1964: Der Streit um Erwitte zwischen Köln und Paderborn

Vor 600 Jahren —- 1368 — fiel der Blutbann über Erwitte an den Erzbischof

Von H. G. Ossenbühl

Aus: Heimatblätter 1964, S. 15

 Wie an vielen Orten, so trafen im Mittelalter auch in Erwitte die hoheitsrechtlichen Ansprüche Kölns mit denen Paderborns zusammen. Wohl hatte Paderborn 1027 durch kaiserliche Schenkung den Königshof Erwitte bekommen, aber auch Köln war dort stark begütert. Z. B. war die Kirche auf Kölner Grund erbaut worden. Nach Wigand gehörte sie schon am Ende des 10. Jahrhunderts zur Erzdiözese Köln. 1080 schenkte Erzbischof Sigewin die Kirche zu Erwitte, die zu seinem Rechts- und Herrschaftsbereich gehörte – mei juris et dominationis – dem Patroklistift zu Soest. Er tat es zum Seelenheil für den hl. Erzbischof Anno und dessen Bruder Walter, der bei Erwitte erschlagen worden war.

Der Soester Dekan war seitdem Patron der Erwitter Kirche. Besonders wichtig war für Köln der Erwerb des Gogerichts. Schon 1178 hat Papst Alexander III. dem Erzbischof Philipp den Besitz der Gografschaften in Westfalen bestätigt. Im Jahre 1180, beim Sturz Heinrich des Löwen, erhielt Köln die herzoglichen Rechte in Westfalen und Engern.

Gerade auf den Besitz der Gogerichte gründete sich die Landeshoheit des Kölner Erzstuhles in Westfalen. Auch Paderborn beanspruchte das Gogericht Erwitte für sich. Dagegen befand sich die Grafschaft über Erwitte in weltlichen Händen. Im 9. Jahrhundert hatte sie bekanntlich ein Graf Ricdag. Dessen Grafschaften in Westfalen wurden zwischen den Grafen von Werl und dem Haus der Haoldinger geteilt. Haold II. (Hahold) gründete 952 Kloster Geseke, dessen Vogtei 1015 an Köln kam, das die Vogtei über Soest schon seit früher Zeit besaß.

Auch die Grafschaft über Werl gelangte an Köln. Das Grafenhaus verlagerte seinen Sitz nach Arnsberg und benannte sich nun danach. Nach den Lehnsregistern der Arnsberger war die libera cometia in villa Erwitte, zu der auch das Weichbild von Lippstadt gehörte, ein Arnsberger Lehen. Träger dieses Lehens war 1338 Godfried von Erwette. Auch die cometia Bokenevorde und die große Grafschaft an der Lippe waren als Arnsberger Lehen an die von Erwitte vergeben. Neben Paderborn und Köln besaßen auch die Grafen in Erwitte erheblichen Grundbesitz.

Seibertz zählte die Familie Erwitte zu den Heppendorfer Vögten von Köln und Schultheißen von Soest. Das war entschieden falsch; mit mehr Berechtigung kann man sie zu den aus der Jülichgau Grafensippe entsprossenen Vögten von Soest zählen. Dann wäre Eberhard Vogt von Soest mit dem 1204 genannten Everhardus miles de Eruethe identisch und sein Bruder Rudolf von Borgelo (das Dorf Borgeln liegt sechs Kilometer nordwestlich von Soest), der 1161 genannt wird, mit dem 1185 auftretenden Arnsberger Ministerialen Rudolfus de Eruete.

Sie wurden schon früh von Arnsberg mit den Grafschaften belehnt. Der Ritter Rudolf begegnet uns 1225 als Richter in Völlinghausen. Sein Sohn Wessel ist 1250 im Besitz der Grafschaft. Dessen Sohn, der Ritter Wessel von Erwitte, übertrug 1319 zwei Hufen in Stirpe an Kloster Ölinghausen. Der Marschall Johannes von Erwitte und seine Frau Hildegundis gründeten 1240 das Kloster Benninghausen. Gottschalk, des Völlinghausener Richters Rudolf Bruder, wurde advocatus genannt (1218—1258).

Sein Sohn Rudolf war 1280 Vogt des Klosters Geseke. Von ihm stammen die Vögte von Geseke, die die Vogtei von Köln zu Lehn trugen. 1244 verzichtete Eberhard von Erwitte auf die Grafschaft über Erwitte und an der Lippe. Nun belehnten die Grafen damit den Edelherrn Albert von Störmede. Der hatte auch die Paderborner Villikationen Erwitte und Vilsen als erblicher villicus unter. Er lehnte sich an Köln an. Erzbischof Konrad ernannte ihn daher auch zum Landmarschall.

Beim. Friedensschluss zwischen Köln und Paderborn im Jahre 1247 war der Erzbischof entschieden für die Interessen der Störmede in Vilsen eingetreten. Die ganze Entwicklung hier drohte für Paderborn zum Verlust seiner Besitzrechte zu führen. Ein neuer Krieg brach aus. Albert von Störmede führte erfolgreich die Kölner Truppen. Bischof Simon wurde gefangen und musste seine Burg zu Vilsen schleifen und auf das Gogericht Erwitte endgültig verzichten. Albert beunruhigte den Bischof aber auch später noch, der 1262 Güter verkaufen musste, um ihn abwehren zu können. Erst 1277 gelang es Paderborn, die Störmede zu besiegen. Sie wurden gezwungen, auf alle Rechte und Ansprüche an den Villikationen Erwitte und Vilsen zu verzichten. Die Grafschaft ist später wieder an die von Erwitte verlehnt worden, denn 1338 heißt es im Arnsberger Lehnsregister „Godfridus de Erwette curtem dıctam Remelinkhof sitam in villa Erwette cum libera cometia ibidem”. 1368 verkaufte Graf Gottfried IV. von Arnsberg seine ganze Grafschaft an die kölnische Kirche, und damit ging auch die hohe Gerichtsbarkeit, der Blutbann, über Erwitte an den Erzbischof über.

Damit hatte Köln nunmehr endgültig die Landeshoheit über Erwitte errungen.

Seine Frei- und Gografen konkurrierten in ihren Jurisdiktionsbefugnissen miteinander. So trug das Erwitter Gogericht bereits 1254 die Bezeichnung Hochgericht. Gograf Dietrich Leveking, der zugleich auch Freigraf in Erwitte war, nahm 1443 in seiner Eigenschaft als Gograf eine Verhandlung auf, durch die Diedrich Vrydach und seine Frau Aleke ihr Gut zu Eikeloh an Hermann von Bredenol verkauften. 1505 entschied der Erwitter Gograf einen zwischen dem Kloster Benninghausen und den Schorlemers entstandenen Streit wegen einer Schaftrift ‚des Hofes Nortdorf zu Ungunsten der Schorlemer. Also wurde vor dem Gericht des Gografen auch über freies Eigen verfügt. Ein Recht, das ursprünglich nur dem Grafengericht, dem späteren Freigericht, zugestanden hatte.

Natürlich war Köln daran gelegen, die Zuständigkeit des Paderborner Gerichtes im ehemaligen Königshof einzuschränken. Die Eingriffe des Erwitter Gografen in die Gerichtsbarkeit der alten curtis regia nahmen beständig zu. Es ging um die Befugnisse der beiden Gerichtsherrn Köln und Paderborn. In einem Vergleich von 1538 behielt Paderborn einen Freistuhl zu Erwitte, daran alle Sachen von Erwitte und Westernkotten erledigt werden sollten, d. h. von Höfen, die der Paderborner Grundherrschaft unterstanden. In Erwitte gehörten 54 Hausstätten dazu, 36 davon im Bezirk des ehemaligen Königshofes, in Westernkotten 135 Hausstätten.

Fortwährend griff Köln in die Paderborner Befugnisse ein. Köln verlangte Schatzung (Steuer) von den Paderborner Leuten. Wegen verweigerten Schatzes nahm der Gograf Walter Schütte 1548 Pfändungen vor und setzte Leute fest.

Paderborn klagte. beim Kammergericht zu Speyer. Ein Schiedsspruch der Universität Freiburg entschied gegen Paderborn. Danach verlor der Bischof die ganze „Kriminalgerichtsbarkeit“ und behielt außer dem Eigentum an Land und hörigen Leuten nur die niedere Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Sachen über „Schuld, Gegenschuld, liegende und bewegliche Güter, in Erb- und allen anderen bürgerlichen Sachen, zudem auch das Bauergericht über Salz, Bier, Brot und was dem Salzwerk anhängt.“ In der praktischen Durchführung blieb aber immer noch vieles strittig. So schlossen beide Fürsten 1597 eine neue Einigung. Trotzdem gingen die Streitigkeiten der beiderseitigen Beamten weiter. Schließlich fanden die beiden Kirchenfürsten im Vertrag von 1687 eine neue Lösung.

Köln stand in „beiden Flecken Erwitte und Westernkotten“ die gesamte landesherrliche Obrigkeit mit allen Regalien zu. Paderborn verblieb in erster Instanz die Erkenntnis über Ellen, Maß und Gewicht. Es behielt die Wegeaufsicht und die Oberaufsicht über die Salzwerke in Westernkotten. Die Einkünfte aus den Salzwerken sollten geteilt werden. Paderborn musste auf alle Abgaben und Dienste verzichten, die dem schutzherrlichen Verhältnis im Königshof entsprangen. Die Willkommensteuer beim Regierungsantritt eines neuen Bischofs wurde auf die Hälfte herabgesetzt. Frondienste, Kopfzins, Erb- und Sterbefälle kamen in Fortfall.

So war es dem Erzstift Köln nach langen Streitigkeiten und vielen Verhandlungen endlich gelungen, auch den Königshof seiner Landeshoheit völlig zu unterwerfen. Paderborn dagegen hatte alle Hoheitsrechte verloren und war zur privatrechtlichen Rolle eines Grundherrn herabgesunken. Wohl unterhielt Paderborn im sogenannten Amt Westernkotten bis zur Säkularisation 1802 einen Erbamtmann, Samtrichter und Rentmeister. Diese hatten vor allem die dortigen Paderborner Geld- und. Fruchtgefälle und Salzzehnten zu erheben.