1923 – 2016: Die drei ehemaligen Taubenvereine in Bad Westernkotten

Zu allen drei Vereinen berichtet das Heimatbuch von 1987. Ergänzend sind dazu in meiner digitalen Aufsatzsammlung zwei Aufsätze zu finden:

Leonhardt, Lorenz, Gut Flug! – Zur Geschichte der drei ehemaligen Taubenvereine in Bad Westernkotten (Unsere Vereine Folge 12) , in: Jahrbuch (JB) 2016, S.164

Nordhoff, Heinrich †, 1973: 50 Jahre Brieftaubenliebhaberverein Hellwegbote in: JB 2017, S. 127 – 128

Beide Aufsätze werden im Folgenden – ohne die Fotos aus den beiden Jahrbüchern – wiedergegeben:

2016: Lorenz Leonhardt: Gut Flug!  

Diese Begrüßung ist in Bad Westernkotten Vergangenheit. Die drei Brieftaubenvereine „Siegerlust“, „Hellwegbote“ und „Tempo“ gibt es nicht mehr. – Ein kleiner Rückblick.

  1. 1952 – eine Momentaufnahme

Es ist Freitagabend im April 1952. Unter dem Vordach des Holzschuppens von Theo Coböken, dem Vereinsvorsitzenden, treffen sich die Brieftaubenzüchter von „Hellwegbote“ (gegründet 1923) zum Einsetzen ihrer Renner. Der 1. Preisflug der Saison steht an.

Hier werden die Tauben der einzelnen Züchter in Listen eingetragen mit Ringnummer, Vereinsnummer, Jahrgang und Preisgeldgruppe.

Dasselbe geschieht bei Josef Schäfermeier, dem Vorsitzenden von „Siegerlust“ (gegründet 1926). Zu dieser Zeit gibt es in Westernkotten, einer Hochburg des Taubensports, zwei Vereine mit ca. 30 aktiven Züchtern.

Nach der Registrierung der Tauben wird der volle Taubenkorb von jedem Züchter auf das Fahrrad geschnallt und ab geht’s nach Lippstadt zur Gastwirtschaft Kampeter in der Hospitalstraße. Dort auf dem Hinterhof ist die Zentrale der Reisevereinigung. – Ein Betrieb wie auf dem Jahrmarkt.

Jedem Verein wird ein Tisch zugewiesen, an dem ihren Tauben ein Gummiring angelegt wird. Die Nummer des Gummirings wird dann in die zuvor angelegten Listen eingetragen.

Somit trägt jetzt jede Taube einen Metallring, der ihr in der zweiten Lebenswoche aufgezogen wurde und für jeden Flug einen auswechselbaren Gummiring.

In großen Körben werden bis zu 100 Tauben eingesetzt und zum nahegelegenen Güterbahnhof gebracht. Hier sorgt der Flugleiter für Verpflegung und Abtransport der Tauben zum Startort, dem Auflassort. Die Auflassentscheidung liegt in der Verantwortung eines zertifizierten Flugleiters. Dieser hat sich beim Wetterdienst erkundigt, ob auch sicheres Flugwetter auf der Strecke herrscht. [Heute werden die Brieftauben mit einem Speziallastwagen (Kabinenexpress) zum Auflassort gefahren.]

Der Zeitpunkt des Auflassens der Tauben wird den Züchtern auf einer Tafel im Fenster des Vereinslokals bei Kemper und Dietz angezeigt. So kann sich jeder Taubenfreund ungefähr ausrechnen, wann mit der ersten Taube im Heimatschlag zu rechnen ist. Eine Taube kann bei guten Bedingungen durchgehend eine Stundengeschwindigkeit von 100 km erreichen [heute sogar noch mehr]. Beim Eintreffen im Heimatschlag wird der Taube der Gummiring abgezogen, in eine kleine Metallhülse gelegt und in die dafür vorgesehene Öffnung einer sogenannten Taubenuhr gegeben. Durch Drehen der Walze in der Uhr wird ein Abdruck der Uhrzeit auf einem Papierband getätigt. Die Uhren können 30 Hülsen aufnehmen und werden nach dem Flug unter Aufsicht im Raum der Reisevereinigung geöffnet und ausgewertet. Das Ergebnis wird in einer Preisliste festgehalten, die jedem Züchter zukommt. [Heute wird die heimkehrende Taube schon auf dem Läufer elektronisch erfasst.]

Die Reisevereinigung Lippstadt besteht aus 20 Ortsvereinen mit über 200 Züchtern und durchschnittlich 4000 Reisetauben. Sie hat eine Ausdehnung von Langenberg bis Anröchte, von Erwitte bis Sassendorf.

In einer Versammlung aller Züchter im Frühjahr wurden für das Alttaubenfliegen die Richtung und 14 Auflassorte, für das Jungfliegen 6 Auflassorte mit Kilometerangabe in einem Reiseplan zusammengefasst. Die Endflüge im Reiseplan weisen oft eine Entfernung um die 1000 km aus, ab 500 km konnten sie als Bezirksflüge zählen, die dann von mehreren Reisevereinigungen ausgeflogen wurden.

  1. Und heute? – Kein Taubenverein in Bad Westernkotten hat überlebt

Noch immer gibt der phänomenale Orientierungssinn der Tauben Rätsel auf – er richtet sich wohl nach Sonne, Sternen und dem Magnetfeld der Erde. Schon erstaunlich für ein so kleines Geschöpf, über Hunderte, ja Tausende von Kilometern zurück in den Heimatschlag zu finden.

Von den zuletzt drei Taubenzuchtvereinen in Bad Westernkotten (der dritte, Tempo, wurde 1964 gegründet, Vorsitzender war Heinrich Leonhardt) hat keiner überlebt. – Woran liegt das?

Mal abgesehen vom altbackenen Image des Brieftaubensports, ist die Beschäftigung mit den „Rennern der Lüfte“ für manche nur noch gefühlt ein Hobby. Das ist ein Geschäft, und für manche auch ein schmutziges. Seit den fünfziger Jahren hat sich einiges getan im Taubensport:  Höher, schneller, weiter heißt die Devise. Tauben sind Leistungssportler geworden.

Zunächst haben die Züchter die Tauben aufgeteilt in Zucht- und Reisetauben, die Reisetauben wiederum in Männchen und Weibchen. Mit den Männchen fliegen sie eine sogenannte Witwerschaft. Dahinter verbirgt sich, dass die Taubenpärchen die Woche über getrennt und erst am Tag vor dem Flug wieder zusammen gelassen werden. Die Folge ist eine gesteigerte „Sehnsucht“, den Heimatsschlag wieder zu erreichen. Die treuen Vögel bleiben in der Regel ein Leben lang mit dem gleichen Partner zusammen. Taubenweitflügel nutzen diese Gefühle aus – zur Leistungssteigerung.

Die männlichen Reisetauben werden abgesondert trainiert, oft in abgedunkelten Vorschlägen gehalten und erhalten genau abgewogenes hochwertiges Reisefutter. Dem Trinkwasser werden aufbauende Pülverchen beigegeben. Trotzdem sterben jedes Jahr während der Wettflüge immer wieder viele Tauben einen qualvollen Tod durch Dehydration, Erschöpfung, Verletzungen oder Angriffe von Greifvögeln. Hinzu kommen Geschäfte mit den Tauben, die bis nach China reichen. Manche sagen: Die Unschuld hat der Taubensport schon lange verloren.

Bei diesem Aufwand, finanziell und auch zeitlich, aber auch vor dem Hintergrund dieser Veränderungen, verwundert es nicht, dass die Taubenzüchter Nachwuchssorgen haben.

Der Verband deutscher Brieftaubenzüchter mit Sitz in Essen wurde 1884 gegründet. Zum Verband gehören zurzeit etwa 8000 Vereine. Hochburgen des Taubensports sind Belgien, die Niederlande und Deutschland, hier besonders das Ruhrgebiet.

110.000 Mitglieder hatte der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter 1960, circa 40.000 sind es heute, 30 Züchter hatte Westernkotten. Nur einer ist geblieben, der sich Erwitte angeschlossen hat.

III. Schöne Erinnerungen

Vorbei ist die Zeit einer umfassenden Ortsausstellung, unterstützt von allen ansässigen Züchtern. Oder das Fachsimpeln am Abend nach dem Flug in den Vereinslokalen Kemper, Dietz oder der Spänebar. Vergessen das Zusammensein mit Taubenfreunden am Schützenfestmontag aus Erwitte Lipperode Geseke. Da kommt insbesondere bei den alten Züchtern schon etwas Wehmut auf.

Zeittafel zur Geschichte des Taubensports in Bad Westernkotten

1.7.1923: Gründung des Vereins „Hellwegbote“ im Gasthof Kessing, Am Ehrenmal. Erster Vorsitzender wird Theo Coböken

1.8.1926: Gründung des Vereins „Siegerlust“, ebenfalls im Gasthof Kessing. Erster Vorsitzender war Franz Lüning.

1952: Mehr als 30 aktive Taubenzüchter in Westernkotten

17.11.1964: Gründung des Vereins „Tempo“ in der Gaststätte Schäfermeier, Bruchstraße („Spänebar“).

31.12.. 2000:  Zum Ende des Jahres wird der Taubenverein „”Hellwegbote” aufgelöst.

2.11.2003: Mit einem gemütlichen Abend im Café Gerling beschließt der Taubenverein „Tempo” seine Auflösung. Als einziger aktiver Züchter war Heinrich Leonhardt verblieben, der sich dem letzten noch verbliebenen Verein „Siegerlust” anschließt. Insgesamt nur noch 4 aktive Züchter im Ort.

2016: Auch der Verein Siegerlust stellt seine Aktivitäten ein. Verbleibende Züchter schließen sich Nachbarvereinen an.

[Zu allen drei Vereinen finden sich Beiträge zur Entstehungsgeschichte usw. im Heimatbuch von 1987 „Bad Westernkotten. Altes Sälzerdorf am Hellweg“]

1973: 50 Jahre Brieftaubenzuchtverein Hellwegbote Bad Westernkotten

Am 1. Juli 1923, es war der Lobetagsamstag, trafen sich begeisterte Taubenzüchter im Lokal Kessing, um einen Brieftaubenverein zu gründen. Nachdem der Beschluss gefasst war, wurde der Verein BLV „Eile zur Heimat“ genannt. Dieser Name wurde aber laut Beschluss vom 11. Oktober in „Hellwegbote“  geändert. Zum ersten Vorsitzenden wurde Franz Coböken gewählt. Zweiter Vorsitzender Heinrich Schröer, Geschäftsführer Josef Schäfermeier, Kassierer Adolf Schmidt, Beisitzer Heinrich Schrage. Als Vereinslokal wurde das Lokal Kessing gewählt. Der Beitrag für Sportler über 16 Jahre wurde auf 1000 DM festgesetzt [Inflationszeit!]. Die damaligen Bedingungen waren: Zweck des Vereins soll die Zucht und Pflege der Brieftauben sein und dieselben so abzurichten, dass sie im Falle eines Krieges dem Staat zur Verfügung gestellt werden können. Der Verein wurde am 21. Dezember 1923 beim deutschen Brieftaubenverband unter der Nummer 03599 registriert. Die Gründer des Vereins sind folgende: Franz Coböken, Johannes Buxhoidt, Josef Schäfermeier (†), Wilhelm Pilk (†), Anton Hense (†), Heinrich Schrage (†), Josef Gerling, Adolf Schmidt(†), Heinrich Schröer (†)  und Theo Coböken. Im Jahre 1923 wurden bereits innerhalb des Vereins die ersten Preisflüge durchgeführt. Die Tauben wurden in einem Handkorb mit der Bahn verschickt, und der Schaffner bekam den Auftrag, dieselben entweder in Paderborn, Altenbeken oder Hameln freizulassen. Wer nun eine Taube bekam, fing dieselbe und lief mit ihr zum Vereinslokal, wo dieselbe vorgezeigt werden musste. Als Preise gab es eine Nutzpfeife, Tabak, Wäscheleinen oder sonstige Artikel. Geldpreise gab es erst später.
Da man sich 1924 der Reisevereinigung Lippstadt anschloss, mussten die Tauben zum Einsatz für den Preisflug nach Lippstadt gebracht werden. Dieses wurde im Auftrag mit einem Handwagen und Ziehhund gemacht. 1924 wurde auch die erste Uhr erworben. Die Uhr stand in der Dorfmitte, und sämtliche Züchter mussten zu Uhr laufen, damit der Gummiring gedreht werden konnte. Es wurden früher für den Taubensport große Opfer gebracht. So fuhr ein heute noch unter uns weilender aktiver Sportler mit dem Fahrrad und in Holzschuhen von hier nach Lette bei Warendorf, um ein paar Taubeneier zu holen. Auch hielt man damals schon viel von Geselligkeit. So wurde ein Ausflug per Leiterwagen in die Pöppelsche gemacht, wo Sportsfreunde aus Lippstadt und aus Benninghausen teilnahmen. Es wurden Spiele veranstaltet wie Sacklaufen, Hähnchenköpfen und so weiter.
Mit der Reisevereinigung Lippstadt wurde die Ostrichtung beschickt, wo uns die alten Namen wie Rehfelde, Landsberg, Schneidemühl und Insterburg noch gut in Erinnerung sind. Schon damals wurden von unseren Züchtern Spitzenpreise errungen. Ende 1926 trennten sich einige Sportler, und ein zweiter Verein wurde gegründet, der heutige Verein „Siegerlust“. Die schöne alte Zeit ging zu Ende. Die neue Zeit brach an, und die Vereine mussten sich 1934 wieder zusammenschließen. Es bestand nur ein Verein, und zwar „Hellwegbote“. Zum ersten Vorsitzenden wurde der bereits seit 1932 amtierende Vorsitzende Theo Coböken gewählt, zum Geschäftsführer Josef Schäfermeier. Im Jahre 1939 konnte Theo Coböken eine silberne Medaille erringen, die aber nicht mehr ausgehändigt wurde. Der Krieg brach aus und viele Sportfreunde sind gefallen, zu ihnen gehören Franz Strug, Anton Gerling, Heinrich Spiekermann, Paul Jesse, Adolf Dietz und Josef Schäfer.
Nach unserer Niederlage 1945 mussten sämtliche Brieftauben an die Siegermächte abgeliefert werden. So wurden die Tauben versteckt; und sobald das Verbot aufgehoben wurde, halfen sich die Sportler gegenseitig, um mit dem Sport wieder neu zu beginnen. So waren es die Sportfreunde Coböken, Gerling Willi, Westerfeld Fritz und Vollmer Franz, die als erste mit dem Sport wieder anfingen. Es wurde in die Nord-Richtung bis nach Flensburg geschickt. Nach dem Krieg erlebte der Brieftaubensport einen großen Auftrieb. Immer mehr Vereine wurden gegründet. Von der Reisevereinigung wurde ein Spezialfahrzeug angeschafft. Nun wurden die Tauben schneller zum Auflassort gebracht. Bis 1968 sind wir mit der Reisevereinigung Lippstadt gemeinsam gereist, ob zum Südosten, Südwesten, zum Norden oder Osten, bis wir mit den Nachbarvereinen eine neue „Reisevereinigung Erwitte und Umgebung“ gründeten. Der Brieftaubensport hier in der Gemeinde entwickelte sich im Laufe der Jahre zu der Größe, dass nun von drei Vereinen der Sport betrieben wird. Hierfür müssen wir uns bei den Sportfreunden bedanken, die den Anfang mit den Tauben gemacht haben, die den Verein „Hellwegbote“ gründeten, aus deren Reihen die neuen Vereine „Siegerlust“ und „Tempo“ entstanden sind.
Am heutigen Tag sei in Dankbarkeit das Haus Kemper erwähnt, das uns seit 43 Jahren in vorbildlicher Weise betreut hat. Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass die Gemeinde Bad Westernkotten uns bei unseren Anliegen stets unterstützt hat. Besonderen Dank auch unserem Bürgermeister Josef Brock, der zwar nicht zu den Gründern gehört, aber heute bereits 25 Jahre zu den aktiven Sportlern zählt. Mögen der Verein und ihre Befürworter nach vielen Jahren in Gemeinschaft dem Verein Ihre Treue bewahren; dies ist mein herzlicher Wunsch am heutigen Tage.