1957: Probst, Wilhelm (verst.): Der Anstreicher; in: HB 39 (1957), S. 112

Der Anstreicher
Vor einigen Jahren besuchte mich ein Professor, der ein berühmter Maler war. Ich musste ihm traute Winkel und die Sehenswürdigkeiten unseres Dorfes zeigen, die er mit dem Blicke eines Künstlers betrachtete und prüfte, ob es sich lohne, sie auf die Leinwand zu zaubern. Er interessierte sich auch für altes Brauchtum und was damit zusammenhängt. Bei einem Gang durch das Dorf begegnete uns ein Bauer, der mehr als achtzig Jahre auf dem Rücken hatte, aber noch flink auf den Beinen und frisch im Kopfe war.
Ich machte den Professor von weitem schon auf den Alten aufmerksam und sagte ihm: „Den müssen wir ansprechen, der kann ihnen manches erzählen.” . Ich machte die beiden miteinander bekannt umd stellte meinen Begleiter vor als Professor der Maler-Akademie in Kassel. Der Professor trug einen sehr hellen Sommermantel.
Da sagte der Bauer, Iustig mit den Augen zwinkernd, zu ihm: „Das babe ich mir gleich gedacht, dass sie ein Anstreicher sein würden, weil sie doch so’n weißen Kittel anbaben.“