1990: Aufzeichnungen zum Ende des 2.Weltkrieges in Westernkotten

Aus: Aus Kuotten düt und dat, Nr. 30, 1990

1990: Aufzeichnungen meines Vaters, Friedrich Maßolle, zum Ende des 2.Weltkrieges in Westernkotten im Jahre 1945

Zum Nachlass meines Vaters gehört ein kleines Notizbuch, in dem er die letzten Kriegsereignisse in Bad Westernkotten schildert.

Ostersonntag, 1. April 1945

Vormittag alles ruhig. Gottesdienst wie an allen anderen Sonntagen. Feindpanzer in Lippstadt gemeldet.

11.30 Uhr freie Ausgabe von Ausrüstungs­stücken in der Flakkaserne in Lippstadt. Vor dem Essen fuhr ich auch mit dem Fahrrad hin. Jeder holte, was man tragen konnte. Mäntel, Röcke, Pullover usw. Jeder nahm sich, was er tragen konnte. Gegen 15 Uhr hieß es: „Lippstadt ergibt sich kampflos.“

Gleichzeitig begann in Westernkotten die Verteidigung. Die Bevölkerung war in großer Aufregung, Eine Kompanie Panzerjäger besetzte den Ort und die Ein- und Ausgänge. Gegen 15.30 Uhr im Gelände Mönnig beim Stauwerk 3 – 5 feindliche Panzer. Das Feuer darauf wurde von unseren Truppen eröffnet. Die Panzer zogen sich hierauf wieder nach Lippstadt zurück. Der Schluss des Tages blieb bis auf kleine Ereignisse ruhig, Wir haben uns einige Stunden schlafen gelegt.

2. April 1945

Um 6 Uhr und 7.15 Uhr am Gottesdienst teilgenommen (Ostermontag). Am Morgen alles ruhig, Gottesdienst um 6 Uhr, 7.15 Uhr und 8.30 Uhr, Von Soldaten nichts mehr zu sehen. Gegen 8 Uhr fallen aber von Mönnig her wieder Schüsse. Nach ruhigen Stunden fiel um 11.30 Uhr eine Granate und bei Franzwilmes’ (Mintert) Mauer. Gleichzeitig Gewehrfeuer von der Reichsstraße B 55.

13 Uhr Fortdauer des Ari- und MG- Beschusses. Richtung Preister/Gieselerübergang; bis 16 Uhr nur vereinzeltes Schie­ßen. Ab 16 Uhr stärkeres Ari-Feuer. Dann bis zur Dunkelheit etwas abflauend. Gefangennahme eines Sanitätsautos und bei Abführung zum Kompanie-Gefechtsstand wieder abgehauen durchs Muckenbruch. 21.30 Uhr Leuchtkugel und Ari-Beschuss. 22 Uhr Besuch durch Wilhelm Kemper (Durik) (Soldat), suchte als Melder von Belecke kommend seine Schwester Maria.

3. April 1945

Nachts nochmals die Kellerfenster gut verrammelt. Steine von Kessings Bau­stelle geholt. Als alles in Ordnung war, uns unter den Schutz der Gottesmutter ge­stellt. Dann begaben wir uns wieder in den Keller. Lager für die Kinder fertig ge­macht. Bis Mittag nur vereinzelt Ari-Feuer und MG-Garben. 14 Uhr Treffer bei Hoppe-Nucke, 16.30 Uhr stärkeres Ari-Feu­er. In den frühen und späten Abend­stunden nur vereinzelt Schüsse. Die ganze Nacht im Keller zugebracht.

4. April 1945

Beim Hellwerden wieder lebhaftes Feuer. Eickmanns Frauen, die bei Engelbert Schröer die Nacht zugebracht hatten, schnell nach Hause gebracht. Nach Kohlen bei Eickmann und Köhne gefragt. 11 Uhr ziehen sich die Soldaten bei Kloßebaum  mit ihren Geschützen zurück. Angeblich zur Reichsstr. 55, Einnahme des Mittagessens in der Küche, Verhältnismäßig ruhig. Um 15 Uhr Anrücken der Amerikaner. Von der Mühle aus von Eickmann in Empfang genommen. Um 18 Uhr die erste Bekanntmachung durch Markoni von der Ortskommandantur. Ausgehverbot von 18 – ­8 Uhr. In der Nacht etwas im Bett geschlafen, In den Abendstunden Durchsuchung unseres Hauses (wie auch alle anderen) von 3 Soldaten nach Waffen und Soldaten. Des nachmittags Schützenhalle ausgeraubt.

5. April 1945

Bekanntmachung durch Markoni: Ablieferung von Schusswaffen und Munition. Ausgehverbot von 19 bis 7 Uhr, Verbot von Ansammlungen usw. Im Hause etwas auf­

geräumt. Zum Arbeiten keine Lust. Des mittags müssen hier an der Nordstraße folgende

Einwohner ihre Häuser räumen: Hoppe-Kloßebaum, Heinrich Schröer. Friedrich Wiese mit Ferd. Schäfers und Mergemeier. Wiese und ein Kind von Mergemeier bei uns aufgenommen. Eine große Überstürzung! Die Wohnungen sollten in 1 Stunde geräumt sein. So wie bei uns hier an der Straße ist es an allen Dorfeingängen gegangen. Die ersten 4 brauchbaren Häuser wurden genommen, In der Bruchstr. Fritz Pilk und Ferdinands. An der Kreisstraße zum Hellweg: Erdmann, Spiekermann u. Schrop. Zum Bahnhof raus: Volmer u. Speckemeier. Beim Räumen Friedr. Wiese und Frau Schäfers etwas geholfen. Wiesen zeigen sich für die Aufnahme recht dankbar. Nachdem alles so gut es ging untergebracht war, zu Abend gegessen und alle gebetet und gut geschlafen.

6. April 1945

Der Ausverkauf in den Geschäften hat be­gonnen. Else muss sich mächtig anstrengen, um überall etwas zu erwischen, Gleichzei­tig haben die Plünderung und die Dieb­stähle durch Ausländer in Zivil eingesetzt. Das Haus muss immer fest verschlossen bleiben. Hier an der Straße fehlen Merge­meier 10 Hühner, Becker 5 und 1 Gans. Bei Kessing rauben sie im Geschäft. Frau Franz Wieneke, die zum Dornhof geflüch­tet war, ist dort zu Tode gekommen. Kurz vor Mittag für Schäfers noch einige Sachen (wie Eingemachtes und etwas Vorrat an Eßbarem) zur Schule gebracht. Die kleine Renate hat Sonntag, wie alle die Kinder, den Tag ihrer Erstkommunion. Wir sahen bis jetzt viel Elend, aber auch recht viele hilfsbereite Hände. Am Nachmittag mit Friedr. Wiese die Bäume (von der Panzer­sperre) bei Kloßebaum fortgeholt als Brennholz. Diese waren dort angefahren und als Panzersperre vorgesehen. Die Plünderungen, namentlich durch Russen, nehmen überhand. Geschäfte und Bäcker können kaum noch offen machen. Fahr­räder werden Kindern und Frauen gewalt­sam entrissen, Niemand weiß, ob er sich wehren darf. Gewalt geht vor Recht!

7. April 1945

Bei Tagesanbruch gehen die Plünderun­gen weiter. Bei. Hoppe-Nucke sind 22 Schaf­e abgeschlachtet. Bei Heinrich Schröer 2 Schweine. Das Eingeweide bleibt an Ort und Stelle liegen. Die wertvollen Teile werden gebraten und mitgenommen. Gegen Mittag ist kaum noch jemand Herr im Hause. So in höchster Not setzt die Selbst­hilfe ein. Einige beherzte Männer tun sich, mit Knüppeln versehen, zusammen und es gibt Hiebe. Als die Amerikaner auch noch abziehen und die beschlagnahmten Häuser räumen, reißen sich die Bewohner zu­sammen. Die Plünderer kriegen Schläge und bald ist das Dorf. blank gefegt. Für die Nacht sind 12 Mann Wache vorgesehen und erlaubt.

8. April 1945

Weißer Sonntag: Die Nacht war ganz ruhig. Um 6.15 Uhr Alarm der Nachbarn. Scharen von Ausländern kommen: Der größte Teil mit leeren Säcken zum Rauben und Plündern. Sofort auf die Straße. Heinr­ich Brock, Engelbert Schröer und Ich trie­ben einen Teil wieder zurück zum Kloße­baum.

Aus dem Dorf und hier von der Straße waren mittlerweile alle Männer auf den Beinen. Aber auch etwa 100 Russen. Als die Russen nicht weichen wollten, begann die Keilerei. Es gab Schläge und die Russen bekamen es mit der Angst. Dann lief­en sie, von uns verfolgt, etwa bis zum Wege in die Suke. Als wir von Ihnen ließen, warfen sie eine Eierhandgranate zu uns, die mitten auf der Straße explodierte. Wir hallen mit einigen beherzten Männern gesiegt und hatten darin Ruhe, da sich die Russen verzogen. Feiglinge! Sobald man ihnen die Stirn bietet. Bis Mitt­ag kamen nur noch vereinzelt Ausländer von hier her ins Dorf. Die Nacht hatte ich Nachtwache zusammen mit 10 Mann (mit weißer Armbinde versehen). Von der Ortskommandantur Erwitte, zu der auch Wes­ternkotten gehörte, genehmigt. Die Nacht blieb ruhig. Am Nachmittag Akazienbäu­ne als Brennholz bei der Gieseler umgehauen.

9. April 1945:

Vormittags Kleeschulte geholfen, Kartoffeln aus der Miete am Sauerländerweg zu ho­len. Mittag Russensturm geläutet. Wering­hoff wird überfallen. Jakobi, Erwitter warte, ist total ausgeraubt. Er selbst zieht mit der Familie ins Dorf zu Westerfeld. Nachmittags verkauft König (Saline) Kohlen und Salz an jedermann, soviel wie man sich holt. Else und ich sind 2 Mal mit dem Handwagen hingefahren und Kohlen und 2 Sack Salz geholt. Am Abend um 8 Uhr bestellt Markoni, falls Sturm geläutet wird, soll ich die Leute in den Häusern Nr. 114 – 124 wecken und zur Abwehr gegen die Russen führen.

10. April 1945

Alarm und Russensturm den ganzen Tag über.

11. April 1945

Frühmorgens wird Alarm geläutet. Hoppe­-Kloßebaum wird gestürmt und ganz aus­geraubt. Sämtliche Lebensmittel und das ganze Vieh mitgenommen. Bei dieser Gelegenheit große Schlacht. Die Russen, die noch auf dem Hof waren, werden feste verdroschen. Es gab Schwerverletzte. wenn nicht sogar Tote. Rückzug von uns durch die Gieseler. Wiese und Schäfer fangen wieder an zu räumen und bringen uns einige Sachen. Um 10 Uhr schnell von Bö­kenförde Saathafer geholt. Dort sind dieselben Zustände wie hier. Der Rest des Ta­ges einigermaßen ruhig.

12. April 1945

Beim Hellwerden Ansturm von Russen in unzählbaren Mengen aus Richtung Lipp­stadt. Die Bewohner hier sind ihnen schutz­los preisgegeben. Mit 5 Rindern und 6 Zie­gen kamen sie bisher hier vorbei. Die Be­völkerung behält nichts.

So weit man hier die Straße übersehen kann, trägt alles Mehlsäcke, Eingemachtes, Fahrräder, Motorräder und alles, was sich denken lässt. Bei Engelbert Schröer machen sie im Garten die Kartoffelmiete leer. Heu­te war der schlimmste Tag, Entsetzliches macht die Bevölkerung durch.

Jetzt um 10 Uhr kommt eine amerikanische Streife. Sie fährt bis Kloßebaum und  kommt zurück. Ob der Plünderung Einhalt geboten wird? Gott helfe uns weiter. Die Plünderung hält den ganzen Tag über an. Alles wird geraubt und zerschlagen. Um 18 Uhr wird eine Kommission nach Erwitte geschickt, um dringend Hilfe zu erbitten. Fr. Erdmann, Heinrich Schröer und ich fah­ren mit Deimels Kutsche hin. Zuerst bei Bürgermeister Maurer vorgesprochen. Der war aber abwesend. Dann zum Ortskommandanten und unsere Angaben zu Protokoll gegeben. Danach noch versucht, den amerikanischen Kommandanten in Lippstadt zu sprechen. Der Posten in Lippstadt ließ uns aber nicht mehr durch, weil es in­zwischen 21 Uhr geworden war.

13. April 1945

Beim Hellwerden kommen die Russen zu Tausenden: wieder und die Plünderung gehen im Großen weiter. Alles wird ge­stohlen. Ich sah zum Beispiel hier vorbeiziehen: 20 Stück Rindvieh, ohne Schweine und Schafe, Pferdefuhrwerk, Autos, Fahrräder, Hand- und Kinderwagen. Es gibt Haushalte, die weder Teller noch Tassen se haben. Brot ist nur noch in wenigen Familien. Trotz Zusage hilft uns keiner.

14. April 1945

Um 7 Uhr geht es weiter wie an den vor­hergegangenen Tagen. Tausende von Russen fallen von Kloßebaum her ins Dorf. Man spricht von 20 000 Russen, die in der Umgebung und in der Flakkaserne in Lipp­stadt liegen sollen. 

Um 7.30 Uhr erscheint Rettung. Ein amerikanisches Auto, mit Maschinengewehren

und Soldaten mit Pistolen bewaffnet, nähert sich und schießt einige Salven. Sofort stutzt alles und macht kehrt. Langsam werden die Russen zurückgedrängt bis hinter Kloßebaum. Beim. Zurückfluten werden von ihnen in den Gärten noch alle Johanneszwiebeln ausgerissen. Nachdem die Streife noch einige Male durchs Dorf fuhr, blieb es heute erträglich. Mutter backt uns im Küchenherd ein Brot. Seit einigen Tagen kann ich das Haus nicht mehr verlassen, weil Mutter und Else allein Angst haben.

Vierzehn Tage sind nur vergangen, seitde­m unser Leid begann. Niemand weiß, ob es morgen dasselbe ist. Ob er morgen noch zu leben hat, oder vor dem Nichts steht. Gott helfe weiter.

15. bis 19. April 1945

Im Großen und Ganzen gesehen war es erträglich. Wohl kamen noch vereinzelt Plünderungen vor, doch konnte die Bevölkerung aufatmen.       

20. April 1945

Hitlers Geburtstag. An diesem Tag setzte die Plünderung wieder im Großen ein. Schätzungsweise mehrere Tausend Russen überfielen gegen 6 Uhr unser Ort und räuberten wieder alles, was sie fassen konnten. Hier an unserem Haus kamen wieder 42 Stück geraubtes Rindvieh vorbei. Viele Bewohner wurden wieder restlos ausgeraubt.

Um 9.30 Uhr erschien die amerikanische Wache und gebot Einhalt. Der Rest des Ta­ges war ruhig.         

21. und 22. April 1945

Alles wieder ziemlich ruhig.

23. April 1945

An diesem Tage musste die Schule mit Probst, sowie Kleeschulte, Kessing, Wirtschaft Dietz und Kurhaus Wiese, Riekenbr­auck und Licht, räumen für die amerikanische Besatzung, Kleeschulte zogen zu uns. Ein Tag voller Aufregung und großem Durcheinander.

Nachmittags um 17 Uhr Versammlung bei Besting. Ansprache des Amtsbürgermeisters Spannan und Wahlen als Bürgermeister und die Mitarbeiter für die Gemeindever­tretung.                       Josef Maßolle