1967: Als Verbannter in Westernkotten – Nach dem Angriff des „Tollen Christian” auf Paderborn – Das Schicksal Dr. Horns [1]

VON PFARRER WALTER WAHLE (STÖRMEDE); in: Heimatblätter Lippstadt 1967 (48. Jahrgang), S. 21-22

Als Herzog Christian von Braunschweig am 23. Januar 1622 Soest erobert hatte und noch in der Stadt weilte, kam eine Abordnung von Paderborner Bürgern zu ihm, die sich erbot, ihm Paderborn in die Hände zu spielen. Darauf ließ Christian die Stadt mit seinen Leuten besetzen und kam auch selbst wenige Tage später nach Paderborn. Er ließ nicht nur die bekannte Ausplünderung vornehmen, sondern gab der Stadt auch eine neue Verfassung, indem er die frühere Selbstverwaltung wiederherstellte, was das eigentliche Anliegen der Bürger gewesen war.

Damit griff der „Tolle Christian“ in die Rechte des Landesherrn ein. Somit wurden die Förderer und Anhänger dieser Neuerung Rebellen gegen den rechtmäßigen Fürsten. Die protestantischen Familien stiegen wieder zu Häuptern der Stadt empor, wie es zu Bürgermeister Liborius Wichards Zeiten gewesen war.

Mitte Mai 1622 rückte Christian aus Westfalen ab, um zur Pfalz zu marschieren. Die Vertreter der neuen Richtung wussten, was ihnen bevorstand, wenn sie ohne Schutzmacht blieben. Daher baten sie den Herzog, er möge die Stadt mit einer Besatzung versehen. Aber während er so in Soest und Lippstadt gehandelt und seine dort zurückgelassenen Soldaten der Gewalt der Generalstaaten (Holland) als Garantiemacht des clevisch-märkischen Erbvertrages unterstellt hatte, weigerte er sich, in Paderborn so zu verfahren.

„DOLLER BISCHOF”

Obwohl ihn seine Zeitgenossen schon den „dollen Bischof“ nannten — so der Paderborner Kanzler Konrad Wippermann im Brief vom 8. November 1621 — (KK VII, 44, Bl. 31), weil er ohne Achtung vor göttlichem und menschlichem Recht gegen Leben und Gut der wehrlosen Bevölkerung verfuhr, hütete er sich, bei seinem Abzug aus Westfalen staatsrechtliche Neuerungen zu verankern, sondern überließ Paderborn seinem Schicksal, damit der Gewalt des rechtmäßigen Fürstbischofs, des Kurfürsten Ferdinand von Köln.

Ein Teil der Kollaborateure zog mit den halberstädtischen Truppen (ebd. Bl. 427). Als sie aber hörten, dass in Paderborn keine Vergeltungsaktion stattfinde, kehrten sie bald zurück. Graf Anholt hatte die Stadt nur in schnellem Durchmarsch berührt, um Christian auf den Fersen zu bleiben.

Die geflüchtete Regierung fand sich nur langsam wieder ein. Kanzler Wippermann war am ersten zur Stelle, gleich in der ersten Woche nach Abzug des Braunschweigers. Von den Räten dagegen war bis zum 26. Mai noch niemand wieder anwesend (ebd. Bl. 399). Der Landdrost Jobst von Landsberg zu Erwitte hielt sich wegen Aufstellung eines neuen Regiments bis Mitte Juni in Arnsberg auf (ebd. a versch St). So taten die zurückgekehrten Aufrührer, als sei kein Bruch der Vergangenheit erfolgt. Sie benahmen sich, wie der Landdrost nach einem Bericht des Kanzlers am 28. Mai dem Kurfürsten mitteilte, ohne Scheu und exerzierten mancherlei Mutwillen, um zu zeigen, „dass sie mit einem gelinden Zaum nicht wollten geritten sein.“ Daher schlug Landsberg dem Kurfürsten vor, er solle das neugeworbene Regiment einsetzen, damit die Ungehorsamen und Rebellen nach der Gebühr „compesciert“ würden (ebd. Bl. 369). Es sollten also die Anhänger Christians durch starke militärische Einquartierung belastet werden, die sie zu verpflegen hätten. Im Erlass vom 30. Mai 1622 genehmigte der Kurfürst den vorgeschlagenen Einsatz des Regiments Landsberg (ebd. Bl. 375).

GEGEN DIE REBELLEN

Infolge mancherlei Schwierigkeiten erhielt Landsberg erst am 9. Juni den Befehl, aus seinen bisherigen Quartieren im Amt Bilstein, Kreis Olpe, in das Hochstift Paderborn zu marschieren (ebd. Bl. 416). Am 14. Juni, als die Truppe bereits auf dem Marsch begriffen war, erbat Landsberg nochmals Verhaltensmaßregeln gegen die Rebellen, da er sofort gegen sie einschreiten wollte (ebd. Bl. 450). Am 18. Juni endlich zog Oberstleutnant Wilhelm Otto von Blanckard mit fünf Kompanien in Paderborn ein, von denen eine bald nach Salzkotten verlegt wurde. Obwohl eine Eingabe an den Kurfürsten bezweifelte, dass das scharfe Vorgehen der Soldaten dessen Willen entspreche, handelten die Truppen nach ihren Weisungen. Besonders die Protestanten bekamen die Vergeltung zu spüren. „Und werden die Unkatholischen, so sich bei dem vergangenen elenden Unwesen am störendsten verlaufen, von den Offizieren und Soldaten hart angegriffen.“

Aus Besorgnis, bei Besetzung der Stadt würden die Häupter der von Christian eingesetzten Stadtregierung flüchten, ließ Blanckard sie sofort im Einvernehmen mit dem Landdrosten in Haft nehmen und im Schloss Neuhaus sicher verwahren. Diese Maßnahme betraf zwölf Personen (FPK 19 Bl. 3).

STADTSYNDICUS

Während einer der Hauptverursacher des Angriffs Christians auf Paderborn, der Kaufmann Arnold Drohm (vergl. Weskamp, Christian S 74) mit einer, allerdings wohl konfiskatorischen, Geldstrafe von 6000 Rtlr. belegt wurde (ebd. Bl. 67£) und auf seinen Antrag auf Milderung dieser Brüchte oder wenigstens Anrechnung der an Christian gezahlten Brandschatzung von 542 Rtlr. Aufschub der zwangsweisen Beitreibung erlangte (ebd.  Bl. 40of), traf die Verfolgung einen anderen der wichtigsten Empörer empfindlicher, Dr. jur. Heinrich Horn. Er hatte sich von Christian zum Stadtsyndicus, zum leitenden Verwaltungsbeamten der Stadt machen lassen. Die gewalttätige Behandlung der katholischen Bevölkerung hatte er mit seinem Namen gedeckt. So wurde ihm vorgeworfen, er habe mit seinen Anhängern vielen groben unverantwortlichen Mutwillen verübt.

DES LANDES VERWIESEN

Auch er wurde nach Neuhaus abgeführt und vor Gericht gestellt. Nachdem er dem peinlichen Verhör, d. h. der Folter, unterworfen war, brach der Richter über ihn den Stab und verurteilte ihn zum Tode. Das Urteil wurde jedoch nicht vollstreckt, vielmehr begnadigte ihn der Kurfürst. Doch blieb er in Neuhaus gefangen, wobei man nicht an den humanen Strafvollzug unserer Tage denken darf. Am 24. Oktober 1624 verfügten Landdrost und Räte seine Haftentlassung, wenn er Urfehde schwöre. Das bedeutet, er musste eidlich versichern, dass er nach Wiedererlangung seiner Freiheit sich an keinem der bei dem Verfahren gegen ihn Beteiligten rächen und nichts gegen das Hochstift Paderborn unternehmen werde, Dem kam Dr. Horn nach und wurde somit aus dem Gefängnis entlassen. Zugleich wurde über ihn die Landesverweisung ausgesprochen.

Also musste er das Hochstift Paderborn verlassen. Er ließ sich nun in Westernkotten nieder. Die Wahl dieses Ortes hatte er wohl dessen besonderer Stellung wegen getroffen. Westernkotten gehörte territorial zum Herzogtum Westfalen. Es befand sich aber darin ein Paderborner Amtsgericht. Zu diesem hatte Horn vielleicht schon vorher persönliche Beziehungen. Er betätigte sich während seiner Verbannung nämlich als Advokat. Außerdem war Westernkotten nicht allzu weit von Paderborn entfernt. Nach einer Bemerkung könnte man vermuten, er habe dort seine Frau und seine unmündigen Kinder zurückgelassen.  Anfangs 1627 erkrankte er lebensgefährlich. Ob die Krankheit eine Spätfolge der langen Haft war, ist nicht bekannt. Aber während er in der Zeit seiner Gefangenschaft zu Neuhaus keinem Katholiken Zutritt gewährt hatte, kehrte er jetzt angesichts des drohenden Todes zur katholischen Kirche zurück.

IN LIPPSTADT

Durch den Jesuiten Johannes Füller (Fullerus) in Lippstadt — Lippstadt war damals von den Spaniern besetzt und hatte katholischen Gottesdienst — ließ er sich auf eigenen Wunsch wieder in die Kirche aufnehmen und die Sakramente spenden. Nach seiner Genesung richtete er unter Beifügung einer Bescheinigung des genannten Paters über seiner Wiederaufnahme in die Kirche ein Gesuch um Begnadigung an den Kurfürsten am 13. Mai 1627. Dieser aber beschied den Antrag abschlägig.

Nach zwei Jahren unternahm Dr. Horn einen neuen Versuch, nach Paderborn zurückkehren zu können. Durch seinen leiblichen Bruder, den Benediktinerpater Sebastian, Profess im Kloster Hassfeld, ließ er ein Gnadengesuch unmittelbar an den Kaiser richten. Er habe seine Verbrechen eingesehen und zur katholischen Religion zurückgefunden. Um seine Familie besser ernähren zu können, erbat er die Erlaubnis, in die Heimat zurückkehren zu dürfen.

GEGEN KAUTION

Die kaiserliche Kanzlei gab den Antrag befürwortet am 7. Mai 1629 an den Kurfürsten von Köln weiter. Dieser forderte die Paderborner Regierung zum Bericht und zur Stellungnahme auf, worauf Landdrost und Räte am 26. Juli eine Darlegung seines Verhaltens zur Zeit Christians einreichten. Sie urteilten, man könne es ihm gönnen, dass er in seinen früheren Stand zurückversetzt werde. Aber es sei zu befürchten, dass seine Rückkunft bei den Treuen, Geistlichen sowohl wie Weltlichen, Anstoß erregen und böses Beispiel geben werde. Der Kurfürst entschied, dass ihm gegen Stellung einer ausreichenden Kaution die Freiheit wiedergegeben werden solle.

Die Akten lassen vermuten, dass Dr. Horn sogleich in das Hochstift Paderborn gereist ist, ehe der kurfürstliche Befehl eintraf, und dass er erneut in Neuhaus eingesperrt worden ist. Am 21. August 1629 wiesen nämlich Landdrost und Räte den Drosten von Neuhaus an, wegen erwiesener Leibesschwachheit und Unvermögenheit habe der Kurfürst verfügt, Dr. Heinrich Horn aus der Haftung bis zur Wiederherstellung seiner Gesundheit zu entlassen.

Da Dr. Horn am Nachmittag des 21. August die geforderte Kaution hinterlegt hatte, wurde dem Drosten befohlen, ihn aus dem Gewahrsam zu entlassen und ihm den Aufenthalt zu gestatten. Wegen der zu befürchtenden Entrüstung der Paderborner Bürgerschaft durfte er jedoch nicht in die Stadt zurückkehren, sondern es wurde ihm auferlegt, sich in Neuhaus und Umgebung aufzuhalten (FPK I, 9 Bl. 48—6).


[1] Quellen: FPK = Staatsarchiv Münster, Fürstentum Paderborn, Kanzlei; KK VII = Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Kurköln Kriegssachen.