1992: Das Tretrad

Von Heinrich Ferdinands [Abdruck in: Aus Kuotten düt un dat; Nr. 44 v. Oktober 1992]

Was springt und sprudelt aus tiefem Grund,

wie lang hielt’s die Erde geborgen?

Das Wasser, wie salzig schmeckt es im Mund,

am Abend quillt es und Morgen.

Seit tausend Jahren sind schon bekannt,

in Westernkotten die Stellen,

was mancher in alten Schriften fand,

die überaus salzigen Quellen.

Was wäre das köstliche Leibgericht,

was wäre das herrlichste Essen,

selbst einem Lukullus schmeckte es nicht,

wenn die Hausfrau das Salz hat vergessen.

Drum holet hervor das flüssige Gold,

das uns der Herrgott gegeben,

ja, Salz, wie klingt dein Name so hold,

ein jeder braucht es zum Leben.

Man baute Brunnen weit und rund,

die Quellen sollten sich einen,

hervor ans Licht, aus der Erde Schlund,

die Sonne soll es bescheinen.

Und Buchenstämme, wie lang, wie schwer,

die stehen dort oben gerichtet,

die schwarzen Dornen stechen sehr,

doch sorglich sind sie geschichtet.

Nun tröpfle, Wasser, von Dorn, zu Dorn,

der Sonnenwind muß es belecken,

durch Rohre läuft es zum Siedehaus vorn,

man kocht es in eisernen Becken.

Doch wer treibt das Wasser hinauf zur Höh‘?

Zum Leckhaus, die dreißig Ellen?

Kein Dampf und kein Motor – oh weh!

Wer wird zum Pumpen sich stellen?

Ein Tretrad sieht man- wie riesengroß!

Vom Meister ließ man es bauen,

ist das nicht ein trauriges Erdenlos!

Zum Treten darin drei Frauen!

Die Pumpen stöhnen, im gleichen Tritt,

sie halten sich schulterumschlungen,

so treten und beten die Frauen zu dritt,

bis die Abendglocken erklingen.

Die bloßen Füße, oft waren sie wund,

doch später bedeckten sie Schwielen,

doch keine Klage kommt aus dem Mund,

die gehen in den sklavischen Spielen.

Eine Stunde, dann heißt es: Ablösung vor,

nun mögen sie Ruhe sich gönnen.

Drei andere schieben durchs kleine Tor,

ans Rad, das Treten sie kennen.

Die Ersten sitzen nun auf der Bank,

von Müdigkeit sie einnicken.

„Das geht nicht – wir sind jung, nicht krank!“

Gleich sind sie am Stricken und Flicken.

Seht dort, Frau Trude, wie still und bleich,

ertragen muß qualvolle Stunden.

Ihr Mann verschollen im Kriegsbereich,

verblutend in schmerzenden Wunden.

Doch als er zog ins feindliche Feld,

die Worte ins Herze sich gruben:

„Sehn wir uns nicht mehr in dieser Welt,

doch sorge für die drei Buben.“

Erfüllt das Versprechen, gedenket der Pflicht,

und sorgt für den hungrigen Magen.

Nein, nein, am Brote mangelt es nicht,

wie muß sie durchs Leben sich schlagen.

Die Schelle tönt – wie klopft ihr das Herz,

den Strickstrumpf legt sie zur Seite.

In tiefer Brust, welch stechender Schmerz! –

Oh Herr, gib mir das Geleite!

Die Frauen treten im gleichen Schritt,

sie halten sich schulterumschlungen.

Ein Schrei! Ein Fall! Dort in der Mitt‘,

Frau Trude hat ausgesungen.

Ein Herzschlag machte dem Leben ein End,

das Tretrad schnellte zurücke,

wie krampfhaft verschlungen die fleißigen Händ,

da lag sie mit starrendem Blicke.

Drei Buben kamen nun angerannt,

mit markerschütterndem Weinen,

sie küßten der Mutter die Stirne, die Hand,

doch wer sorgt nun für die Kleinen?

Wie dumpf die Glocken, der Grabgesang,

es rinnet das Leben geschwinde,

das war Frau Trude – ihr letzter Gesang,

nun ruht sie im Schatten der Linde.

Kein Kreuz und auch kein Leichenstein,

hart war ihr die Armut gemessen,

hier ruht nur das arme Mütterlein,

bald ist sie vergessen, vergessen.

Doch seht, wer geht zum Pförtchen hinein,

zum Grabe, das Freunde ihr gruben,

es pflanzen Blumen, Vergißnichtmein,

drei arme, verlassene Buben.