2003: Lobetagsgedichte

Der Bad Westernkötter Lobetag im Spiegel alter Gedichte

von Wolfgang Marcus (Bad Westernkotten)

[Erstabdruck: Marcus, Wolfgang, Der Bad Westernkötter Lobetag im Spiegel alter Gedichte; in: Heimatblätter  83.Jg. (2003) S.121-124)]

Nachweislich seit dem Pestjahr 1635 wird in Bad Westernkotten alljährlich das Lobetagsfest begangen. Mehr als tausend Gläubige erneuern so immer wieder das Versprechen, das die Überlebenden der Pest vor mehr als 350 Jahren gegeben haben, den Lobetag zu feiern, „bis zum Ende der Welt, solange unserer Nachkömmlinge einige übrig sein werden.“

Immer hat in der Erinnerung an die Rettung aus der Pest Maria, die Mutter Jesu, eine besondere Rolle gespielt. Ihrer Fürsprache, so die gläubige Überlieferung, ist die Errettung aus der Pest letztlich zu verdanken.

Diese besondere Marienverehrung kommt auch in den drei Gedichten aus der Zeit von 1850 bis 1935 zum Ausdruck, die ich zum Thema gesammelt habe und die im folgenden abgedruckt und kurz kommentiert werden sollen. Sie machen anschaulich, wieviel Kraft der Glaube Menschen geben kann und wie stark das Lobetagsgeschehen die Menschen zu allen Zeiten auch gefühlsmäßig angesprochen hat und es bis auf den heutigen Tag tut.

Maria Hülf‘ zu Westernkotten [aus: Der Patriot vom 19.1.1850, abgedruckt auch im Heimatbuch „Bad Westernkotten“,Lippstadt 1958, S.154/155]

Wer tief bedrängt in Gram und Leid,

Vom Unglück schier zertreten,-

Wem nirgend Hülfe weit und breit

Vor Angst und Todesnöthen,-

Der eile zur gütigen Mutter des Herrn

Mit gläubigem, frommen Vertrauen;

Maria errettet die Leidenden gern,

Die kindlich der Herren vertrauen.

Vor langen Jahren zog die Pest

Durch alle deutschen Lande,

Und hüllte sie im Ost und West

In düstre Grabgewande.

Viel Tausende mähte der brandige Tod,

Der schwarze, in wenigen Stunden;

Und nirgend ein Tröster in schrecklicher Noth!

Und nirgend ward Rettung gefunden.

Gelöset ward das stärkste Band

vom finstern Todesgrauen;

Des Würge-Engels kalte Hand

Erstarrte rings die Auen.

Die Sonne erbleichte, es dorrte das Gras,

Der Himmel ward dunkel und trübe;

Die stolzesten Herzen zersprangen wie Glas,

Es wankte die innigste Liebe.

Von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus

Zertrat die Pest das Leben;

Man sah nur Angst und Todesgraus,

Verwirrung und Erbeben.

Der blühende Jüngling, der wankende Greis,

Die Männer, so kräftig wie Eichen,

Sie sanken zu Boden, sie wurden zu Eis,

Ein Augenblick schlug sie zu Leichen.

Der Säugling an der Mutter Brust

Verfiel dem Tod zum Raube;

Der Jungfrau ros’ge Lebenslust

Verwelkte rasch im Staube.

Da galt kein Entfliehen! Kein sicherer Ort

War rings in dem Lande zu finden;

Es trugen die Lüfte den eilenden Mord,

Er flog auf vergifteten Winden.

Gar manche Stadt war menschenleer

Und leichenvoll die Straßen;

Und Manche irrten stumm einher,

gar elend ohne Maaßen.

Vernichtung bedrohte das herrliche Land,

Allüberall finsteres Grauen;

Allüberall war die entsetzliche Hand

Des würgenden Todes zu schauen.

In Westernkotten, eng und klein

Das Kirchlein da, stand offen,

Als lade es zur Rettung ein,

Die auf Erbarmung hoffen.

Da draußen erschlug der entsetzliche Tod

Und kannte nicht Schonung noch Milde.

Da drinnen die Mutter, die Gütige, bot

Den Armen den Schutz an im Bilde.

Es flohen elf ins heil’ge Haus,

Zum Muttergottesbilde;

Es breitet seinen Mantel aus

Zum sicher’n Schirm und Schilde:

Es wagte der Tod nicht, der Heil’gen zu nah’n,

Noch die sie in Obhut genommen; –

Er wüthete draußen auf jeglicher Bahn,

Ließ keinen mehr lebend entkommen.

Maria Hülf, das Wunderbild

In ärmlicher Kapelle,

Es strahlt so licht, so wundermild,

An heil’ger Gnadenstelle.

Alljährlich verkündet ein rühmendes Fest

Mit Fasten und Beten die Zeiten,

Wie einstens Maria der wüthenden Pest

Die Opfer selbst wollte bestreiten.

Wer heut zu Tag in Gram und Leid,

Vom Unglück schier zertreten, –

Der suche die Barmherzigkeit,

Maria, hülf‘ in Nöthen.

Auch heute noch höret die Mutter des Herrn

Die flehenden Kinder im Staube;

Sie leuchtet im Tode als funkelnder Stern,

Ihn schauet der selige Glaube.

L.W.Kölkenbeck

Anmerkungen:

Die Sprache dieses Gedichtes ist sehr bildreich und plastisch: Die Pest wird gewissermaßen greifbar und spürbar: Pest und Tod werden personifiziert, sie treten als Würger, Sensemann, Räuber und Zerstörer auf.

Das Gedicht eröffnet mit dem Gedenken an Maria, die Helferin in der Not. Dann erfolgt die konkrete Rückblende auf die Pest und die Rettung der wenigen, kindlich vertrauenden Westernkötter vor mehr als 350 Jahren, und schließlich wird der Bogen zur Gegenwart gespannt: Auch heute hilft uns Maria in schwierigen Situationen.

Alle 10 Strophen des Gedichtes sind vom Versfuß und Reim her gleich aufgebaut: Die jeweils ersten 4 Zeilen sind in einem 4- bzw. 3-hebigen Jambus, einem antiken Versfuß, gestaltet, die Zeilen 5 bis 8 in einem 3-hebigen Daktylus mit Auftakt. Dieser Wechsel, diese Veränderung im Versmaß, unterstreicht die gewaltigen Veränderungen, die durch die Pest – aber auch später durch die Hilfe Mariens – über die Menschen hereinbrechen. Auch der gewählte Kreuzreim mit wechselnden männlichen und weiblichen Kadenzen unterstützt diese Spannung, die dennoch letztlich von einer großen Harmonie, inhaltlich dem großen Gottvertrauen des Verfassers, der mir nicht näher bekannt ist, umrahmt wird.

Lobetag in Westernkotten [aus: Der Patriot, Juli 1923]

Heimatklänge, wie sprecht ihr so laut

Zum heimwehkranken Herzen –

LOBETAG – du Bild so traut –

Heil’ges Sehnen mich übertaut

Mitten in Lebensschmerzen.

Einst in der Jugend Blütezeit,

In der Kindheit frohen Tagen –

Wie war das Herz so froh, so weit,

Wenn jährlich kam die festliche Zeit,

Davon unsere Väter sagen.

Sie mahnten uns strenge mit warnendem Wort,

Zu halten an heiliger Sitte –

Und wir, ihre Kinder, wir kennen den Hort

Der Gnadenquelle am heiligen Ort – –

Maria, so hör‘ unsere Bitte.

Du hast einst beschützt unsrer Ahnen Leben,

Hast sie errettet aus Not und Gefahr –

Soll uns noch länger der Feind umgeben?

Hunger und Elend uns drohend umschweben?

Neue Kriege uns kommen gar?

Mutter, du milde, so hilf uns auch heut,

Wie einst den bedrängten Ahnen –

O breit deinen Mantel der Liebe weit

Über Deutschlands bedrängte Land und Leut –

Wir gehn des Verderbens Bahnen!

Bitt‘ deinen Sohn, er mög‘ uns befrein

Von feindlicher Knechtschaft und Schande,

Den fernen Brüdern den Sieg verleihn –

Den Sieg der Friedensliebe allein

Für alle christlichen Lande.

Dann wollen wir, Mutter, loben dich

In allen erdenklichen Weisen,

Und alle Menschen, sie lieben dich,

Als gütige Mutter herzinniglich,

Und werden dich ewig preisen.

Sophia Drücke

Anmerkungen

Dieses Gedicht mit seinen 7 Strophen, einem Reimschema a,b,a,a,b und einem unregelmäßigen Versmaß, reicht von der literarischen Qualität nicht an das Gedicht von Kölkenbeck heran. Es scheint von einer Westernkötterin geschrieben worden zu sein, die durch Heirat ö. Ä. nicht mehr in Westernkotten wohnt und von „auswärts“ sich ihre Kindheitserinnerungen im Zusammenhang mit dem Lobetag vergegenwärtigt. Die Hilfe Mariens wird erbeten für die Gegenwart, die sie – in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg, den Erfahrungen der französischen Besatzungszeit und der russischen Oktoberrevolution – als bedrohlich und unfrei und überhaupt düster beschreibt.

Marienlied zur Dreihundertjahrfeier in Westernkotten [1935 enstanden; aus dem Nachlaß Wlhelm Probst]

Gegrüßt seist du, Maria, du Himmelskönigin,

wir kommen dich zu ehren mit demutvollem Sinn.

Und wer da hat ein Leiden, und wer da fühlt ein Weh,

faß‘ kindliches Vertrauen, und zu Maria geh:

O breite deinen Mantel aus und hilf uns aus der Not!

Vor langen, langen Jahren zog Krieg und Pest durchs Land,

der Tod, er schwang die Sichel, mit rauher Henkershand.

Marias Kinder eilten, von Not bedrängt, herbei,

bestürmten dann den Himmel mit ihrem Bittgeschrei:

O breite deinen Mantel aus und hilf uns aus der Not!

Und wenn in unsern Tagen bedrückt uns Seelennot,

wenn starke Stüme brausen, des Glaubens Licht bedroht,

dann eilet zu Maria, die schnell und hilfsbereit:

Erhöre unsre Bitten, jetzt und in Ewigkeit!

O breite deinen Mantel aus und hilf uns aus der Not!

Wenn in der letzten Stunde uns kalter Schweiß umweht,

zerreißt der Lebensfaden, der Zeiger stille steht,

dann stärke uns, Maria, und bitt‘ für uns bei Gott.

Dann reich‘ uns deine Hände – wie bitter ist der Tod –

Dann breite deinen Mantel aus und hilf uns in der Not!

Heinrich Ferdinands

Anmerkungen

Dieses Lobetagsgedicht des bekannten Bad Westernkötter Heimatdichters Heinrich Ferdinands (1866-1947) ist paarig gereimt; als Versmaß ist ein Alexandriner vorzufinden, eine jambische Reimform mit deutlichem Einschnitt nach der 3. Hebung. Diese Versform wurde zum Beispiel in Barocksonetten häufig verwendet, die oft christliche Themen und Inhalte ansprechen. Dieser „barocke Einschlag“ wird nochmals unterstrichen durch Bilder wie „Lebensfaden“ und „Lebensuhr“ in der letzten Strophe.

Insgesamt ist der Aufbau ähnlich wie in dem Gedicht von Kölkenbeck: Nach der Begrüßung Mariens wird -allerdings sehr viel kürzer- an die Pestzeit erinnert, um dann Marias Hilfe auch heute und besonders in der Stunde des Todes herauszustellen.