1998: Fliegerangriff 1944 (Probst)

Fliegerangriff der Anglo-Amerikaner auf Westernkotten am 19.9.1944, nachmittags  3 ½ Uhr.

Aus dem Nachlaß von Wilhelm Probst, + 1957, Bad Westernkotten

[Erstabdruck: Probst, Wilhelm, Fliegerangriff der Angloamerikaner auf Westernkotten am 19.9.1944, in: Vertell mui watt, Ausgabe 49 und 50 (1998)]

Kurz nach drei Uhr erschienen 13 viermotorige Feindflugzeuge aus östlicher Richtung, fuhren südlich des Hellwegs an Westernkotten vorbei und nahmen Kurs auf Soest. Als sie von Soest aus Flakbeschuß erhielten, kehrten sie in einem Bogen nach Westernkotten zurück und kreisten hier. Zwei deutsche Jäger drängten zwei Feindmaschinen aus dem Verbande. Eine zerplatzte und ging in der Nähe des Brockhofes bei Stirpe nieder. Die andere warf hier etwa 500 Stabbrandbomben und 3 Phosphorkanister ab (wahrscheinlich Notabwurf). In wenigen Augenblicken standen ein Bauernhof, vier Wohnhäuser und eine Scheune in Brand. Auf den Straßen lagen sprühende und explodierende Brandbomben. Die meisten Bomben waren in die Gärten und in die nordöstlich liegende Feldflur gefallen. Der Bombenteppich lag unmittelbar hinter dem Schulhaus, nördlich nach Lippstadt zu. Folgende Gebäude wurden getroffen:

  • 1. Bauernhof des Heinrich Kleeschulte-Lenze. Der Besitzer war auf dem Felde, eine halbe Stunde vom Dorfe. Im Hause befanden sich nur Frauen und Kinder. Sie hatten im Keller Schutz gesucht, als sie Gefahr merkten. Brandbomben waren auf die Düngergrube vor dem Haus gefallen und setzten das trockene Stroh in Brand. Diese Brandherde waren schnell mit Sand und Wasser gelöscht. Doch plötzlich qualmte die ganze Besitzung und brannte dann lichterloh. Es ist anzunehmen, daß mehrere Bomben das Dach durchschlagen und auf dem Dachboden die dort lagernde Erntevorräte entzündet hatten. Die Besitzung brannte vollständig nieder. Das Vieh und größte Teile des Inventars wurden gerettet.
  • 2. Packscheune des Bauern und Schäfers Adolf Schröer. Es wurden etwa 250 Zentner Heu vernichtet, die für die Winterfütterung der Schafe bestimmt war. An landwirtschaflichen Maschinen verbrannten: 1 Selbstbinder, 1 Grasmäher, 1 Heuwender, 1 Erntewagen, 1 Düngerstreumaschine. Außerdem verbrannten 2 angekörte Schafböcke.
  • 3. Wohnhaus des Lohndreschers Wilhelm Köneke. Auf dem Hausboden befanden sich u.a. ein Fuder Heu und ein Fuder Brennholz. Der Dachstuhl ist abgebrannt.
  • 4. Wohnhaus des Rudolf Flöer-Sticht. Der Besitzer steht als Soldat im Felde. Es wird angenommen, daß auf das Anwesen 2 Phosphatkanister und 2 Brandbomben gefallen sind. Es sind u.a. die Futtervorräte für 3 Stück Rindvieh verbrannnt. Aus einem Schlafzimmer, in das ein Kanister gefallen war, konnte nichts gerettet werden. Es waren nur Frauenspersonen im Hause.
  • 5. Wohnhaus des Salinenarbeiters Christian Schmidt-Specht. Ein Kanister durchschlug das Hausdach. Außer dem Hausboden ist das obere Stockwerk vernichtet. Es waren nur Frauen im Hause. Der Hausrat ist fast vollständig gerettet.
  • 6. Wohnhaus und Nebengebäude des Fabrikinvaliden und Schäfers Josef Schröer. Dach und oberes Stockwerk sowie das Nebengebäude, in dem besonders Heuvorräte für Schafe lagerten, sind vernichtet. Bei dem Rettungswerk haben die Hausbewohner zuerst das untere Stockwerk ausgeräumt. Darum verbrannten u.a. die Fleischvorräte, die oben im Hause aufbewahrt wurden.
  • 7. Wohnhaus und Nebengebäude des Schlossers Fritz Mintert, gt. Franzwilmes (5 Brandbomben). Schnelle Löscharbeit mit Sand und Wasser verhütete größeren Schaden. Es verbrannten 2 Betten, ein Schränkchen, und ein Teppich wurde versengt, außerdem einige Wäsche. Im Wohnhause waren 2 Bomben bis ins untere Stockwerk durchgeschlagen. Eine Bombe hatte auf dem Tennenboden eine Strohbanse durchgeschlagen, ohne zu zünden. Erst im Stallflur zündete sie und wurde von 2 Frauen mit Sand und Wasser gelöscht.
  • 8. Neue Scheune des Bauern und Schäfers Adolf Schröer. Ein Loch im Dach deutet auf durchgeschlagene Bomben hin. Die Scheune war bis unter dem Dach gefüllt. In der Haferbanse fand man 2 Brandbomben, von denen eine ein Blindgänger war. Die andere wurde mit Wasser gelöscht, ehe sie Schaden anrichtete.
  • 9. Eine Brandbombe durchschlug das Wohnhaus des Adolf Schröer und verursachte im unteren Stockwerk einen Zimmerbrand. Bomben und Brand wurden durch die Tochter gelöscht.
  • 10. Bei dem Schlosser Heinrich Westerfeld gt. Michel durchschlug eine Brandbombe das Dach, eine Heubanse, eine Kammer und blieb im unteren Stockwerk liegen, wo sie einen Teppich versengte. Bombe und Brand wurden mit 2 Eimer Sand gelöscht. Außerdem haben zwei Blindgänger die Strohbanse durchstoßen und sich dann vor einem Holzbalken festgeschlagen.
  • 11. Im Neubau des Theodor Lanhenke durchschlug eine Brandbombe den Dachboden und blieb im Schlafzimmer zwischen Schrank und Bett liegen.
  • 12. Im Wohnhaus des Salzsiedemeisters Josef Schütte gt. Plösker saß ein Blindgänger auf dem Hausboden festgekeilt, eine Handbreit vom Stroh entfernt.
  • 13. Josef Spiekermann (Neubau): Zimmerbrand mit Sand gelöscht.
  • 14. Karl Koch, 4 Bomben: 1. Im Eisengerümpel auf dem Dachboden ausgebrannt. 2. Nach der Durchschlagung des Daches in der Bodendecke hängengeblieben, gezündet und gelöscht. 3. Sitzt noch im angebauten Plumsklosett. 4. Dachfirst gestreift, in der Düngergrube gelandet und ohne Schaden gezündet.
  • 15. Wilhelm Wieneke. Eine Bombe fiel in den Hühnerstall, der abseits vom Hause im Garten steht, zündete und wurde gelöscht.
  • 16. Fritz Maßolle, 3. Bomben: 1. Blindgänger auf dem Hausboden. 2. Sprang vom Dache aus in Nachbars Garten, wo sie ausbrannte. 3. Beschädigte das Fenstergesims, flog auf den Rasen, wo sie vom Hausbesitzer mit Sand und Wasser gelöscht wurde.
  • 17. Josef Linnemann, 2 Bomben: 1. In den Hühnerstall gefallen, nassen Sack darüber gelegt, dann mit Sand abgedeckt. 2. Traf den Kohlenschuppen und brannte, ohne Schaden anzurichten.
  • 18. Alois Merschmann, 3 Blindgänger: 1. Schlug durchs offenstehende Schlafzimmerfenster. 2. Blieb auf dem Balkon liegen. 3. Glitt vom Stalldach ab und blieb im Garten liegen.
  • 19. Franz Bals, 1 Blindgänger, sprang vom Dach ab und blieb im Garten liegen. –

Weder bei dem Bombenangriff noch bei den Rettungs- und Aufräumarbeiten gab es Tote und Verletzte.

Nachbemerkungen: Bereits im Heimatbuch von 1987 [Seite 237] bin ich kurz auf diese Quelle eingegangen, die hier nunkomplett wiedergegeben wurde. Nach Auskunft von Frau Antonie Erdmann geb. Stange [in einem Telefonat am 4.2.1998] hat Hauptlehrer Probst die Einzelheiten dazu von den Schulkindern sowie den betroffenen Familien erfragt und zusammengestellt. Anschließend hat er den Text Frau Erdmann und Frau Elisabeth Knoche geb. Adämmer -wahrscheinlich, weil sie eine gute Schrift und gute Rechtschreibkenntnisse hatten- in den Pausen und mal nach einer Unterrichtsstunde diktiert, vor allem aus heimatgeschichtlichem Interesse. Frau Erdmann erinnert sich noch heute genau an den Tag des Bombenabwurfs, an das glasklare Wetter, die in der Sonne leuchtenden „Silbervögel“ und auch daran, daß die Menschen im Dorf eigentlich gar nicht eine so große Angst vor Bomben hatten, sich vielmehr bei vorbeifliegenden Kampfflugzeugen immer fragen, über welcher Stadt diese jetzt wieder ihe tödliche Fracht abwarfen. WM

Informationen und Mitteilungen

  • 1. Woher kommt der Name Griesestraße? Im Nachlaß Probst fand ich folgende Kurznotiz: „Studienrat Heinrich Schrop erzählte mir, daß er aus seiner Jugend eine Abzählreim kenne, der vielleicht die Erklärung gebe. Er hieß: „De Gruise, de Wuise, de Voßjan, de Ferenfittig, de maket dem Kollewinter dat Solt säu wittig.“ Da mit den Worten „Wuise, Voßjan, Kollewinter“ alte, noch heute bekannte Hausnamen [an der Aspenstraße] genannt sind, so ist die Möglichkeit in Rechnung zu stellen, daß der „Gruise“ auch ein alter Hofname ist, ein Name für einen Hof, der an der griesen Straße lag. Vielleicht bringt die Forschung in alten Namensregistern oder in den Erwitter Kirchenbüchern Klarheit.“
  • 2. Bücher der Heimatfreunde. Unser Plattdeutsch-Buch „Et lut säu gutt dat Küörter Platt“ ist weiterhin zum Preis von 15 DM in den Geldinstituten zu erwerben. Ebenfalls werden dort das Büchlein „Bad Westernkotten. Historischer Rundgang“ zum Preis von 5 DM sowie das 480 Seiten umfassende Heimatbuch „Bad Westernkotten. Altes Sälzerdorf am Hellweg“ für 35 DM vorgehalten. Das erste Plattdeutsch-Buch „Vertell mui wat op Küörter Platt“ ist vergriffen, die Grundschulmappe „Wir schauen uns um“ soll im nächsten Jahr grundlegend überarbeitet und neu aufgelegt werden. WM