1958: Aus vorgeschichtlicher Zeit

Von Theodor Mertens

In: Bad Westernkotten. Ein Heimatbuch, Lippstadt 1958, S. 9 – 15

Südlich des Ortes bewahrt der Domhof die Erinnerung an die untergegangene „villa“ Hoensberg. · Bodenspuren und Bodenfunde oberhalb des Hofes lassen den Schluss zu, dass die villa Hoensberg ihren Ursprung in einer vorgeschichtlichen Siedlung hatte.

Der Platz liegt, von der Gemarkungsgrenze von Westernkotten und Erwitte durchschnitten, auf dem hohen Ufer der Pöppelsche, nahe einem Wacholderbestand, etwa auf der Höhe 1 60, unterhalb der höchsten Erhebung der Haar, der Spitzen Warte, mit der Höhe 390.

Weit geht der Blick von hier über die Hellwegebene in die Ferne nach Norden, Osten und Westen, auf die Beckumer Berge, die Stromberger Höhen und den Teutoburger Wald; nahe dem Auge, dicht hinter der Zeile des Hellwegs, liegen Westernkotten und Lippstadt, links Erwitte und zur Rechten, überm Tal der Pöppelsche, Geseke. Zahlreich sind die Haar aufwärts die in die Landschaft gebetteten Ortschaften: uraltes Siedlungsland weit und breit.

Die Anhöhe entspricht ganz den Lagen, in denen der steinzeitliche Mensch in lichten Eichenwäldern nahe den wildreichen, aber schwer zugänglichen Talauen mit Vorliebe siedelte.

Irgendwann einmal – vor 6ooo oder 7000 Jahren – lange bevor die funkelnde Bronze ihren Siegeszug durch Kulturen und Völker antrat, kamen zum ersten Mal Menschen in dieses Gebiet, die ihre Werkzeuge aus Knochen, Holz und Feuerstein, dem wichtigsten Werkstoff der Vorzeit, anfertigten. Es waren Jäger, Fischer und Sammler. Sie kamen von den uns heute bekannten ausgedehnten Lagerplätzen im Lipperied in der Umgebung des Einflusses der Gieseler in die Lippe. Diese Menschen hausten in Reisighütten, in Erd- und Felshöhlen oder unter Felsüberhängen, an fischreichen Gewässern, und waren, der Bevorratung ihrer Nahrung wegen, vielleicht schon vorübergehend sesshaft. Bezeichnend für die Kultur dieser Menschen der Mittleren Steinzeit sind fein bearbeitete Kleinwerkzeuge aus Feuerstein, z. B. Angelgeräte, wie man sie auf den Lagerplätzen an der Lippe und auch auf dem Ufer der Pöppelsche findet.

Die Pöppelsche war damals noch ein Bergbach, und die Angelgeräte beweisen, dass sie fischreich war. Noch um 1850 fing man ja in der Pöppelsche auf der Höhe von Sträters Steinbruch, dessen Anfang eine kleine Höhle gewesen sein soll, Fische körbeweise.

Berührungen und Vermischungen der Jäger der Mittleren Steinzeit mit Menschen einer von Südosten vordringenden Hochkultur, die schon den Hausbau, die Viehzucht, den Ackerbau, den Steinschliff und die Töpferei beherrschte, führte nach und nach zu einer völligen Umgestaltung der Verhältnisse. Die Jungsteinzeit zog herauf.

Die Menschen lebten jetzt in festen Hütten und sogar großen Häusern; sie brachten die bäuerliche Wirtschaftsform mit, bearbeiteten den Boden mit Hacke und Pflug, bauten Gerste, Hirse und Weizen, ernährten sich zusätzlich aber auch noch von Nüssen, Beeren, Wildgemüse und Wildfrüchten, von Jagd und Fischfang. Eicheln dienten als Mast für Schweine und geröstet als Zusatz zum Brot. An Haustieren züchtete man Hund, Rind, Schwein und Ziege, später auch das Pferd.

Getreidemühle aus der Domhofsiedlung

„Wie ein Kindlein in der Wiege, schwach und hilflos, aber hoffnungsvoll und erfreulich, erscheint der Ackerbau unter den Nahrungsquellen der Menschheit. An Stelle der bloß zugeschlagenen Steinwerkzeuge treten solche, an welchen die Schneide oder auch die ganze Oberfläche poliert und die erstere sorgfältig zugeschliffen ist. Nicht alle Geräte aus Stein sind in diesem Zeitalter poliert und zugeschliffen; aber auch die Herstellung der bloß zugeschlagenen erreicht eine viel höhere Stufe als in der Altsteinzeit.“

In der vollen Jungsteinzeit wohnten reiche Bauern – Klassenunterschiede, arm und reich, hat es immer gegeben – schon in soliden Holzhäusern, während Arme in unserer Heimat noch vor nicht ganz 100 Jahren, z. B. in der Grafschaft Berleburg und im Tecklenburgischen, in Erdhöhlen hausten. Und in Heide und Moor fand man noch von Menschen bewohnte Hütten wie in der Jungsteinzeit: in die Erde gegrabene Pfosten, mit Latten benagelt und mit Reisig und Stroh gedeckt.

Ungewollt und unbewusst führt heute der Bauer auf den Äckern oberhalb des Domhofes den Nachweis der einstigen Bauernkultur der Jungsteinzeit. Beim Pflügen stößt er auf Steine und befördert sie an die Oberfläche, ohne zu wissen, welche Bewandtnis es mit diesen Steinen hat, dass sie von Leben zeugen, das schon vor Jahrtausenden hier gewesen.

Getreidemühlen mit Quetschern, Keile und Hacken, steinerne Hämmer und Beile, zum Teil roh geschlagen oder gepickt, mit Nuten für den Stiel und mit Einkerbungen für die Bindung, aber auch geschliffen und poliert, kommen samt dem Schleifgerät für den Grob-, Fein- und Polierschliff an die Oberfläche. Gefäßscherben aber sind sehr selten, weil man an die Kulturschicht, ohne zu graben, nicht herankommt und die nur schwach gebrannten Tonscherben, die der Pflug herauswirft, zerbrechen oder an der Oberfläche rasch zerfallen.

Im Landesmuseum war man „erstaunt über die Art und die Fülle der Funde“. Man vermutete eine Siedlung der Bandkeramiker oder der „Steinkistenleute“ und schrieb: „Diese jungsteinzeitlichen Siedlungsplätze sind so wichtig und so selten. Eigentlich müsste hier eine richtige große Siedlungsgrabung angesetzt werden. „

Infolge des Krieges und aus Mangel an Geld und Fachkräften ist es zu einer Grabung noch nicht gekommen. Das ist aber nicht zu bedauern, weil die Siedlung nicht gefährdet ist. Meist haben die Fachleute heute alle Hände voll zu tun, um die Großbaustellen auf Bodenspuren zu überwachen und dort die Funde zu bergen. Grabungen an nicht gefährdeten Plätzen soll man darum für ruhige Zeiten zurückstellen, in denen der Forschung dann zudem wieder neue Untersuchungsmethoden zur Verfügung stehen werden.

Mit den geschliffenen Steinbeilen, zum Teil mit Schneiden härter als Stahl, ging der Bauer der Jungsteinzeit den Wald an. Das Klima, gegenüber heute wärmer und trockener, war ihm dabei günstig. Ein geschäftetes Steinbeil leistet annähernd halb so viel wie ein Beil aus Stahl. Bei einem Versuch schlug man einmal 26 Fichten mit einem Durchmesser von 20 cm in 10 Stunden, ohne die Schneide nachzuschärfen. Ein Nachteil gegenüber dem Stahlbeil aber ist die weit geringere Haltbarkeit des Steines.

Der rodende Bauer der Jungsteinzeit ringelte die Baumrinde oder schälte sie ab, brachte die Bäume so zum Absterben und brannte oder schlug sie nieder. So entstand mit der Zunahme der Bevölkerung und der Siedlertätigkeit im Urwald immer mehr offenes Gelände, Feld- und Grasflächen, die aneinanderstießen und nach und nach zu ausgedehnten Feldern und Weideflächen zusammenwuchsen.

Von Km-Stein 16 der Straße Lippstadt-Rüthen an findet man auf beiden Seiten der Pöppelsche bis zur Haar hinauf Steinwerkzeuge aus Feuerstein, meist mit weißer Verwitterungsrinde, aber auch geschliffene Beile und Hacken. Auch der Domhöfer fand auf seinen Grundstücken Beile, und auf Eikeloher Grund in der Pöppelsche hat man ein Steinbeil und eine Hacke aufgelesen.

In der Nähe der deutlich im Gelände zu erkennenden alten Wohnplätze oberhalb des Domhofes befinden sich im Lehmboden 8 bis 10 Steinnester von 2 bis 3 Meter Durchmesser. Aus einer dieser Stellen brachte der Pflug eine Getreidemühle, ein zerschlagenes Steinbeil und ein Bruchstück eines sogenannten Schuhleistenkeiles, einer geschliffenen Hacke, ans Licht. Man kann den Zweck dieser Bodenspuren noch nicht recht erklären; vielleicht handelt es sich um Gräber, die dann nach dem Schuhleistenkeil der bandkeramischen oder der Rössener Kultur des 3· vorchristlichen Jahrtausends entstammen müssten.

Nützliche Helfer der ersten Siedler waren die Biber. Sie stauten durch ihre berühmten Dämme im sumpfigen Tal den Bach. Die Talaue wurde überschwemmt, Bäume starben ab und fielen um. An der Stelle des dunklen, sumpfigen, dicht bewaldeten Tales entstanden offene Wasserflächen. Für den Wassertransport des Holzes zu ihren Wohnungen an den Teichen bauten die Biber Kanäle bis an den Rand der Niederung. Nach dem Tode ihrer Erbauer verfielen die Dämme und wurden vom Hochwasser weggerissen. Die Teiche flossen ab, und die Kanäle der Biber wirkten wie eine Drainage. Teich und Sumpf wurden trocken, und auf dem Boden spross üppiges Gras. So entstanden ausgedehnte Biberwiesen, zu denen Wild zur Weide zog. In der Nähe seiner Siedlungen hat dann der Mensch die Wiesen gemäht und davon reiche Heuernten eingebracht. Bis in unsere Zeit entstanden in der Wildnis Amerikas in Bibertälern noch solche Wiesen mit einem Ausmaß von vielen Morgen.

Geschäftetes Beil und geschäfteter Hammer aus der Domhofsiedlung

Stirnzapfen vom Eiszeitrind aus der Gieseler, Geweihstange vom Rothirsch aus der Gieseler, Schädel vom Wildpferd aus der Gieseler und zwei Faustkeile aus der Domhofsiedlung

Durch die Tiere hatte der Mensch die salzhaltigen Quellen entdeckt, hatte den Wert des Salzes erkannt und besiedelte nun auch im Tal die Umgebung der Quellen. Die dem Namen nach bekannten, im Mittelalter untergegangenen Orte um Westernkotten und die unbesiedelten Flächen oberhalb des Hellwegs zeugen von der Anziehungskraft, die das Salz auf die Bevölkerung ausübte. Lag doch hier oberhalb des Hellwegs bis in unsere Zeit die größte unbesiedelte Fläche des Kreises Lippstadt, um die salzhaltigen Quellen in Westernkotten aber reihte sich Dorf an Dorf. Salzquellen bedeuteten Reichtum und waren schon in der Jungsteinzeit besondere Anziehungspunkte.

Die Gegend von Hallstatt im Salzkammergut wurde durch ihr Salz schon in alter Zeit zum ersten und reichsten Handelsplatz Mitteleuropas. Auch zu den Orten an der Gieseler bestanden sicher wegen des Salzes schon frühe Handelsbeziehungen. Bei Lippstadt fand man Meisterwerke steinzeitlicher Steinbearbeitung, z. B. den Lippstädter Faustkeil, der nach Fachgelehrten aus dem Norden hierhergekommen sein muss, und in der Siedlung am Domhof lag ein Gerät, wahrscheinlieh eine Hacke, aus ortsfremder Lava.

Händler brachten die Nachricht von dem Salzvorkommen am Hellweg in die Welt, und so kamen auch die römischen Kaufleute im freien Germanien an die Salzquellen; das beweisen die an einer Quelle in Westernkotten gefundenen 20 römischen Münzen aus den ersten drei Jahrhunderten nach Christi Geburt.

Auch im frühen Mittelalter wird das Salz seine Wirkung getan haben, denn wir besitzen vom „Roggenkamp“ südöstlich des Ortes eine Nachricht, dass dort vor 100 Jahren Gräber mit Beigaben des 7. oder 8. Jahrhunderts beobachtet wurden. Vielleicht haben die Höfe der hier Bestatteten schon auf der Stelle des heutigen Dorfes gelegen.

Noch in der Neuzeit wurde um wertvolle Salzquellen erbittert gekämpft, und auch den Siedlern an der Gieseler sind Kämpfe gewiss nicht erspart geblieben. Bauern schufen diese Siedlung, und die in der alten Pfännerschaft zusammengeschlossenen Salzberechtigten blieben Bauernsälzer bis auf unsere Tage. Dass auch der Adel zu den Salzberechtigten in Westernkotten zählte, ist nicht so wichtig. Älter als Adelsbriefe sind die „Urkunden aus Stein“, überzeugende Beweise für das uralte Bauerntum der Sälzer in Westernkotten und für die unendliche Reihe bäuerlicher Ahnen ihrer Geschlechter.

Das schönste Wappen in der Welt, das ist der Pflug im Ackerfeld! Ehre dem Andenken des unbekannten Siedlers, der oberhalb des Domhofes zum ersten Mal den Pflug in den Boden stieß!

Theodor Mertens