1969: Von Bad zu Bad [Westernkotten und Waldliesborn im Vergleich. WM]

o. V. : aus: Westkurier, ca. Januar 1969 [Aus dem Nachlass von Maria Peters; Fotounterschrift: Dargel, Schloss Holte. WM, 28.3.24]

Westernkotten: Heilbad im Kreis Lippstadt — Heilanzeigen: Herz, Kreislauf, Rheuma, Frauenleiden, Atemwege — Kurmittel: zwei eisen- und kohlensäurehaltige Thermalsolen, Moor, Hydrotherapie, Massagen, Gymnastik, Inhalationen, 450 Gästebetten, zwei Badeärzte.

Das Dorf hat 2300. Einwohner. Es besteht aus einer Kirche, einer Reihe von Gaststätten und vielen Bauernhäusern. Hühner und Gänse laufen über die Straße, Kühe grasen auf Wiesen, und über einen Feldweg treibt ein Schäfer seine Herde stallwärts. Aber das ist nicht alles, denn: „Zwischen Runkeln und Karotten liegt das Solbad Westernkotten.“ – Die Betonung bei diesem Schüttelreim, der von einem Kurgast stammt, ist auf „Solbad‘“ zu legen.

„Wat soll, ick denn hier bloß anfangen“, klagte eine Berlinerin, deren zuständige Versicherung sie wegen ihres labilen Kreislaufs vorübergehend vom Ku-Damm zum Kuh-Damm hatte umsteigen lassen. Der Zorn über die Zwangsverschickung in die ländliche Einöde legte sich schon nach der ersten Kurwoche, nachdem die auf den üblichen Urlaubsrummel erpichte Dame in einem relativ komfortablen Einzelzimmer untergebracht worden war. In den nächsten beiden Wochen genoss sie das Bemühen der dienstbaren Badegeister um ihr gesundheitliches Wohlergehen, das sich gerade wegen der abgeschiedenen Lage dieses Bades spürbar zu bessern begann.

Und am Ende der Kur entschloss sie sich, im nächsten Jahr nach Westernkotten zurückzukehren, wofür sie dann ihren Urlaub und ihr eigenes Geld benutzte.

Das ist ein für Westernkotten typischer Fall. Die Berlinerin gehört zu den „Bekehrten“, die eingesehen haben, dass eine Kur sich nicht unbedingt aus Stationen des Amüsements zusammensetzen muss. Ansprüche in dieser Richtung sind von der örtlichen Gastronomie nur bis zur Toleranzgrenze zu erfüllen, die im Hinblick auf den Kurerfolg zu setzen ist. Ein deutliches Manko allerdings ist, dass nur wenige Gäste der flachen Wiesenlandschaft Reize abzugewinnen vermögen. Der von der Kurverwaltung herausgegebene Prospekt verlegt Westernkotten zwar an den Rand des Sauerlandes, jedoch sind Berge und Wälder noch nicht mal mit dem Fernglas zu entdecken.

Diesen Nachteil versucht das dörfliche Heilbad durch eine erstklassige Unterbringung auszugleichen. In den in den letzten Jahren gebauten Pensionshäusern wird zu Provinzpreisen Großstadtkomfort geboten, der von der beheizten Klo-Brille (die uns ein Pensionsinhaber stolz zeigte) bis zum Zimmertelefon reicht und über den Maßstäben liegt, die die Kontrolleure der Versicherungsanstalten anlegen. Die Dorf-Hiltons sind ehemalige Bauern, Handwerker und Fuhrunternehmer, die in die neue Richtung einschwenkten und ihren ursprünglichen Beruf nur noch nebenbei oder gar nicht mehr ausüben.

Auf diese Richtung hatte sich ein Westernkottener schon vor dem letzten Kriege eingepeilt. Im Gegensatz zu seinen Nachbarn versiedete er seinen Sole-Anteil nicht, sondern „verbadete“ ihn. An der gemeinsamen Quelle gewannen die anderen noch bis zum Jahre 1949 Salz, er zahlende Badegäste. Die Salzsieder errichteten Gradierwerke, er ein Badehaus.

Quelle, Gradierwerke und Badehaus wurden in eine Gesellschaft eingefügt, die nach dem Kriege den Badebetrieb in Schwung brachte. 1950 eröffnete man ein modernes Bade- und Kurhaus. Eine Wandelhalle, ein Kurpark und viele andere Einrichtungen kamen hinzu, die die Entwicklung Westernkottens zu einem Heilbad einleiteten.

Gelenkt wird die Entwicklung von Kurdirektor Gröger, der gleichzeitig Bade-Chef im benachbarten Waldliesborn ist. In beiden Bädern hat sich der Landschaftsverband Westfalen-Lippe engagiert. Von ihm, der jeweils 50 Prozent der Gesellschaftsanteile besitzt, ist zu erwarten, dass er im Rahmen seiner Aufgaben auf dem Gebiet der Sozial- und Gesundheitsfürsorge die beiden kleinen Heilbäder bei ihrem weiteren Aufbau unterstützt.

Allerdings wird eine Spezialisierung nicht zu umgehen sein. Waldliesborn wird sich nach wie vor auf seine Thermalsole stützen müssen. Westernkotten ist in der Lage, auf sein ergiebiges Moorlager auszuweichen.  Schon jetzt werden hier Moorpackungen verabreicht. Man kann sich vorstellen, dass der durch Moor bestimmte Indikationssektor künftig in Westernkotten vorherrschen wird. Das einzusehen fällt den hier am Kur- und Badebetrieb Beteiligten einstweilen noch schwer, weil sie ihre reichlich sprudelnde Sole weiterhin nutzen wollen. Sie sollten jedoch die balneologische Marktlage berücksichtigen: Solbäder gibt es genug, an Moorbädern besteht ein Mangel. [Verfasser: „-ane“]