwei Räume, einen Waschraum und ein Plumsklo. Danach sind wir in das Wohnhaus vor dem Tor umgezogen, das 1954 gebaut worden war; hier bekam ich endlich ein eigenes Zimmer
In dem zuerst von uns bewohnten Haus rechts an der Hofeinfahrt wohnte außer uns noch – ebenfalls im Parterre – eine Melkerfamilie, lange Zeit die Familie Balschukat, die ca. 1955 zum Söbberinghoff umgezogen sind. In der Etage über uns – nur über eine Außentreppe zu erreichen – wohnten die Landarbeiter-Junggesellen
Vor dem Krieg hat auf dem Domhof auch noch Herr Josef Reinert mit seiner Familie gewohnt.
Wahrscheinlich die ersten Bewohner des Hauses vor dem Tor war eine Familie Meißner, die ca. 1963 mit 7 Kindern nach Erwitte weggezogen sind. Nachdem wir in diesem Haus von ca. 1963 bis 1966 gewohnt hatten, zog eine Familie Feldewerth ein.
Eine besondere Vorliebe von Frau Schulte war der Blumengarten zwischen dem Haupthaus und dem Bedienstetenhaus. Nördlich des Wohnhauses befanden  sich ein üppiger Gemüsegarten, davor eine Bienenhütte und eine Laube und weiter westlich ein prächtiger Obstbaumgarten.
Für uns Kinder war vor allem die Pöppelsche das Spielrevier. Aber auch der Hof selber machte jeden Spielplatz nach heutigem Muster überflüssig.
1951 kam ich in die Schule, und ich bin von Anfang an mit dem Fahrrad gefahren. Das stellte ich dann am Bredenollhaus ab, später wurde ein Platz hinter der Schule zur Verfügung gestellt. Da meine Mitschüler alle kein Fahrrad hatten, war der Rückweg immer besonders spannend: Fast immer hatte ich bis weit die Aspenstraße hinauf Begleiter, die abwechselnd das Fahrrad fuhren, während alle anderen nebenher liefen.
Mit dem Besuch von Freundinnen war es zu Anfang recht schwer, dafür lag der Domhof zu weit weg vom Dorf. Aber als ich älter wurde, bekam ich häufig Besuch oder fuhr selbst ins Dorf hinunter. Und eine besonders schöne Zeit waren die Ferien, denn dann kamen von vielen Hofbewohnern die Nichten und Neffen. Langeweile kannten wir damals nicht.
Gut erinnern kann ich mich auch noch an den Milchwagen, der täglich mit einem Pferdegespann zur Molkerei fuhr um die Milch abzuliefern, die im Milchkeller rechts am Haupthaus gelagert wurde. Oft brachte der Einspänner in den Milchkannen auch noch Wasser mit, wenn es auf dem Domhof mal wieder knapp wurde. Erst in den 60er Jahren wurde die Milch von  einem  Milchwagen mit dem Trecker abgeholt.[33]

Erinnerungen von Gerhard Chudaska[34]

„Wir, das sind meine Eltern Gustav (*6.6.1910) und Martha Chudaska (*13.4.1911) mit den drei Kindern Gerd (*24.4.1938), Werner (*10.6.1939) und Bernhard (*24.10.1941), stammten aus der Nähe der Kreisstadt Ortelsburg in Ostpreußen. Mein Vater kam gegen Ende des Krieges als Soldat in amerikanische Kriegsgefangenschaft und meine Mutter und wir drei Jungen wurden durch die voranrückende Front und die dramatischen Kriegsereignisse nach Altenburg in Thüringen gespült.

Als mein Vater endlich aus der Gefangenschaft entlassen wurde, schlug er sich bis zu Verwandten nach Gelsenkirchen durch. Diese hatten schon Kontakt zu meiner Mutter in Altenburg  herstellen konnte, so dass mein Vater zumindest wusste, dass wir lebten.

Da mein Vater aus der Landwirtschaft kam, wollte er nicht im Bergbau arbeiten. Er hat sich vielmehr eines Tages eine Landkarte der Umgebung genommen und gesagt: Ich fahre einfach da hin, wo es auf der Landkarte grün ist, da wird es wohl für mich Arbeit geben. So gelangte er mit dem Zug nach Lippstadt. Mit einem Schild auf dem Rücken „Suche Arbeit“ kam er nach Eikeloh, wo er bei dem Landwirt Arens Arbeit fand.

Für das Nachholen seiner Familie war aber eine wichtige Voraussetzung, dass man eine Wohnung nachweisen konnte, und die war in Eikeloh nicht zu bekommen.

Durch Vermittlung des Amtes Erwitte wurden ihm dann zwei Zimmer auf dem Domhof angeboten, und mein Vater hat sie gern genommen, zumal er auch auf dem Domhof Arbeit in der Landwirtschaft bekam. Damit waren auch die Voraussetzungen gegeben, dass wir nachkommen konnten.

Was war das eine Freude, als wir uns nach Jahren der Trennung dann kurz nach der Währungsreform 1948 wieder am Lippstädter Bahnhof in den Armen lagen…!

Unsere zwei Zimmer auf dem Domhof befanden sich links unten im Haupthaus. Der Domhof war für uns der Himmel auf Erden! Die Familie Schulte war sehr zuvorkommend, und die alte Dame sagte nicht selten: ‚Das die drei Chudaska-Jungens aber genug zu essen kriegen.‘ So konnten wir das Zusammensein in der Familie uneingeschränkt genießen.

Ich erinnere mich natürlich auch noch an die Schulzeit in Westernkotten. Zunächst bin ich die etwa 5 Kilometer zur Schule zu Fuß gegangen, aber schon bald hatten wir Kinder aus vielen alten kaputten Fahrrädern ein Neues zusammengebaut, und dann haben wir besonders die lange Abfahrt vom Domhof runter ins Dorf genossen.

Mein Vater fand später Arbeit auf dem Zementwerk. Wir blieben auf dem Domhof bis September 1954. Dann war unser neues Haus in der Fredegrassiedlung in der Eichendorffstraße fertig, und wir hatten wieder ein eigenes Dach über dem Kopf.“

4.3. Verbesserung der Wassersituation und der Wegeverbindung

Der kalksteinhaltige Untergrund, in dem das Wasser schnell versickert, machte die Bewirtschaftung des Hofes immer schwierig. So musste über viele hundert Jahre sogar das Trinkwasser mit Tonnen aus dem Bullerloch fast drei Kilometer nördlich geholt werden. Die erste Verbesserung war deshalb das Anlegen einer großen Zisterne. In schwerster Handarbeit musste eine große Grube in das felsige Gestein geschlagen werden. Sie sammelte das Niederschlagswasser von allen Dachflächen und konnte 150 m³ Wasser fassen, das zur Viehtränkung verwendet wurde. Die Original-Bauzeichnung ist noch vorhanden.

1926 wurde die Wasserversorgung weiter verbessert. In einer kostspieligen Tiefbohrung wurde südlich der Stallungen Trinkwasser in 80 Meter Tiefe erschlossen. Nur noch in trockenen Sommern musste seitdem Wasser zum Tränken aus dem Bullerloch geholt werden.

Anton Schulte wurde Anfang des 20. Jahrhunderts in den Westernkötter Gemeinderat gewählt[35]. 1909 gelang es ihm dann endlich, den Gemeinderat von der kompletten Instandsetzung des Weges zum Domhof zu überzeugen. Für die Gesamtkosten von 4360 Mark war der Gemeinderat sogar bereit, ein Darlehen von 3500 Mark bei der Sparkasse der Ämter Erwitte und Anröchte aufzunehmen.[36]

4.4. Der Hof im 2. Weltkrieg

Eine besondere Bedeutung spielte der Hof auch am Ende des Zweiten Weltkrieges. In den letzten Kriegstagen hatten sich einige Westernkötter aus Angst, im Dorf beschossen zu werden, auf den Domhof begeben. Am 4. April hisste der Besitzer des Domhofes eine weiße Fahne, was eine SS-Streife herbeirief, die Befehl gab, dies zu unterlassen. „Als dies nicht passierte, erhielt der Hof Beschuss aus der Stellung am Erwitter Friedhof; Frau Wieneke (Valhaus) und ein Kind der Familie Peitz kamen dabei ums Leben.“[37]

Rückblick und Ausblick

Viele Westernkötter haben ihre Erlebnisse mit dem Domhof gemacht oder verbinden Kindheitserinnerungen damit. So auch Ludwig Ruf, der sich erinnert, dass früher bei den Erwitter Tannen viele Brombeeren wuchsen, die gerade auch in Kriegszeiten ein begehrtes Ziel der Westernkötter Dorfjungen waren. „Und wenn wir uns richtig satt gegessen hatten, haben wir vor Antritt des langen Rückwegs unseren Durst immer auf dem Domhof gestillt“ [38]

Ähnlich Toni Erdmann: „Die Brombeeren pflückten wir in Milchtüten, die wir über den Arm hängten. Wenn wir zerkratzt und durstig aus dem Pöppelschetal kamen,  gab es auf dem Domhof in der Waschküche immer kühles Wasser aus dem Kran und Oma Schulte hat uns oft noch ein Mettwurstbrot gemacht. Die Brombeeren wurden zu Hause in Gläser eingemacht und später zu Marmelade oder Saft verarbeitet.“[39]

Das war nun alles einmal. Im Heimatverein denkt man darüber nach, ob nicht zumindest eine Hinweistafel an diesen alten Hof und damit einen interessanten Teil der Westernkötter Geschichte erinnert sollte. Das Zementwerk Gebrüder Seibel hat dazu schon seine Zustimmung gegeben.[40]


[1] Patriot 5.11.2004

[2] Aus den Bauakten bei der Stadt Erwitte, Stand: 29.11.1990

[3] Auszug aus dem Liegenschaftskataster, ebd.

[4] in einem Gespräch mit dem Verfasser am 18.1.05

[5] Westfälisches Urkundenbuch VII, Nr. 56

[6] Bergmann, Rudolf, Die Wüstungen des Geseker Hellwegraumes, Münster 1989, S. 116

[7] Bergmann, ebd.

[8] Seibertz Urkunden-Buch Bd. II, Nr. 795, S. 535; vgl. auch Schulte-Beerbühl, Ein Dorf am Hellweg 836- 1986,  Münster 1985, S. 232

[9] Bad Westernkotten. Altes Sälzerdorf am Hellweg, Lippstadt 1987, S. 95

[10] vgl. Heinrich Eickmann, Auf den Spuren der Uranfänge des Bauerntums; in: Lippstädter Heimatblätter 1962, 43. Jahrgang, S.38

[11]zitiert nach Schneider, Manfred, Die Stiftskirche zu Cappel, Bonn 1988, S.221

[12]Bad Westernkotten 1987, S.101 und 104

[13] wie Anm. 9, S.105

[14] wie Anm. 9, S. 106

[15] ebd. S. 110

[16] ebd. S.124

[17] vgl. „Aus Kuotten düt un dat.. Nr.61

[18] wie Anm. 9, S. 478

[19] ebd. S. 127

[20] ebd. S. 129

[21] nach Schulte-Beerbühl, aaO, S. 264, vgl. auch das Heimatbuch von 1987, S. 156

[22] wie Anm. 9, S.140

[23] ebd. S.172

[24] einzelnes Aktenstück im Bestand der Heimatfreunde

[25] Aus Kuotten düt und dat, Nr. 61

[26] wie Anm. 9, S.179

[27] die folgenden Ausführungen basieren auf mündlichen Äußerungen von Marie Theres Stuhldreier geborene Schulte, der Frau des heutigen Eigentümers Wilhelm Stuhldreier, vom 11.2.2005, die mir auch einige schriftliche Aufzeichnungen eines nahen Verwandten überließ. Für alle Unterstützung auch von dieser Stelle herzlichen Dank.

[28] Patriot vom 18.2.1899, siehe auch „Mitteilungsblatt für die Stadt Erwitte“  v. 1.10.1999 „Zwischen den Kirmessen“

[29] wie Anm. 9, S. 96

[30] diese und die folgenden Angaben von Karl-Josef Schulte in einem Gespräch am 18.1.2005

[31] nach: Niekammer’s landwirtschaftliches Adressbuch, B. X, Provinz Westfalen, 1931 [freundlicher Hinweis von Dieter  Tölle v. 23.1.05]

[32] von Heinrich Laumeier wurden auch zwei kleine Gedichtbände herausgegeben: Der Mensch und seine Heimat in Gedichten. Ein Beitrag zur christlichen Lebensauffassung und zur Heimatliebe, Lippstadt (Staats) und Bentler 1961, sowie ein verkürzter Neudruck: mit dem gleichen Titel, Erwitte (Pape)1985

[33] Mitteilung in einem Gespräch am 4.2.2005

[34] in einem Gespräch am 9.2.2005

[35] wie Anm. 9, S. 183

[36] wie Anm. 9, S. 185

[37] Altes Sälzerdorf, aaO, S. 244

[38] wie Anm. 1

[39] in einem Gespräch am 29.1.05

[40] Schreiben an den Verfasser vom 28.2.2005