1996: Der Volksverein in Westernkotten

Von Wolfgang Marcus

Erstabdruck: Vertell mui watt Nr. 14, März 1996

Über den sog. „Volksverein“ in. unserem Ort konnte bisher noch wenig in Erfahrung gebracht werden. Im Heimatbuch von 1987 [S. 304] findet sich lediglich der Hinweis: „Pfarrer Bokel gründete am 8. Februar 1903 den Volksverein und am 12. November 1905 den Katholischen Arbeiterverein.“ Daraus wird zumindest deutlich, da der Volksverein ein katholischer Verein war, dass er andere Ziele und Aufgaben hatte als der Arbeiterverein und dass es Pfarrer Bokel anscheinend sehr wichtig war, diesen Verein zu gründen, denn Pfarrer Bokel trat seine Stelle in Westernkotten am 4. Oktober 1902 an und die Gründung geschah bereits 4 Monate später.

Nun fand ich im „Patriot“ vom 3. April 1912 folgenden Zeitungsartikel, der ein wenig mehr Licht auf diesen Verein wirft:

„Westernkotten, 31. März. Die Festversammlung, welche sich heute im Wiese’schen Saale hier, zu Ehren unseres unvergesslichen Windthorsts stattfand, wobei Ansprachen, Prolog und sinnige Festlieder abwechselten, nahm einen glänzenden Verlauf. Besonders fesselnd und begeisternd war die Festrede des Herrn Pfarrers Pehle, Erwitte, welcher das Lebensbild Windthorsts von der Wiege bis zum Grabe in höchst packenden Ausführungen den Anwesenden vor Augen führte. Sehr ergreifend schilderte Redner die Zeit des Kulturkampfes, das Ringen und Dulden des katholischen Volkes unter dem Druck der sog. Maigesetze, welche der Liberalismus geschaffen hatte. Darum müssen uns unvergesslich sein die herrlichen Männer der Zentrumsfraktion, die damals unter Führung Windthorsts den übermächtigen Feinden gegenüber für die Rechte und Freiheit der katholischen Kirche in Deutschland so mutig eingetreten sind und unermüdlich kämpften, bis der Feind den Rückzug antrat und die schlimmsten Kulturkampfgesetze beseitigt waren. Die Einigkeit der deutschen Katholiken von damals möge uns zum Vorbild dienen in dem neuen Kulturkampfe, dem wir entgegengehen. Dann kam Redner auf die letzte Schöpfung Windthorsts, nämlich den Volksverein zu sprechen und richtete einen begeisterten Appell an die Versammlung, in diesem Verein sich zu betätigen und mitzuarbeiten und mitzukämpfen zur Abwehr des Unheils, womit der moderne Unglaube in unserer Zeit die christliche Kultur bedroht. Herr Lehrer Schütte, welcher als zweiter Redner auftrat, wusste ebenfalls in hohem Maße die Versammlung zu fesseln durch seine Ausführungen über die Aussicht des Christentums, speziell des Katholizismus in der Zukunft. Seine Worte, die von einem gesunden und herzerquickenden Optimismus zeugten, fanden lebhaften Beifall. Zum Schluss sprach der Vorsitzende den Rednern seinen Dank aus und bat, die vernommenen Lehren und Anregungen zu befolgen, besonders durch unermüdliche Mitarbeit im Volksverein. Mit einem kräftigen Hoch auf den Volksverein schloss die herrliche Versammlung.“

Aus den Inhalten dieses Artikels lassen sich u.a. folgende Erkenntnisse gewinnen:

  • Die Gründung von Volksvereinen geht auf den Zentrumspolitiker Ludwig Windthorst (1812-1891) zurück, der nach 1870 der unbestrittene Führer seiner Partei und im Kulturkampf großer parlamentarischer Gegner Bismarcks war.
  • Damit waren die Volksvereine weithin parteiähnliche Ortsvereine.
  • Das Engagement von Pfarrern in diesen Vereinen war anscheinend weithin üblich.
  • Die Abfassung des Artikels macht deutlich, dass auch der damalige Patriot klar zentrumsorientiert war.

Sicherlich ist es spannend und interessant, noch mehr über den Volksverein zu erfahren, muss er doch meines Erachtens als eine Art Vorgänger der heutigen CDU-Ortsunion angesehen werden; denn nach der erzwungenen Selbstauflösung des Zentrums im Juni 1933 setzte sich nach dem 2. Weltkrieg die Mehrheit der überlebenden Zentrumsführer für die CDU ein. Hier bleiben allerdings noch viele Fragen offen.

Wolfgang Marcus