1981: Dornröschen ist wachgeküsst – SOLE- UND MOORBAD WESTERNKOTTEN BEDEUTEND ERWEITERT

von URSULA HEYN

 [in: Heimatblätter Kreis Soest 1981, S. 86-87]

Hinter der großen grünen Hecke, die den Landschaftspark Westfalen vom Kohlenpott abschirmt, ist ein reizendes Dornröschen wachgeküsst worden: Zwar liegt das Sole- und Moorbad Westernkotten immer noch, wie der Volksmund sagt, zwischen Rüben und Karotten, Landluft umweht die Versicherungsgäste, von LVA und BfA hierher in Marsch gesetzt. Ein zunehmender Strom von privaten Kurgästen wählt die dörfliche Abgeschiedenheit freilich mit voller Absicht.

Das Sanatorium „Solequelle“ in Bad Westernkotten

Bad Westernkotten, auf der grünen Wiese zwischen Lippstadt und Erwitte gelegen, wirbt inzwischen mit der Stille und hat Erfolg damit: Nirgends in weitem Umkreis sind solche Rekorde von Kur-Wiederholungen zu verzeichnen. Kurdirektor Jos. Grumpe gratuliert immer wieder persönlich, wenn jemand zwanzig- oder gar dreißigmal in Bad Westernkotten Genesung und Heilung suchte und fand — Lenins These von der „Abstimmung mit den Füßen“ erfährt hier eine erfreulich positive Variante.

Das neue Kurmittelhaus

Das nostalgische kleine Heilbad, auf echte Westfalen-Art schlicht und ehrlich, ist zurzeit eine Großbaustelle: Bis Herbst 1981 entsteht hier ein Kurzentrum für runde sechs Millionen DM. Bad Westernkottens eisen- und kohlensäurehaltige Thermalsolequelle mit extrem hoher Schüttung von 20 Litern pro Sekunde, ist doppelt so salzig wie die Nordsee. Sie wird in einem großen Thermalbad von 300 Quadratmetern überdachter Fläche und 250 Quadratmetern Freifläche jedem Heilungssuchenden Gesundheit und Wohlbefinden spenden. Der gesamte therapeutische Bereich wird sich dann unter einem Dach befinden. Moor, Peloide, wie die Fachleute sagen, ist Bad Westernkottens Geheimwaffe unter den Naturheilmitteln. Es wird im Muckenbruch gefunden, vor allem Damen im Mittelalter schwören auf seine Heilkraft, froh, dass das Mittelalter als historische Periode vorbei ist. Damals jagte man noch ungetreue Ehefrauen ins Moor, heute gehen sie freiwillig hinein, um verjüngt und mit neuer Kraft und gesteigertem Wohlbefinden den Anforderungen des Alltags sich wieder zu stellen.

821 Betten stehen den Kurgästen in Bad Westernkotten derzeit zur Verfügung. Rund 155.000 Übernachtungen wurden im vergangenen Jahr registriert. Selbständigkeit (früher wurden Bad Westernkotten und Bad Waldliesborn von einem Kurdirektor gemeinsam verwaltet) hat sich vorteilhaft ausgewirkt. Die große Krise ist überstanden, seit 1979 befindet sich das kleine Bad wie viele große auch wieder kräftig im Aufschwung, 75% der Kurgäste erhalten ihren Marschbefehl von einem Sozialversicherungsträger.

Fünf angestellte und zwei freie niedergelassene Badeärzte registrieren nicht ohne Besorgnis, dass die Leute zunehmend kranker ankommen, mit Arbeitsmarktlage auch wieder mehr Mut haben, einen Kurantrag zu stellen. Herz, Kreislauf und Atemwege werden in Bad Westernkotten geheilt und günstig beeinflusst, Rheuma und Frauenleiden erfahren Besserung und Linderung.

Dass körperliche Leiden oft seelische Ursachen haben und die Zeit der Kur | zu wachsendem Gesundheitsbewusstsein und einer inneren Neuorientierung genutzt werden sollte, hat man in Bad Westernkotten längst erkannt, und man bietet in einem speziell eingerichteten „Haus des Kurgastes“ entsprechende Hilfen an: Kochlehrgänge und Vorträge, individuelle Beratung einer Diätassistentin, vor allem aber eine hauseigene Psychologin, die zum Gespräch unter vier Augen bereitsteht.

Der Kurdirektor von Bad Westernkotten und der Stadtdirektor von Erwitte sind identisch: Josef Grumpe war durch Tätigkeit im sauerländischen Fredeburg „erblich belastet“, als er nach Erwitte kam. Er betont, dass Stadt- und Kurdirektor bisher noch nie im Clinch lagen oder in einen ernsthaften Interessenkonflikt gerieten. Die Personalunion sei vor allem in der schwierigen Zeit der Rezession ein Gebot der Stunde gewesen, gute Kontakte aus vergangener Tätigkeit hätten sich ausgezahlt. Josef Grumpe ist Mitglied des Bäderfachbeirates, in Fachkreisen gilt sein Wort, und er macht den Job des Kurdirektors nicht mit der linken Hand, wohl aber für eine Aufwandsentschädigung, für die heute kaum mehr eine Halbtagskraft an der Schreibmaschine zu engagieren ist.

Josef Grumpe möchte nicht, dass Bad Westernkotten in den Boom gerät. Mehrere Sanatorien tragen sich mit Erweiterungsplänen, aber Bad Westernkotten soll ein intimer Familienbetrieb bleiben, wo man die Fenster öffnet, die Hähne krähen und die Pferde wiehern hört. Dieses spezielle Westernkötter Image suchen vor allem stress- und lärmgeplagte Großstädter, die das kleine Heilbad immer wieder dankbar verlassen: „Hoffentlich befällt hier niemals jemanden der Ehrgeiz, ein Weltbad mit Spielbank zu werden.“