1991: Kebekus, Vertreibung

Margarete Kebekus

Vertreibung –  Oder: Der lange Weg von Hammer nach Bad Westernkotten

[aus: Aus Westernkotten düt und dat, 1991, Nr. 39]

Schon mehrmals haben wir auf diesen Seiten Menschen zu Wort kommen lassen, die durch Flucht und Vertreibung nach dem 2. Weltkrieg nach Bad Westernkotten gekommen sind. Und ich bin dankbar für jeden weiteren; denn so lässt sich Steinchen für Steinchen das Mosaik der Nachkriegsgeschichte unseres Ortes zusammensetzen. Der nachfolgende Bericht. aus der zeitlichen und gefühlsmäßigen Distanz von mehr als 40 Jahren geschrieben, stammt von Frau Margarete Pohl, heute Frau Kebekus, Uhlandstraße.W. Marcus „Ich bin im April 1927 in Hammer. Kreis Habelschwerdt (Grafschaft Glatz), geboren. Meine Schwester ist drei Jahre älter.  Hammer liegt ca. 9 Kilometer von Habelschwerdt entfernt im Kressenbachtal. Hein Heimatort hatte damals 240 Einwohner. Das .orf, in waldreicher Gegend gelegen, hatte drei Sägewerke, wovon eines der Cousine meines Vaters gehörte. Dort war mein Vater als Werkmeister tätig. Wer nicht Landwirtschaft betrieb, arbeitete in einem der drei Sägewerke.Wir hatten eine eigene Schule, aber wir gehörten zur Kirchenge­meinde Voigtsdorf.

Autos waren damals noch sehr selten, nur die Sägewerksbesitzer besaßen welche; daher hat man von der näheren Heimat nicht viel gesehen. Zur Kreisstadt verkehrte täglich ein Postbus. Ein Fahrrad besaß wohl jeder. Einmal im Jahr fuhren wir mit meiner Kutter zu einer Marienwall­fahrt zu den Orten Maria Schnee. Albendorf oder Warthen.Nur unsere Försterfamilie war evangelisch, alle anderen Bewohner des Ortes katholisch.Von 1933 bis 1941 besuchte ich die Volksschule. Um anschließend eine Berufsausbildung beginnen zu können, musste man damals ja noch ein so genanntes Pflichtjahr absolvieren. Dieses habe ich im Nachbardorf Voigtsdorf bei der Familie Zimmer, die heute in der Eichendorffstraße in Bad Westernkotten wohnt, verbracht, die einen landwirtschaftlichen Betrieb hatte. Anschließend bin ich ein Jahr auf der Handelsschule in Glatz gewesen.Dann begann ich eine Lehre als Verkäuferin in Habelschwerdt. Noch vor Ende des Krieges machte ich meine Kaufmannsgehilfenprüfung. Als im Mai 1945 die Russen in Habelschwerdt einzogen, begann eine unruhige Zeit. Gestohlene Armbanduhren oder ein gestohlenes Fahrrad waren an der Tagesordnung. Dann kam unser Gebiet unter polnische Verwaltung, und das Geschäft, in dem ich arbeitete, bekam einen polnischen Chef. Da er das Geschäft mit seiner ganzen Verwandtschaft betrieb, wurden alle deutschen Angestellten nach und nach entlassen. Ich selbst blieb bis März 1946, dem Zeitpunkt unserer Vertreibung.

Mit der Frau meines deutschen Chefs – dieser war noch vor Kriegsende gefallen – dem mich meine Eltern anvertrauten, ging es im März 1946 los. Zuerst zu Fuß bis Mittelwalde in eine Holzbaracke. Zwei Tage später fuhren wir dann in Güterwagen Richtung Westen. Angekommen bin ich in Altena, von da ging es weiter nach Werdohl. Bis wir bei Privatpersonen unterkommen sollten, kamen wir erst einmal in eine Sammelunterkunft in einer Gastwirtschaft. Die Wirtsleute brauchten eine Hilfe, sie fragten mich, ob ich bei ihnen bleiben wollte. Da ich in meinem Beruf noch nicht wieder arbeiten konnte und auch meine Eltern noch nicht gefunden hatte, blieb ich. Ich musste zwar viel und schwer arbeiten, aber die Leute waren nett zu mir. Als ich erfuhr, dass es meine Eltern nach Oldenburg verschlagen hatte, bin ich im Juli 1946 zu ihnen gezogen. Die Eltern wohnten auf dem Lande bei einem Bauern über dem Kuhstall. Um in die Stadt Oldenburg zu kommen, brauchte man eine Zuzugs­genehmigung. Es war schier unmöglich, diese zu bekommen. Ein Direktor der Landwirtschaftskammer hatte diese guten Beziehungen, und ich arbeitete für die Familie als billige Haushaltshilfe.Einmal in der Stadt habe ich mir schnellstens wieder eine Stellung in meinem Beruf gesucht und eine solche auch gefunden. Mein neuer Chef honorierte meinen Fleiß und meine Ehrlichkeit mit zusätzlichen Lebensmitteln, die ja noch rationiert waren. Meine Schwester, mit der ich zusammenwohnte und die bei einer Seeschifffahrtsgesellschaft arbeitete, profitierte auch davon.Deutlich waren in dieser Zeit die Ressentiments vieler Mitmenschen zu spüren. Ich war halt eine „von drieben“, wie sie sagten. Und auch mein Katholischsein missfiel manchem und gab etwa nach Gottesdienstbesuchen zu Bemerkungen wie „Warst Du schon wieder bei den Schwatten?“ Anlass.

1948 habe ich in Oldenburg meinen Mann kennen gelernt, und über Büren und Werl sind wir nach Bad Westernkotten gekommen, wo wir seit 30 Jahren zu Hause sind. Im Gegensatz zu Oldenburg haben wir hier deutlich Offenheit und Toleranz gespürt. Über das Vereinsleben, vor allem beim SuS, wurden bald gute Kontakte geknüpft. Meine alte Heimat habe ich nicht wieder gesehen.