1964: Wie der Königshof Erwitte verwaltet wurde – Erst 1908 verschwanden die letzten Reste der Curtis

Von H. G. Ossenbühl

In: Heimatblätter 1964, S. 15

Dass der Name Erwitte (Arwitte) uns zuerst in der Zeit zwischen 854 und 877 begegnet, als ein Reddag dem Kloster Corvey einen dortigen Hof schenkte, ist gemeinhin bekannt. 935 bestätigte dann König Heinrich I. in Erwitte Paderborn die freie Bischofswahl. Außer Otto I. haben sämtliche Könige aus dem Ludolfingerhaus in Erwitte. geweilt und dort geurkundet. Dieser königliche Besitz hatte eine günstige Verkehrslage, denn hier schnitt die Straße von Köln nach Osnabrück den Hellweg.

Erwitte war eine curtis regia. Zum Jahre 1022 berichtet die vita Meinwerci, Bischof Meinwerk habe Kaiser Heinrich II. zur Feier des Weihnachtsfestes nach Paderborn eingeladen, um von ihm Erwitte curtem regalem zu erlangen. Erwitte stammte als Königshof bereits aus karolingischer Zeit und gehörte in die Reihe der Reichshöfe, die Karl d. Gr. am Verlauf des Hellwegs angelegt hatte. Schon früh wird in der Umgebung Reichsgut urkundlich beglaubigt. 833 schenkte Ludwig der Fromme dem Grafen Rihdag, der in der Nähe und wohl auch über Erwitte selbst seine Grafschaft hatte, drei Hufen in der villa Ismerleke (Schmerleke) und fünf Hufen in der villa Geiske (Geseke). Das Geschlecht dieses Ricdag war im 9. Jahrhundert reich begütert. Er gründete 845 südlich von Hildesheim das Kloster Lamspringe, dessen erste Äbtissin seine Tochter Ricburgis wurde. Seine Frau Imhilde aus dem Hause der Imedinge entstammte der stirps Widukindi. Ricdag besaß zahlreiche Grafschaften in der Diözese Paderborn. Diese wurden noch im 9. Jahrhundert unter die Haoldinger und die Grafen von Werl aufgeteilt. So ist es gekommen, dass die Grafen von Arnsberg aus dem Hause Werl die Grafschaft über Erwitte in Besitz hatten.

Die Reichshöfe dienten ursprünglich in erster Linie militärischen Zwecken. Später wurden sie zu Domänengütern. Zu einem Reichs- oder Königshof gehörten zahlreiche, zerstreut liegende, zugehörige Unterhöfe, die zusammen einen. selbständigen Wirtschaftsverband bildeten. Sie waren eine Villikation, an deren Spitze der villicus stand. Er hatte die niedere Hofesgerichtsbarkeit, die grundherrlich-privatrechtlicher Natur war, dıe Bewirtschaftung des Haupthofes und die Aufsicht über die abhängigen Hufen, deren Naturalleistungen im Haupthof gesammelt wurden. Jeder der zugehörigen Unterhöfe war zu genau festgelegten jährlichen Abgaben verpflichtet.

Wir kennen die frühmittelalterlichen Einrichtungen der Gogrundherrschaft genau aus dem aus karolingischer Zeit stammenden Capitulare de villis. Die einzelnen Höfe waren teils mit freien Kolonen, teils mit unfreien besetzt. Die königlichen Domänen sollten Musterwirtschaften sein. So war für jeden Königshof eine Zuchtanstalt für Pferde, Kühe, Schweine und Schafe vorgeschrieben. Auch sollten die zum Hof gehörigen Wälder und Forsten wohlgepflegt und die geeigneten Stellen nach Bedarf gerodet und das kultivierte Land nicht wieder vom Wald bestanden werden.

Der Königshof Erwitte lag im östlichen Teil des späteren Ortes und bildete dort einen geschlossenen Komplex. Er lag hoch und wurde auf fast drei Seiten vom Küttelbach umflossen, was seine Befestigung erleichterte. An der Nordseite waren tiefe Wassergräben ausgehoben worden. Die curtis war durch Mauern beschützt. Nach einer Nachricht aus dem 17. Jahrhundert war sie damals noch auf der Westseite am Markt mit Mauern umgeben.

Die häufige Anwesenheit der Könige bezeugt, dass sich in Erwitte eine königliche Pfalz als größeres Wohngebäude befunden hat. Noch im 16. Jahrhundert finden wir auf dem Königshofe mehrere herrschaftliche Wohnungen. Es wohnten dort der damalige Schulte des Hofes von Plettenberg, der kurfürstlich kölnische Gorichter und der paderbornsche Amtsrichter. Die letzten Reste der curtis sind erst 1908 verschwunden, als der Königsteich zugeworfen wurde. „Die Anlagen des Königshofes lagen auf einer Anhöhe, die nach Süden zum Hellweg hin abfiel. Die eigentliche curtis mit den Wirtschaftsgebäuden bildete den mittleren Teil, den Komplex zwischen der Hauptstraße und der heutigen Börde. Hier stand unmittelbar neben dem Königsteich an der Stätte der alten Mädchenschule auch die dem hl. Johannes d. Täufer geweihte Kapelle“.

Bei der villa wurde ein Markt angelegt. Er und der Schutz des befestigten Hofes zogen Ansiedler heran. So wuchs auf dem Hofgelände eine Ortschaft. Nach einem Register des Jahres 1662 gehörten damals noch 36 Hausstätten nachweisbar zum Gebiet des ehemaligen Königshofes, die auf dem Grund der curtis errichtet worden waren. Sie lieferten jährlich als Wortzins je zwei Hühner. Ferner gehörten im 17. Jahrhundert noch zum Hofe: der Marktplatz, wovon die Kaufleute Standgeld zahlen mussten, eine Schaftrift in der Erwitter Mark, 96 Morgen Ackerland in der Feldflur, 12 Morgen Wiesen, 9 Morgen Wald in der Erwitter Mark und das Burgericht.

Der 976 durch Otto II. an die Abtei Meschede verschenkte Hof im nahen Völlinghausen, der später im Besitz der Familie Landsberg war, dürfte ursprünglich zu Erwitte gehört haben. Ebenso die 1005 an Paderborn geschenkte Obödienz Bökenförde. 1027 schenkte Kaiser Konrad II. den Königshof Erwitte mit Bann und Markt dem Bischof Meinwerk von Paderborn für die treuen Dienste, die er allzeit dem Reich erwiesen habe. Paderborn wird es bei seinen nun von Erfolg gekrönten Bemühungen um den Besitz des Königshofes in erster Linie auf die reichen Salzvorkommen abgesehen haben. Die Gemeinde Westernkotten verdankt ihren Ursprung völlig den Salzquellen. Sie lag auf Grund und Boden des ehemaligen Königshofes. „Nachweisbar sind dort die Salzbrunnen schon im 13. Jahrhundert im Betrieb, denn bereits 1261 belohnte Bischof Simon die treuen Dienste eines Lippstädter Bürgers durch Übertragung eines Salzwassers, des sogenannten puteus regis oder Koningszod“. Zur Zeit der großen Soester Fehde sind in der Umgebung die ländlichen Siedlungen Weringhausen, Aspe und Hockelhem verwüstet worden. Ihre Einwohner zogen nach Westernkotten.

Bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts hat in Erwitte die alte, aus karolingischer Zeit stammende Fronhofsverfassung unter Paderborner Herrschaft weiter bestanden. War der villicis früher nur ein absetzbarer, abhängiger Verwaltungsbeamter, so verbesserte sich im 11. und 12. Jahrhundert seine Stellung erheblich auf Kosten der Grundherrschaft. Nun wurden die villici meist aus Ministerialengeschlechtern genommen, bei denen das Amt erblich wurde.

Es war für Paderborn besonders gefährlich, dass die Villikation Erwitte erblich an die Edelherrn von Störmede gekommen war. 50 kam es denn auch um die Mitte des 13. Jahrhunderts zu stürmischen Auseinandersetzungen zwischen dem villicus Albert von Störmede und dem Bischof. Sie endeten damit, dass Albert 1277 gezwungen wurde, für sich und seinen Sohn auf alle Ansprüche und Rechte an der Villikation Erwitte zu verzichten. Paderborn ist dann dazu übergegangen, den eigentlichen Hof allein zu vergeben und die zugehörigen Unterhöfe in besondere Verwaltung zu nehmen. Der alte Hofesverband mit dem Hofgericht blieb bestehen. 1370 vermeierte Bischof Heinrich den Salhof Erwitte an Hermann von Hörde. Der Inhaber konnte Teile des Hofes versetzen. So verpfändete 1421 der damalige Meier Friedrich von Hörde mit Genehmigung des Paderborner Domkapitels den halben Königshof mit allem Zubehör an Wichard von Ense. 1429 versetzte er den Augustinern zu Lippstadt für 43 Gulden eine Kornrente aus dem Königshof. 1586 wurde Gotthard Schorlemer bemeiert. Er empfing den Hof gegen eine jährliche Abgabe von neun Malter Getreide.

Ein Paderborner Amtsrichter verwaltete nun ‚die Unterhöfe, zog deren Gefälle an Renten und Korn ein und übte die hofrechtliche Gerichtsbarkeit aus. Er bezog 18 Malter Getreide und von sämtlichen Korneinkünften den 12. Scheffel. Er wurde Amtmann genannt. Auch diese Stelle ist im 17. Jahrhundert erblich geworden. Der Inhaber hieß nun Erbamtmann. Die Verpfändung des Amtes an die von Landsberg hat zu dieser Entwicklung geführt. In die Zuständigkeit des Hofrichters oder Amtmannes fielen alle die hofhörigen Güter betreffenden Besitzfragen. Er widmete sich in grund- und besitzrechtlichen Fragen auch der freiwilligen Gerichtsbarkeit. So regelte 1521 der Amtmann Jost von Hörde im Hofgericht die Erbfolge eines amthörigen Gutes bei Berge. 1655 wurde dem Friedrich Hense in Westernkotten ein königshofhöriges Stück Land in Eikeloh übertragen.