1965: Baum von vorsintflutlichem Aussehen Die „Kahle Zypresse“ gedeiht in Bad Westernkotten. / In Amerika heimisch

Von Harry Harms (Sundern)

In: Heimatblätter 1965, S. 64

Im Kurpark von Bad Westernkotten gedeihen zwölf „Kahle Zypressen“ (Taxodium distichum). In den Urwäldern der gemäßigten Zone um den ganzen Erdball herum gibt es keine Holzart, die absonderlicher, vorsintflutlicher aussieht als die „Kahle Zypresse“ der Amerikaner, Der Baum ist kahl, das heißt, er ist winterkahl; er wirft seine hellgrünen Nadeln zusammen mit den Maitrieben, an denen sie spärlich eingesetzt in zwei Reihen abgeplättet hängen, im Herbst ab.

Aber in diesem Blattabwurf eines Nadelbaumes, der ja auch allen Lärchen eigentümlich ist, liegt nicht das Absonderliche der kahlen Zypresse, Absonderlich ist der Standort.

Die kahle Zypresse ist eine Wasserpflanze, die mit himmelragenden, bis zu drei Meter dicken Stämmen in Sümpfen bis zu fünf Meter Tiefe steht. Da sollte man es als selbstverständlich annehmen, dass diese Bäume von den Tornados ihrer Heimat, die sich von der‘ Küste des Atlantischen Ozeans entlang in einem Band von rund 150 Kilometer Breite von Philadelphia bis an die mexikanische Grenze hinziehen, leicht umgeworfen werden.

Aber Windbruch in den Taxodienwäldern Amerikas ist nie vorgekommen, auch dann nicht, wenn die benachbarten Kiefernwälder auf trockenem Boden gassenweise zusammengeschlagen wurden. Wie ist diese Standfestigkeit zu erklären? Zum ersten durch den breitrhombischen Wurzelanlauf, zum zweiten dadurch, dass die Wurzeln nach unten hin ein Pfahlgerüst bilden, auf dem die Bäume so sicher wie Wolkenkratzer auf ihren Verpfählungen stehen.

Bei den Zypressen im Kurpark von Bad Westernkotten ist von dem vorsintflutlichen Aussehen noch nichts zu sehen, denn sie sind noch sehr jung. Übrigens sind die kahlen Zypressen im Lippstädter Bereich mehr als „Zweizeilige Sumpfzypressen“ bekannt. Die im Sommer frischgrünen Nadeln nehmen im Herbst, etwa Ende Oktober, Anfang November eine schöne braunrote Färbung an, um dann etwa Ende November abzufallen.

Interessant sind die Atemknies, die bei den Westernkötter Bäumen noch nicht zu sehen sind. Diese Atemknies sind Auswüchse der im sumpfigen Boden flach streichenden Wurzeln, die als Atmungsorgane dienen. In der amerikanischen Heimat werden diese Auswüchse bis zu einem Meter hoch. Da sie hohl sind, wurden sie früher von den Indianern als Bienenkörbe verwendet. Für die Heimatfreunde sei noch vermerkt, dass diese Baumart zur Tertiärzeit, also vor vielen Millionen von Jahren, auch bei uns im Bezirk heimisch gewesen ist,

Wie bereits oben erwähnt, sind sie hier als Sumpfzypressen bekannt. Man sollte aber doch lieber „Kahle Zypresse“ sagen. Denn diese Zypressenart ist ein Baum der Flussufer und Lagunen, in denen das Wasser — entgegen dem Anschein — stets in langsamem Fluss ist. In stagnierendem Sumpfwasser kann die kahle Zypresse nicht gedeihen. Es gibt auch eine wirkliche Sumpfzypresse (Taxodium ascendens), die in eigenartigen, stagnierenden Sümpfen in Florida und einiger benachbarter Staaten vorkommt. Ein Exemplar der letzteren Art steht u. a. im Botanischen Garten Oldenburg.