1958: Im Tale der Pöppelsche

Ohne Verfasserangabe; in: Hellweg und Haar 1958, S. 41-43

Im Zeitalter des Automobils strebt der Erholung suchende Mensch in die Ferne. Zum Wochenende fährt man in großen Omnibussen Hunderte von Kilometern zum Rhein, zur See, nach Süddeutschland oder zu irgendeinem anderen Ziele, das möglichst weit von der Heimat entfernt ist. Viele Stunden sitzt man im Auto, die verschiedensten Landschaften gleiten flüchtig am Auge vorbei — kaum gegrüßt, gemieden —, und müde trifft man in der Nacht wieder in der Heimat ein. Die Fahrten in die Ferne haben das Wandern in der engeren Heimat unmodern gemacht. Ist es nicht widernatürlich, die Fremde zu kennen und der Heimat fremd zu werden? Man vergisst, dass die eigene Heimat auch landschaftliche Schönheiten aufweist, deren Erforschung mehr erholt, erfrischt und bildet als eine Kurzfahrt in die Ferne.

Wer wanderte schon einmal durch das Tal der Pöppelsche? Eine Umfrage bei der Jugend unserer engeren Heimat würde erschreckende Ergebnisse bringen. Und doch ist gerade die Pöppelsche einer der reizvollsten und eigenartigsten Flussläufe im Kreise Lippstadt. Die Pöppelsche entspringt auf der Haarhöhe, nahe der Stelle, wo die Bundesstraße 55 sich zum Möhnetale senkt. Zunächst durchfließt sie den Nettelstädter Wald, schneidet zwischen Berge und Weickede die Straße Erwitte-—Rüthen, nimmt kurz darauf auf der rechten Seite den Hoinkhauser Bach auf und erreicht nach vielen Windungen bei Eikeloh den Hellweg. Jenseits des Hellwegs fließt sie bei Bökenförde in die Gieseler.

Von Berge an ist das Tal etwa 100 m breit und 20 m tief, verengt sich aber zum Hellweg hin bis auf 10 m. Das Bachbett erreicht stellenweise eine Tiefe von einem Meter. Was macht nun diese Landschaft so eigenartig und reizvoll? Wir steigen ins Tal hinab, finden ein tief eingeschnittenes Bachbett, aber kein Wasser. Wir sehen, wie überall durch die Kraft des Wassers der Boden und das weiche Kreidegestein ausgespült wurden, Wasser aber entdecken wir nicht. Die Pöppelsche ist das Musterbeispiel eines Trockentals. In den trockenen Sommermonaten versickert das Wasser sogleich in dem klüftereichen Kreideuntergrund, und das Bachbett bleibt völlig trocken. In niederschlagsreichen Zeiten und vor allem nach heftigen Gewittern dagegen strömen starke Wassermassen zu Tal und führen Erdreich und Schotter mit sich. So konnte sich im Laufe der Zeit ein tiefeingeschnittenes Tal bilden. Wie gefährlich die Pöppelsche nach heftigem Gewitterregen werden kann, kündet ein altes Steinkreuz in der Nähe des Domhofes. Hier wurden vier Personen plötzlich von Wasserfluten überrascht und ertranken. Da die Kreideschichten fast horizontal liegen und in Richtung des Flusslaufs schwach einfallen, könnte man glauben, das Bachbett sei

künstlich mit Steinplatten ausgelegt. Hier findet man allerlei Versteinerungen, die das Wasser freigespült hat, vor allem Seeigel und große Muscheln. Die Talsohle zu beiden Seiten des Bachbettes zeigt Trockenrasen, der nur geringe Weidegelegenheit bietet. An den Steilabfällen wechseln schroffe Kalksteinklippen mit allerlei Baum- und Strauchwerk.

Eine Gruppe Wacholdergesträuch in der Nähe des Domhofes wurde unter Naturschutz gestellt. Wer einmal an einem heißen Sommertag in der Mittagszeit in einem Steinbruch sich aufhielt, weiß, welche Hitze die Steine ausstrahlen. In der steinreichen Pöppelsche bewirkte diese starke Wärmestrahlung die Bildung einer besonderen Pflanzenwelt. Die Talsohle und vor allem die Steilabhänge sind für Sammler Fundgruben seltener Gewächse. In der Einsamkeit und Abgelegenheit des Tals konnte sich die Pflanzenwelt ungestört entwickeln. Das stille Tal ist auch eine Zufluchtsstätte für allerlei Wild und seltene Vogelarten.