1999: Kirchliches, Außerkirchliches (Probst)

Kirchliches – Außerkirchliches

Aus dem Nachlass von Wilhelm Probst, + 1957, Bad Westernkotten

[Erstabdruck: Probst, Wilhelm, Kirchliches – Außerkirchliches, in: Vertell mui watt, Ausgabe 97 (1999)]

[Die nachfolgenden Erzählungen hat Wilhelm Probst wahrscheinlich bei seiner Verabschiedung aus dem Schuldienst Anfang der 1950er Jahre zum Besten gegeben. W.Marcus]

Pater Ludgerus war mal wieder in Westernkotten. Das Hochamt sollte beginnen, und der Küster hatte schon abgeläutet. Der Pater merkte, daß noch ein ziemlich zahlreicher „Kirchenvorstand“ draußen, auf dem Kirchplatze, eine wichtige Besprechung hatte. Das waren nicht die hohen Herren, die von Zeit zu Zeit mit dem Herrn Pfarrer im Pastorat kirchliche Angelegenheiten berieten. Junge Leute waren’s, welche die Aussichten im nachmittägigen Fußballspiele eifrig beredeten, wissenswerte Tagesneuigkeiten an den Mann bringen mußten und ihre Zigarette noch nicht zu Ende geraucht hatten. Die Orgel setzte mit vollen Akkorden ein, und der Pater sang: „Asperges me…“ Er ging mit dem Weihwedel in der Hand, neben sich den Meßdiener mit dem Weihwasserbecken, lang durch die Kirche, besprengte nach beiden Seiten hin die Gläubigen, verließ dann die Kirche durch die Turmtüre und steuerte auf den „Kirchenvorstand“ zu. Gerade wiederholte der Chor in der Kirche den Vers „Asperges me, besprenge mich“, da erteilte er draußen den Segen mit dem geweihten Wasser. Er fand alle, auch die, welche schnell hinter die Kirche flüchten wollten. Eiliger als gewöhnlich gingen sie in die Kirche. – Längst war der Hymnus zu Ende gesungen, und der Organist mußte noch ein langes Nachspiel erklingen lassen, ehe der Pater wieder am Altare erschien. – Na, das würde eine Predigt setzen. Aber Pater Ludgerus schwieg. Der „Kirchenvorstand“ hatte ihn verstanden, das wußte er, und das genügte ihm.

Die Fortsetzung

Wenn man dreißig Jahre und länger Lehrer im Dorfe gewesen ist, und eine ganze Generation zu seinen Füßen hat sitzen sehen, kann es einem schon recht ernst zumute werden bei dem Gedanken, daß man einmal dem Herrgott Rechenschaft darüber ablegen muß, ob man auch alles getan und nichts unterlassen hat, was notwendig war, damit alle den Weg zu ihm finden konnten. – Pater Ludgerus war lange nicht da gewesen, und draußen hatte wieder ein „Kirchenvorstand“ ausgedehnte Besprechungen. Der erste Hauptteil der Messe fing doch erst nach der Predigt an, das wußte man von der Schule her. Plötzlich erschien der Lehrer vor der jungen Welt – es waren doch alles seine Schüler gewesen – zog seinen Fotoapparat, knipste, sagte „Danke“ und verschwand, ehe einige sich bestrebten, ihm ihre Rückseite zuzuwenden, damit sie auf dem Bilde nicht erkannt wurden. – Der Lehrer hat niemand erzählt, wer geknipst worden ist. Heute bekennt der Lehrer, daß gar kein Film im Apparat war. Weshalb denn auch? Es ging keinen etwas an als die jungen Leute, den Lehrer und – den lieben Gott.