Von Wolfgang MARCUS (Bad Westernkotten)
Erstabdruck: Heimatblätter 1989, Seite 76 – 79
Wie vor allem zu Beginn des Jahres 1988 häufiger zu lesen war, sind die Mülldeponien des Kreises Soest in Werl und Erwitte etwa 1993 bis 1995 vollständig gefüllt. Hier stellt sich die Aufgabe, neue Deponieräume zu erschließen, aber auch, das derzeitige Müllaufkommen so stark wie möglich zu verringern, um damit die bestehenden Deponien noch langer nutzen zu können.
Vor diesem Hintergrund möchte ich die Entwicklung der Abfallwirtschaft der Stadt Erwitte in der Geschichte aufzeigen und so den Weg bis zur heutigen Situation deutlich machen. Dabei beschränke ich mich auf den sog. Siedlungsmüll, d. h. die Abfälle, die in den Haushalten anfallen. Der betriebliche Müll, bei dessen Entsorgung der Kreis Soest die Aufsichtsbehörde ist, könnte in einer weiteren Abhandlung dargestellt werden.
Unter Abfall verstehe ich im Folgenden „bewegliche Sachen, derer man sich entledigen möchte und an deren geordneter Entsorgung die Öffentlichkeit vor allem aus Umweltgründen ein Interesse hat”. [1]
I. DIE ZEIT VOR EINER GEREGELTEN ABFALLBESEITIGUNG (BIS CA. 1950/60)
Abfall gibt es, seitdem konsumiert wird. Zu einem ausgesprochenen Übel sind Abfälle aber erst seit einigen Jahrzehnten geworden, und dies kann mit dem Anwachsen der Bevölkerung allein nicht erklärt werden. Es ist die Überwindung der allgemeinen Knappheitssituation, die — in der Bundesrepublik in der 2. Hälfte der 1950er Jahre einsetzend — eine in der Wirtschaftsgeschichte einmalige Wirkung hatte: Gütermärkte verwandelten sich unmerklich von Verkäufer- zu Käufermärkten, so dass die Konsumenten die umworbenen Marktteilnehmer wurden.[2] Bis dahin galten im Verbraucherverhalten die Prinzipien Sparsamkeit und Weiterverwendung.
Das Gesagte wird deutlicher, wenn wir die Situation eines durchschnittlichen Haushaltes hier auf dem Lande beleuchten:
- Viele Nahrungsmittel wurden selbst hergestellt; dabei fiel bis auf Knochen usw. vom Schlachten kaum etwas an Abfallen an. Und die Knochen sammelten lange Zeit die Altwarenhändler, um sie den Herstellern von Seife zu liefern.

Aus den Anfängen der Müllabfuhr in Erwitte: Pferdegespann und Gummiwagen
- Die nicht selbst hergestellten Nahrungsmittel wurden in der Regel am Ort gekauft („Tante-Emma-Laden”), wobei Verpackungsmaterial nur in geringen Mengen anfiel: Zucker etwa gab es in der mitgebrachten Dose oder wurde in eine Papiertüte gefüllt, Milch kam in die Milchkanne, Bonbons gabs lose usw. Auch beim Kauf sonstiger Konsum- und Investitionsgüter fiel zumeist kein oder nur sehr wenig Abfall an. So erinnern sich altere Mitbürger sicher noch an das Angebot der Zigarettenfirma Eckstein, gesammeltes Stanniolpapier gegen Olympiabildchen einzutauschen.
- Alle brennbaren Abfallstoffe wanderten sodann in den Hausofen und wurden so zur Wärmegewinnung verwendet. Ein Brikett etwa, in nasses Zeitungspapier gewickelt, hielt den Ofen die ganze Nacht am Brennen.
- Kompostierbares Material gelangte in den Garten, teilweise zuvor auf die hauseigene Miste.
- Altwarenhandler sammelten darüber hinaus nicht mehr reparable Dinge aus Metall usw. Der Ausruf „Lumpen, Eisen, Knochen und Papier, ausgeschlagene Zähne sammeln wir“ umschreibt die Bandbreite der gesammelten Produkte anschaulich.
- Was darüber hinaus anfiel, wurde manchmal zum Auffüllen von Bodenvertiefungen verwendet, seltener auf kleineren Müllkippen abgeladen. Letztere, heute „Altlasten” genannt, sind für den Bereich der Stadt Erwitte 1982 vom Staatl. Amt für Wasser- und Abfallwirtschaft (STAWA) erfasst und in einer Altlastenkarte dargestellt worden. Nach Aussage vom Leiter des Ordnungsamtes der Stadt Erwitte, Herrn Hovemann, sind darin für den Bereich der heutigen Stadt Erwitte insgesamt 11 Altlasten erfasst, von denen bereits 9 aus der wasserwirtschaftlichen Beobachtung entlassen sind.[3]
- Für den Bereich Bad Westernkotten erwähnt A. Beste[4] eine ehemalige Steinkuhle am Sauerländer Weg, die Müllkippe nördlich der Josefslinde und am Bullerloch und eine „wilde” Müllkippe an der Osterbachstraße.
II. ABFALLWIRTSCHAFT IN DER SOG. NAIVEN PHASE (ETWA 1959–72)
Mit der einleitend unter I. geschilderten wirtschaftlichen Entwicklung in der 2. Hälfte der 1950er Jahre bildete sich auch zunehmend so etwas wie ein Abfallproblem heraus, wobei es — das sei deutlich gesagt — kein qualitatives, sondern primär ein quantitatives Problem war. So beschäftigte sich beispielsweise die Gemeindevertretung von Westernkotten erstmals im September 1954 mit der Einführung einer gemeindlichen Müllabfuhr, dann wieder im November 1955 und April 1956. Mit Beschluss vom 26. 3. 1959 wurde dann zum 1. 4. 1959 eine gemeindliche Müllabfuhr eingeführt.[5] Durchgeführt wurde sie von dem Erwitter Adam Schmidt. Dafür musstte die Gemeinde Westernkotten monatlich 250 DM zahlen.[6]
In der Kernstadt Erwitte selbst hatte Adam Schmidt bereits 1949 die Müllabfuhr begonnen.
Mit Pferdefuhrwerk und Ackerwagen, schon wenig später mit Gummiwagen, sammelte er, nachdem er morgens den Milchwagen gefahren hatte, mit Mitarbeitern (u. a. Günther Jann, Franz Koppmeier, später Bernhard Orke) den Müll der Erwitter ein. Später wurde das Einsammeln auf zwei Tage in der Woche zusammengefasst. Der Müll stand in Kisten, Kartons oder Wannen an der Straße und musste von Hand aufgeladen werden. Erste Müllkippen waren der Kolk (heute Parkplatz Heimeier) an der Schillerstraße, auf der Mark und der Hansa-Bruch (gegenüber Fa. Schiffer). Anfänglich musste der Müll mit Schaufeln abgeladen werden.[7]
Etwa 1955 wurden die Pferde durch einen Traktor abgelöst. Im Jahre 1960 schaffte die Stadt Erwitte einen einachsigen, modernen Müllwagen an (siehe Foto).

Der 1960 angeschaffte einachsige Müllwagen. Auf dem Trecker: Adam Schmidt. Hinten: Bernhard Orke.
Dieser war bei Adam Schmidt untergebracht. Bis zum 4. 1. 1966 hat dieser die Müllabfuhr in Erwitte durchgeführt.[8]
Über die anderen Ortsteile der heutigen Stadt Erwitte liegen bisher keine genaueren Daten über die Einführung einer Müllabfuhr vor. Nach Angaben der Stadtverwaltung[9] bestand sie im Jahre 1962 aber neben Bad Westernkotten und der Kernstadt Erwitte noch in Horn, in Schmerlecke war sie für 1962 ins Auge gefasst worden.
1966 übernahm dann das damalige Amt Erwitte die Organisation der Müllabfuhr im gesamten Amtsbezirk. Dazu wurden erstmals auch Müllgefäße angeschafft, und zwar Behälter mit 35, 50 und 75 Liter Fassungsvermögen. Gleichzeitig wurde eine zweimonatige Sperrmüllabfuhr eingeführt.
Bereits Ende 1964 konnte ein Steinbruch der Fa. Gebr. Seibel gemeinsam mit der Stadt Lippstadt als zentrale Müllkippe ausgebaut und genutzt werden. Da keine Waage zur Verfügung stand, liegen summierte Angaben über die Menge des Müllaufkommens für diesen Zeitraum nicht vor.[10] Erst seit 1975 gilt das sog. Umweltstatistikgesetz vom 15. 8. 74, das einheitliche Erhebungsgrundlagen festlegt. 1970 kostete die Hausmüllentsorgung insgesamt (einschließlich der Lippe-Gemeinden des damaligen Amtsbezirks) 148 934, — DM; davon waren 127 365, — DM durch Gebühren gedeckt. Der Zuschussbedarf resultierte aus erhöhten Deponiekosten.

In der Kreismülldeponie: Abladende Fahrzeuge und Verdichter.
III. DIE PHASE ORGANISIERTER ABFALLBESEITIGUNG (CA. 1973 BIS HEUTE)
1. Deponien
Mit dem Erla3 des Bundesabfallbeseitigungsgesetzes vom 7. 6. 1972 und des Landesabfallbeseitigungsgesetzes (LAbfG) vom 18. 12. 73 begann die Phase der organisierten Abfallbeseitigung. Das LAbfG verpflichtete die Städte und Gemeinden zum Einsammeln und Befördern der Abfälle, die Kreise zum Beseitigen ab 1975. Zu dieser Zeit bestanden im Gebiet des Kreises Soest rund 130, überwiegend ungeordnete, Müllkippen.[11]
Zum 1. 7. 1975 übernahm der Kreis Soest die Müllkippe im Seibel-Steinbruch. Sie wurde bis zur Inbetriebnahme der heutigen Kreismülldeponie Erwitte im November 1983 benutzt. Letztere, ebenfalls eine Steinbruchauffüllung, besteht aus 12 Deponierungsabschnitten und kann insgesamt 1 600 000 cbm Abfall aufnehmen. Ihr Einzugsgebiet umfasst Anröchte, Bad Sassendorf, Erwitte, Geseke, Lippetal, Lippstadt, Möhnesee, Rüthen, Soest und Warstein. Die veranschlagten Erstellungskosten dieser Deponie beliefen sich auf ca. 20 Millionen DM.[12]
Im Mai 1986 wurde auf der Deponie eine sogenannte Brennstoffgewinnungsanlage (BRAM = Brennstoff aus Müll) in Betrieb genommen. Durch eine Sortieranlage werden ca. 35 Gewichtsprozente aussortiert. Die Metalle werden dem Rohstoffhandel zugeführt, die brennbaren Stoffe im Drehofen eines Zementwerkes für Energiezwecke verwendet.
2. Müllmengen, Gebühren
Nachdem die am 1. 1. 1975 (kommunale Neuordnung) neugeschaffene Stadt Erwitte am 15. 12.1975 eine Satzung über die Abfallbeseitigung verabschiedet hatte, erließ sie am 21. 12. 1977 eine entsprechende Gebührenordnung. Diese legte die Einführung von GroBmülltonnen zu 120 und 240 Liter zugrunde. Pro Person waren 21 DM / Jahr zu zahlen. Bis zu 4 Personen auf einem Grundstück erhalten seitdem eine 120-Liter-Tonne, 5 bis 8 Personen eine zu 240 Litern.
1988 lag der sogenannte Einwohnergleichwert bei 31,60 DM. Das gesamte Aufkommen an Hausmüll, Sperrmüll und hausmüllähnlichen Gewerbeabfallen in kommunalen Sammelfahrzeugen betrug in Erwitte 1984 4392 Tonnen, 1985 4366 Tonnen, 1986 4339 Tonnen, 1987 4528 Tonnen. Dazu kommen allerdings noch entsprechend große Mengen privat angelieferten Mülls. Die aus dem Bereich der Stadt Erwitte an den Kreis Soest zu zahlenden Deponiegebühren – großenteils Gebühren der einzelnen Privathaushalte – betrugen 1976 noch 140 255,- DM, 1986 dagegen schon 652 202,- DM! Davon musste die Stadt Erwitte 1976 10823,- DM, 1986 147 534,- DM aufbringen.
3. Wiederverwertung
In die Phase organisierter Abfallbeseitigung fallt auch das zunehmende Bemühen, den Müll zu sortieren und bestimmte Stoffe einer Wiederverwertung (Recycling) zuzuführen.
a) Glascontainer
Derzeit (Mai 88) gibt es im Bereich der Stadt Erwitte 8; 1977 wurde der erste von der Caritas in Bad Westernkotten aufgestellt. Auf Veranlassung der Stadt folgten 1980 einer an der Dietrich-Otmar-Straße in Erwitte und einer in Horn, 1984 je einer am Glasmerweg, an der Hellweghalle, in Völlinghausen, Stirpe und Schmerlecke. Die Entleerung erfolgt durch eine Firma aus Harsewinkel.
b) Altpapier
In Bad Westernkotten sammeln seit Dezember 1974 die Pfadfinder das Altpapier ein. In der Kernstadt Erwitte sind das Rote Kreuz, der Männergesangverein und die evangelische Jugend (bis 1987) damit beschäftigt. Im Januar 1988 wurden in allen Ortsteilen sowie der Kernstadt Altpapiercontainer aufgestellt.
c) Altkleidersammlungen
Altkleidersammlungen werden schon seit etlichen Jahren in unregelmäßigen Abständen von der Kreis-Caritas, vom Roten Kreuz, Kolping und von kommerziellen Sammlern durchgeführt.
d) Kompostierung
1987 hatte die Stadt Erwitte eine bereits ca. 2 Jahre vorher beschickte Kompostierungsanlage für gemeindliches Laub ordnungsgemal3 eingerichtet. Sie befindet sich an der Berger Straße.
4. Problemabfälle
Im Frühjahr 1984 kam die Stadtverwaltung Erwitte mit Betrieben in Erwitte und den Ortsteilen, die Problemabfälle wie Medikamente, Pflanzenschutzmittel, Öl und Batterien veräußern, überein, dass dieselben entsprechende Sonderabfälle wieder entgegennehmen, um sie dann der Kreismülldeponie zuzuführen, von wo sie zu Sondermüllanlagen gelangen. Ebenso ist es möglich, entsprechende Schadstoffe direkt bei der Kreismülldeponie abzugeben.
IV. AUF DEM WEG ZU EINER UMFASSENDEN ABFALLWIRTSCHAFT
Die 4. Novelle des Abfallbeseitigungsgesetzes vom 27. 8. 1986 tragt den Titel „Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen“. Schon aus dem Titel, erst recht aber aus dem Inhalt geht hervor, dal3 der Gesetzgeber die Formel, Abfallvermeidung geht vor Abfallverminderung geht vor Abfallverwertung geht vor Abfallbeseitigung” in den Mittelpunkt politischen Handelns in puncto Abfallwirtschaft gestellt haben mochte. Dahinter stehen Erfahrungen mit zunehmend knapper werdendem Deponieraum, den mit der Deponierung oder Verbrennung verbundenen Umweltgefahren, dem Müllexport vor allem in Entwicklungsländer, aber auch das Bewusstsein, dass Abfallverminderung Schonung nicht regenerierbarer Energievorkommen und Ressourcen ist.
Letztlich kennzeichnet ein Lebensstil mit wenig Abfall aber auch ein Leben im Einklang mit der Schöpfung, in Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen — in diesem Zusammenhang bekommt der Begriff „Altlasten” einen ganz anderen Klang — eine Abkehr von einer ~versorgungsorientierten zu einer verträglichkeitsorientierten Strategie” (so im anderen Zusammenhang der Physiker Hans-Peter Dürr). Von einem solchen Abfallwirtschaftskonzept ist die Stadt Erwitte, sind aber auch der Großteil ihrer Bewohner, noch weit entfernt. Entsprechendes gilt sicherlich auch für den größeren Raum. Die Verantwortlichen — und das ist letztlich jeder einzelne — sind gefordert, hier durch Bewusstseinsbildung, Neuordnung der Abfallbeseitigung und praktische Tipps weitere Schritte zu tun.
[1] Nach Abfallgesetz vom 27. 8. 1986
[2] Heintze, Ulrich, Abfall, in: Geographie heute 11/87, S. 4 – 11, hier S. 4
[3] In einem Gespräch am 24. 2. 1988
[4] In der neuen Ortsgeschichte von Bad Westernkotten, Lippstadt 1987, S. 270/71
[5] Beste, aaO.
[6] Beste, ebd.
[7] Nach Unterlagen von Herrn Bernhard Schmidt, einem Sohn von Adam Schmidt, Erwitte, Bachstraße 6
[8] Wie Anm. 6
[9] Am 19, 1. 88 in einer Gesprächsrunde mit den Herren Tünsmeier, Hovemann und Korte
[10] Noch nicht ausgewertete Einzelangaben — besonders über die Gefäßkapazitäten — liegen der Stadtkämmerei vor
[11] Nach: Daten zur Abfallwirtschaft im Kreise Soest, März 1987, hrsg. von der Kreisverwaltung
[12] Ebd.; die nachfolgenden Zahlenangaben: wie Anm. 9 und 11