1949: Die Pest in Westernkotten

Von Heinrich Eickmann

In: Eickmann, Heinrich, Die Pest in Westernkotten; in: HB 31 (1949), S. 11-12

Das Jahr 1635 ist unauslöschlich in die Geschichte Westernkottens eingetragen. Der große Würger aus dem Orient, die Pest, war auch nach hier eingeschleppt worden. Niemand wurde verschont. Männer und Frauen in der Vollkraft der Jahre, Greise, Kinder in der Blüte der Jugend, sie alle wurden dahingerafft. Jede Ordnung war aufgelöst, Westernkotten glich einem großen Leichenfelde. Die Leichen hatten ein schwarzgraues Aussehen und verbreiteten einen widerlichen Geruch. Beerdigt wurden sie auf dem „alten Kirchhof“ bei der untergegangenen Siedlung Aspen. Viele Bewohner flüchteten aus dem Dorfe. So wird von einem Fräulein von Kleinsorge erzählt, die. auf dem Wege nach Bökenförde von der Pest ergriffen und vom Tode überrascht wurde. Als das Elend und das Grauen auf das Höchste gestiegen und kaum noch Leute zum Beerdigen der Leichen da waren, wandten sich die 18 Überlebenden in ihrer Not an die Mutter des Herrn, die Hilfe der Christen.

Geschichte des Lobetages

Im Jahre 1648 berichten die Westernkötter, die Pest habe damals in ihrem Dorfe gegen 600 Opfer gefordert. Sie schreiben dann weiter:

„Wenn die vergiftige pestileritz über die maißen sehr hieselbsten gewüthet hat und an die 600 persohnen Junge un altt durch den toid genohmen“ [1] Die Wahrheit der von Geschlecht zu Geschlecht weitergegebenen mündlichen Überlieferung wird auch bezeugt durch den Lobetagsbrief, der jedes Jahr bei der Lobetagsprozession verlesen wird und von dem mehrere Handschriften aus dem Beginn des 18. Jahrhunderts erhalten sind. [2]

Für die Echtheit des Lobetagsbriefes spricht auch eine Kopie aus dem Jahre 1727. Am Schluss dieses Lobetagsbriefes befindet sich eine Bemerkung, worin die Westernkötter den Dekan von Soest, Propst zur Lippe und Pastor zu Erwitte, Ashard Henrich von Buchholz, seinen Vicecutatus Bernhard Brudde zu Erwitte und dessen Kaplan bitten, dieses Gelübde zu ratifizieren und die Urkunde eigenhändig zu unterschreiben. [3]

Diese Angabe ist ein neuer Beweis für die Echtheit des Lobetagsbriefes, denn Gothardus Henricus von Buchholz war vom 7. Oktober 1627 bis 1643 Dechant des St.-Patrokli-Stiftes in Soest [4], und Pastor Brudde von 1629 bis 1662 Vicecurator in Erwitte. Dieser Erwitter Vicecuratus spricht in einer Randbemerkung von der „Processio in Westercotensic“ und führt an, dass bei dieser Prozession, da die Kapelle den Westernköttern zu klein sei, im Garten, auf dem Felde oder auf einer Wiese das hl. Messopfer gefeiert wird. [5]

Hier kann es sich nur um den Gottesdienst bei der Lobetagsprozession handeln. Im Erwitter Lagerbuch von 1653 findet sich schon die Notiz, dass „die votiva vulgo auf dem Lobetag zu Westernkotten“ dem Pastor ein Reichstaler, dem Kaplan ein halber Reichstaler, dem Küster und Lehrer je ein halber Reichstaler gegeben wird. [6]

Der Erzbischof von Köln hob am 16. November 1726 das Fest Maria Heimsuchung als gebotenen Feiertag auf und verlegte die äußere Feier auf den folgenden Sonntag. Die Westernkötter feierten aber trotzdem ihren Lobetag am 2. und 3. Juli weiter. Der Pastor von Erwitte beklagte sich darüber, dass die Westernkötter das Fest Maria Heimsuchung und ihren Lobetag an den alten Tagen feierten. Daraufhin richteten die Westernkötter eine dringende Eingabe an den Kölner Erzbischof und Kurfürsten Clemens August und bitten, nach altem Brauche feiern zu dürfen. In der Bittschrift, die der Syndikus Dickmann am 4. Juni 1727 für sie einreicht, berichten sie ausführlich über die Entstehung dieses Gelöbnisses. Sie betonen darin, dass nach dem Bericht der Überlebenden die Pest sofort nach dem abgelegten Gelübde aufgehört habe.

Sie bemerken auch, dass dieses Gelöbnis von der zuständigen geistlichen Behörde bestätigt sei. [7] Die Westernkötter bemerken in ihrer Eingabe weiter, der Andrang zur Beichte und Kommunion auch aus benachbarten Pfarreien sei bei diesem Fest so stark, dass fünf fremde Ordensgeistliche zum Beichthören und Predigen nötig seien. Auch viele Lippstädter kämen an diesen Tagen zu den Andachtsübungen nach Westernkotten.

Trotzdem verbot aber am 19. Juni 1727 der Generalvikar in Köln den Westernköttern, Maria Heimsuchung am 2. Juli zu feiern und am folgenden Tage Hochamt und Prozession zu halten.

Am 26. Juni verkündete Pastor Sprinckmeier diesen Erlass des Kölner Generalvikars in der Kapelle zu Westernkotten. [8]

In einer weiteren Bittschrift betonen die Westernkötter, das in der Pestzeit gemachte Gelübde würde jedes Jahr erneuert und sei daher verpflichtend. Sie bitten, die alte Übung, die hundert Jahre lang die Zustimmung aller vorhergehenden Kurfürsten gefunden habe, beibehalten zu dürfen. Sie verweisen auf die vom Papste für beide Tage bewilligten Ablässe und schließen.

„Die Einwohner der Gemeinde sind eingedenk des von den Vorfahren gegebenen und von ihnen selbst bestätigten Gelübdes und können nicht ohne Ängstlichkeit, Verwirrung und Gewissenbisse davon lassen.“ [9]

Darauf gestattete der Kurfürst und Erzbischof Clemens August am 3. Mai 1728 durch eine mit eigenhändiger Unterschrift und mit seinem Siegel versehene Urkunde, dass zur Vermehrung der großen Verehrung der Mutter Gottes in Westernkotten das Fest Maria Heimsuchung am 2. Juli öffentlich gefeiert und der 3. Juli als Votivtag begangen würde: Papst Benedikt XIII. gewährte am 15. September 1728 den Gläubigen, welche am 2. Juli die Westernkötter Kirche nach reumütiger Beichte und empfangener heiliger Kommunion andächtig besuchten und die gewöhnlichen Ablassgebete verrichteten, einen vollkommenen Ablass. Gleichzeitig bewilligte er den Gläubigen unter denselben Bedingungen auch am 3. Juli und an einem anderen Tage für den Besuch dieser Kirche und die Verrichtung der Ablassgebete einen Ablass von 7 Jahren und 7 Quadragenen. Erzbischofs Clemens August verordnete am 16. Dezember 1728 die Veröffentlichung dieses Ablassbreves in Westernkotten und den umliegenden Orten. [10] So konnten die Westernkötter ihren Lobetag an den altgewohnten Tagen nach alter Vätersitte festlich begehen. Durch das päpstliche Breve erhielt das Fest eine von der höchsten kirchlichen Obrigkeit anerkannte besondere Bedeutung.


[1] Archiv des Patrochstiftes in Soest Akten Nr. 23 im St. A. M

[2] Akte Westernkotten, II, 1 im Pfarrarchiv Erwitte und im Pfarrarchiv Westernkotten.

[3] Akte Erwitte im Erzbischöflichen Archiv Paderborn.

[4] Series De caussum Suratensium In Nr. 216 des St. A.M.

[5] Archiv des St. Patroklistiftes Soest, Akte N L 23 – im St. A.M.

[6] Akte Erwitte im Erzbischöflichen Archiv Paderborn.

[7] Akte Erwitte im. Erzbischöflichen Archiv Paderborn.

[8] Akte Erwitte im Erzbischöflichen Archiv und Akte Westernkotten II, 1 im Pfarrarchiv Erwitte.

[9]  Akte Westernkotten II, Nr. 1 im Pfarrarchiv Erwitte

[10] Akte Westernkotten II, Nr. 1 im Pfarrarchiv Erwitte