1974: 125 Jahre imkerliche Verbandsarbeit im Rheinland und in Westfalen

Von Paul Cordes, Lüdinghausen

Aus: Imkerverband Rheinland e.V./ Landesverband Westfälischer und Lippischer Imker e.V. (Hgg.): Festschrift 1849-1974, Bonn 1994 [mit zahlreichen Fotos und Textbeiträgen zu Bad Westernkotten; u.a. ein Aufsatz von Paul Cordes, Lüdinghausen, unter dem Titel „125 Jahre imkerliche Verbandsarbeit im Rheinland und in Westfalen – in Auszügen – WM]

Titelseite der Festschrift aus dem Jahr 1974

A. Die Gründerjahre 1849 bis 1886.

In den letzten 125 Jahren hat sich in der Imkerei ein Fortschritt vollzogen, wie er in 1000 Jahren vorher nicht zu verzeichnen war. Dieser rasche Wandel begann zugleich mit der industriellen Revolution sowie mit der Ausweitung und Ertragssteigerung der landwirtschaftlichen Produktion durch Urbarmachung und Anwendung künstlicher Düngemittel. Die Französische Revolution hatte sich auch auf die Nachbarländer ausgewirkt.

An dem imkerlichen Fortschritt ist der Verband maßgebend beteiligt, den die rheinischen und westfälischen Imker vor 125 Jahren gegründet haben. Seit Jahrhunderten hielt man die Bienen als Süßstoff- und Wachslieferanten in Klotzbeuten und Körben, bevor nach 1840 Johannes MEHRING und der Graveur SCHOBER die Mittelwand erfanden, von BALDENSTEIN Versuche zur Begattung mit reinrassigen Drohnen machte, Dr. Johannes DZIERZON den beweglichen Bau einführte und Freiherr von BERLEPSCH das Wabenrähmchen als Voraussetzung für die fortschrittliche Berlepsch-Beute erfand.

Naturverbundene Menschen aus fast allen Berufskreisen nutzten die Bienenhaltung als Nebenerwerb oder Liebhaberei; man unterschied zwischen ‚Volks- und Meisterbienenzucht”. Auf den Bauernhöfen und in vielen Gärten in Stadt und Land standen Bienenhäuser. Trotz überreichen Trachtangebotes wurden bei der extensiven Betriebsweise nur mäßige Honigerträge erzielt. Erst die Erkenntnisse von Wissenschaft und Praxis brachten Licht in die Geheimnisse der Bienenbiologie und regten zu grundlegenden Verbesserungen der Betriebsweise an. Mit der Intensivierung der Landwirtschaft änderten sich auch die Trachtergebnisse. In dieser Zeit entstanden die ersten Imkervereine.

Nach der Märzrevolution 1848 und der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 war die Vereins- und Pressefreiheit eingeführt worden. Demokratische Bestrebungen hatten weite Bevölkerungskreise ergriffen. Im Sog dieser Bewegung fassten sieben „„Volksfreunde aus dem Raume Lippstadt” am 5. Juli 1849 den Entschluss, „dem armen Manne zur Vermehrung seiner Einnahmen behülflich zu sein durch Verbreitung und Verbesserung der Bienenzucht”. Es waren: FREMPLEAUX, Erwitte, STORK und EICKELBUSCH, Böckenförde, HENSE, KÖHNE, Fritz und Franz ERDMANN aus Westernkotten. Zusammenkünfte sollten die Teilnehmer mit fortschrittlichen Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Bienenzucht und -haltung, besonders aber mit der Dzierzonschen Methode, bekanntmachen.

„Extra-Beilage“ aus der Tageszeitung „Der Patriot“ vom Juli 1949

Nach gründlichen Vorarbeiten dieser „sieben Aufrechten” kamen Lehrer Dietrich FELDHEGE, Benninghausen ‚Rentmeister Franz ERDMANN, Westernkotten, Arzt Dr. Friedrich KIPP-Unna, Lehrer TECKHAUS, Deiringsen, Rendant FREMPLEAUX, Erwitte, Gemeindevorsteher FÄRBER, Benninghausen und ORSBACH, Erwitte am 22. Juli 1849 in Westernkotten zusammen und gründeten den „neuen

demokratischen Club”. Sie beschlossen die Herausgabe einer Bienenzeitung, jährliche Besichtigung eines Bienenstandes mit Dzierzon-Stöcken und intensive Werbung zwecks Gründung von Filialvereinen.

Auf Betreiben des ersten Vorstehers FELDHEGE wurde auf der Generalversammlung am 19. September 1849 in Benninghausen die Seidenzucht in das Vereinsprogramm aufgenommen, da die Seidenzucht eine größere Wirtschaftlichkeit als die Bienenzucht versprach.

Deshalb nannte man den Club: „VEREIN FÜR BIENENZUCHT UND SEIDENBAU”. In der Lippstädter Lokalzeitung „„Der Patriot” vom 1. August 1849 erschien ein Aufruf von Lehrer FELDHEGE mit dem Titel „Die wahren Demokraten”, der von anderen Lokal- und Fachblättern übernommen wurde. Daraufhin bildeten sich in Unna, Hamm, Derne, Werl, Asseln und Wellinghofen in Westfalen, in Merzig und Orsoy im Rheinland Lokalvereine. Auf der 2. Generalversammlung im Herbst 1849 in Benninghausen erhielt der Verein den Namen „Westphälisch-Rheinischer Verein für Bienenzucht und Seidenbau”. Dies war die Geburtsstunde des Verbandes, dem 1850 bereits fast 500 Mitglieder angehörten. Das Vereinsblatt mit einer Auflage von 500 Stück (später 1000) erschien zuerst monatlich, dann alle zwei Monate. Bereits im Herbst 1850 ging die Vereinsleitung auf HILGER (Kreis Recklinghausen) über, der bald danach ins Rheinland übersiedelte.

Sein Nachfolger wurde 1851 Dr. med. KIPP-Unna, der von FELDHEGE auch die Herausgabe des Vereinsblattes übernahm. Der Jahresbeitrag betrug bis 1852 50 Pfg, später 60 Pfg. Neben der Förderung der Bienenzucht

wurde auf die Verbreitung des Seidenbaues besonderer Wert gelegt. 1852 verteilte der Verband 2 Pfund Maulbeersamen und für 6 Thaler Bücher über Bienenzucht und Seidenbau, danach auch Maulbeerpflanzen und ab 1855 Seidenspinnerraupen („Grains’’). Bis 1855 führte man die Maulbeerpflanzen aus Italien ein, danach wurden sie auf einem vereinseigenen Grundstück bei Unna (1 1/2 Morgen groß, Kaufpreis 515 Thaler) vermehrt.

Den eifrigen Bemühungen um die Hebung der Seidenzucht blieb jedoch der Erfolg versagt. Die klimatischen Verhältnisse waren der Entwicklung des Maulbeerbaumes und der Seidenraupe nicht zuträglich; infolge eines seuchenhaften Massensterbens der Raupen fand die hoffnungsvolle Seidenzucht ein jähes Ende.

Nun wandte sich der Verband mit besonderem Eifer der Förderung der Bienenzucht zu. Im Vereinsblatt wurden vornehmlich die Lehren DZIERZONS veröffentlicht. 1856 nahm TECKHAUS an einem Lehrgang beim ‚Bienenbaron” von BERLEPSCH in Seebach teil, um „die neue Bienenzucht zu erlernen und sie dann zum Nutzen des Vereins zu verbreiten”. „„Lust und Liebe zur rationellen Zucht wuchs mit der Erkenntnis der Lebensbedingungen der Biene, und viele Mitglieder teilten ihre Beobachtungen und Erfahrungen im Vereinsblatt mit.”

Ab 1858 wurden jährlich Generalversammlungen in Westfalen und im Rheinland abgehalten. Die erste rheinische Versammlung fand 1858 in Düsseldorf, die westfälische in Lippstadt statt. Seitdem bildeten je drei rheinische und westfälische Mitglieder den Vorstand. Zum bisherigen Vorstand (Dr. KIPP, TECKHAUS, NORDHOFF) wählte man die Rheinländer STERNBERG-Velbert, ANZINGER, Mühlheim/Ruhr und ILLING, Düsseldorf. In beiden Provinzen hielt Bienenmeister TECKHAUS Lehrkurse ab, welche die Bienenzucht erheblich gefördert haben.

Unter dem Vorsitz von Dr. KIPP entwickelte der Verband eine fortschrittliche Breitenarbeit. Mit seinem Tode am 21. Januar 1869 verloren die Imker „den Schöpfer der westfälischen Bienenzucht”. Es setzte ein Rückgang der westfälischen Mitgliederzahlen ein. Sein Nachfolger wurde STERNBERG, mit dem sich der Schwerpunkt der Vereinsarbeit zum Rheinland verlagerte. Der Verband nannte sich nun ‚, Rheinisch-Westfälischer Verein für Bienenzucht”. Er beging 1874 das 25-jährige Bestehen in Unna. „Hier und da wurden neue Vereine gegründet, während andere spurlos verschwanden.”

Infolge der territorialen Ausdehnung des Verbandes wurde eine enge Verbindung der Zweigvereine untereinander und mit dem Hauptverein immer schwieriger…“