2002: Zukunft der kath. Pfarrgemeinde

Die Zukunft unserer Pfarrgemeinde – Lebensfrage der Kirche

Pastorales Handeln in einer Zeit des Übergangs

Von Pfarrer Heinz Müller

[Erstabdruck: Müller, Heinz, Zur Zukunft unserer Pfarrgemeinde, in: Festschrift 100 Jahre katholische Pfarrgemeinde Bad Westernkotten, Bad Westernkotten 2002, S. 297-300]

Von der versorgten zur mitsorgenden Gemeinde

Ein Gespenst geht um in unseren Gemeinden: der „Priestermangel“. Auch wenn es bei uns im Vergleich zu anderen Gemeinden der Weltkirche noch eher viele Priester gibt, wird die Situation doch von den betroffenen Gemeinden vor Ort als Mangel empfunden. Denn wir hatten uns an den „Luxus“ gewöhnt, jede Gemeinde durch einen Priester „versorgt“ zu wissen.

Jetzt aber sind wir gezwungen, von diesem Luxus Abschied zu nehmen. Und Abschiednehmen ist immer eine schmerzhafte Sache. Besonders für Landgemeinden wie unsere ist es ein schwerer Schlag, dass durch den Pastoralverbund Erwitte der Pastor nicht mehr allein für Bad Westernkotten zur Verfügung stehen wird. Und auch für den Pastor ist die Arbeit in zwei oder gar drei Gemeinden nicht leicht.

In jedem Fall geht der Weg hin von der „versorgten“ zur „mitsorgenden“ Gemeinde. Dieser Weg ist eine Herausforderung für uns alle. Es gibt kein Rezeptbuch, in dem nachzuschlagen ist, wie man welches Problem lösen kann.

„Lass uns in deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun. Gib uns den Mut, voll Liebe, Herr, heute die Wahrheit zu leben.“ (Kurt Rommel)

In der Gemeinde der Zukunft sind alle Gemeindemitglieder „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Gottes“. Durch die Arbeit des Pastors in zwei oder drei Gemeinden kann er die Gemeinde nicht mehr so „versorgen“ wie früher. Hier gilt es wieder daran zu erinnern, dass wir alle Kirche sind und uns die Sorge um die Kirche zu eigen machen sollen, also mit zu sorgen.

Der Priester kann nicht allen alles sein, das würde ihn geistig und kräftemäßig überfordern. Er wird Aufgaben weggeben, delegieren und ermutigen, Verantwortung zu übernehmen. So kann dem Priester der Rücken freigehalten werden für die Seelsorgebereiche, in denen er unverzichtbar ist.

Die „Zehn An-Gebote“ von Claudia Auffenberg mögen jeden Einzelnen aufmerken lassen:

Zehn An-Gebote an Mitglieder einer Gemeinde ohne eigenen Priester

Du kannst auf den einen Gott vertrauen.

Du kannst von Gott sprechen.

Du kannst den Sonntag heiligen.

Du kannst die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deiner Gemeinde achten.

Du kannst das Leben deiner Gemeinde mitgestalten.

Du kannst deiner Kirche treu bleiben.

Du kannst Zeuge Jesu Christi sein.

Du kannst offen und ehrlich mitreden.

Du kannst den „halben“ Pastor aufnehmen und unterstützen.

Du kannst die guten Gedanken anderer weitertragen.

Claudia Auffenberg

Die Gemeinde der Zukunft besteht aus vielen Gruppen.

Unser Gemeindeleben ist bunt geprägt von zahlreichen Gruppen und Verbänden, in denen sich Gemeindemitglieder zusammengefunden haben. Selbständigkeit ist also angesagt, so viele Gruppen kann der Pastor oder die Gemeindereferentin unmöglich über eine längere Zeit betreuen.

Wie kann man aber deutlich machen, dass diese Gruppen einen Zusammenhang miteinander leben? Wie kann man nach außen deutlich machen, dass alle diese Gruppen zur Kirche gehören? Und vor allem: Wie kann es gelingen, dass jedes einzelne Mitglied einer Gruppe sich als Glied der Kirche versteht? Der gemeinsame Glaube kann das Netz sein, dass die Gruppen nach außen und innen zusammenhält. Einheit in der Vielfalt und Vielfalt in der Einheit in einer mitsorgenden Gemeinde.

 

In der Gemeinde der Zukunft wird die Gemeindeleitung auf viele Schultern verteilt

Es geht hier um die urchristliche Wahrheit, dass alle Getauften Kirche und auch Priester sind. Das bedeutet, dass auch die Laien an der Leitung der Gemeinde beteiligt werden. Neben den Hauptamtlichen, Priestern und Gemeinderefenten sind vor allem – auch nicht nur – die Mitglieder des Pfarrgemeinderates angesprochen, Aufgaben zu übernehmen oder z. B. in Geschwisterdienst und Nächstenliebe einen priesterlosen Wortgottesdienst zu leiten.

Doch das kann nur Wirklichkeit werden, wenn die Gläubigen selbst die „Urwahrheit“ annehmen, dass alle Getauften auch Priester sind. Bisher ist es nicht so. Doch wir müssen Abschied nehmen von einem priesterzentrierten Denken; denn da, wo die Gemeinde – auch ohne Priester – zum Gebet zusammenkommt, da ist Kirche.

Wenn man nun die Lösungsansätze, wie die „mitsorgende Gemeinde“ aussehen kann, durchdenkt, steht da nicht am Ende eine ganz andere Kirche?

Sicherlich eine Kirche mit einem anderen Aussehen! Und eine, in der man in anderer Weise miteinander umgeht. Aber nicht eine Kirche, die andere Glaubenswahrheiten verkünden wird. Das Glaubensgut bleibt das gleiche. Die drei Säulen einer christlichen Gemeinde, Gottesdienst, Glaubensdienst und Geschwisterdienst, bleiben die gleichen, der dreieinige Gott ist der gleiche. Wer sich ändern muss, sind wir Menschen, unser Umgang miteinander, unsere Verantwortung für das Wohl und Wehe unserer Pfarrgemeinde und der Kirche. Es wird sicherlich einen anderen Umgang miteinander geben zwischen Priestern und Laien auf dem Weg von der „versorgten“ zur „mitsorgenden“ Gemeinde hier in Bad Westernkotten, im Pastoralverbund Erwitte in der Diözese und in der Weltkirche. Freuen wir uns auf diese Kirche.

Als Pfarrgemeinde St. Johannes Evangelist in Bad Westernkotten sollen wir versuchen Salz der Erde und Licht der Welt zu sein, also missionarische Gemeinde, Gemeinde, die ausstrahlt, die aus der Kraft des Hl. Geistes ein Stückchen das Angesicht der Erde erneuert, und zwar da wo wir leben. Christen und Gemeinden, die nur um sich selbst kreisen, die nur sich selbst wärmen und beleuchten, sind nicht im Sinne des Herrn. Denn Christ ist man nie für sich selbst, sondern für andere.

So danke ich allen Gemeindemitgliedern, jung und alt, die alle auf ihre Art und Weise, mit ihren Fähigkeiten unserer Pfarrgemeinde ihr Gesicht geben. Unsere Voraussetzungen für die Zukunft  sind nicht schlecht. Gott der Herr liebt unsere Gemeinde St. Johannes Evangelist nicht weniger als in früheren Zeiten und nicht weniger als anderswo auf der Welt. Genügt das nicht als Voraussetzung für ein erfolgversprechendes Mitbauen an einer christlichen Gemeinde der Zukunft?