2024: Annemarie Rupnow – Erinnerungen einer ehemaligen Lehrerin der Volksschule in Bad Westernkotten


[Vorbemerkungen: Ende April/Anfang Mai 2024 weilte Frau Annemarie Rupnow geborene Kramer zum Kuraufenthalt in Bad Westernkotten. Sie nahm hier vor Ort Kontakt mit Anette Sellmann auf. Es stellte sich heraus, dass Frau Rupnow in den Jahren 1964/1965 als Lehrerin Annemarie Kramer an der Volksschule Bad Westernkotten tätig war. In einem Telefonat Anfang Mai bat ich sie, doch einen kleinen Bericht über ihre damalige Schulzeit in Bad Westernkotten zu schreiben und vielleicht einige Fotos beizufügen. Dies sagte sie mir per Mail am 7.5.2024 zu. Gleichzeitig mailte sie mir einige Fotos. – Es folgt nun der Text dieser bemerkenswerten Lehrerin, die heute in Düsseldorf wohnt. Auch die Bildunterschriften stammen von ihr. WM]


Frühjahr 1964
Mein Name ist Annemarie Kramer. Ich bin 23 Jahre alt und habe gerade an der Pädagogischen Hochschule Bielefeld die erste Prüfung zur Volksschullehrerin gemacht. Vom Regierungsbezirk Detmold werde ich zum Regierungsbezirk Arnsberg geschickt. Von dort wird mir eine Stelle an der Volksschule Bad Westernkotten zugewiesen. Keiner aus meiner Familie kennt diesen Ort. Wir sind ins Reisebüro gegangen, um zu erfahren, wo Bad Westernkotten liegt.
Ich bin dahingefahren, um eine Wohnung für mich zu finden. Herr Schäfers – Rektor der Schule – bietet mir zwei Zimmer oben in der Schule an, Waschgelegenheit im Flur und ein Riesenboden im Rest des Dachgeschosses. Alles für knapp 14 DM!

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Sportunterricht mit dem 2. Schuljahr auf der Schützenwiese

Der erste Schultag kommt, ich bin natürlich ein wenig aufgeregt. Wir haben in der Hochschule viel Theorie gehabt, aber viel zu wenig darüber erfahren, wie man unterrichtet, Kinder behandelt, mit Eltern spricht und so weiter. Ich bekomme ein 2. Schuljahr mit 42 Kindern (heute undenkbar!). Als ich den Klassenraum betrete, wird es still. Die Kinder stehen und sprechen im Chor: Guten Mooorgen Fräulein Kraaamer. Dabei machen die Mädchen einen „Knicks“, die Jungen einen „Diener“. Ich grüße zurück, und die Kinder setzen sich. Montags fängt mein Unterricht erst nachmittags an, Samstagvormittag ist auch Schule. Leider habe ich nicht mehr viel Erinnerungen an diese Zeit und habe auch fast alle Namen vergessen, was vielleicht verständlich ist nach so vielen Jahren und vielen, vielen anderen Namen in den nächsten Schuljahren.

Woran ich mich aber gut erinnere, sind folgende Erlebnisse:

Soweit ich weiß gab es nur eine Toilette im Wohntrakt. Meine beiden Zimmer lagen über der Wohnung von Familie Schäfers. Ich hatte immer Angst, nachts die Toilette zu benutzen. Was sollte ich machen, wenn ich Herrn Schäfers im Nachthemd begegnete?

Fast alle Westernkötter Familien hatten einen eigenen Garten, Obst und Gemüse brauchten sie nicht zu kaufen. Doch ich musste öfter in dem einzigen (?) Laden einkaufen. Wenn ich die Tür öffnete und eintrat – meist waren Frauen da – erstarb sofort jedes Gespräch. Man schaute nur und sagte eventuell ganz leise: die Lehrerin. Sobald ich den Laden verließ, wurde wieder laut geredet.

Als es kälter wurde, versuchte ich meinen Ofen anzumachen. Ich hatte keine Ahnung, wie man das macht! Die beiden Zimmer waren nach kurzer Zeit voller Rauch. Ich riss die Fenster auf, aber das half natürlich nicht viel. Herr Schäfers musste auch was gemerkt haben und kam rauf geeilt: Soll ich die Feuerwehr rufen? Meine Ofen-Anzündungsversuche wurden erfolgreicher!

An ein einmaliges Erlebnis erinnere ich mich besonders gern. Bad Westernkotten hatte Besuch von einem hohen, geistlichen, katholischen Mann (Bischof?). Er traf sich mit „Stadtvätern“ (?) und lud auch dazu das Lehrerkollegium ein, zu dem ich ja auch gehörte (Ich bin evangelisch!). Ich war sehr stolz!

Ab und zu – wirklich nur ab und zu – gab es lediglich kleine Probleme … Ich musste die Mädchen der 7. Klasse in Handarbeiten unterrichten – stricken war angesagt. Ich wusste gar nicht, wie das geht und musste immer einen Stock höher laufen und die Kollegin bitten die Maschen wieder aufzunehmen.
Rückblickend war es ein schönes Jahr für mich. Ich habe mit meinem Rad die Gegend erkundet, bin nach Erwitte zum Schwimmen gefahren, habe viel gelesen. Im 2. Halbjahr hatte ich endlich auch ein Auto, was mich natürlich unabhängiger machte.
Ich kam auf die Idee, nach 60 Jahren noch einmal nach Bad Westernkotten zu fahren, nachdem ich auf der Düsseldorfer Reisemesse Anfang 2024 einen Stand von Bad Westernkotten entdeckte. Ich kam mit den beiden Damen ins Gespräch, erzählte ein wenig von meinem Jahr in Bad Westernkotten, und Frau Heilig, von der Reise-Touristinfo, meinte dann, ich sollte Bad Westernkotten doch mal wieder besuchen.
Der Ort hat sich total verändert! Außer der Schule, dem alten Kirchturm und dem großen Altar in der wunderschönen, neuen Kirche habe ich nichts wiedererkannt. Bad Westernkotten ist ein wunderschöner Kurort geworden! Frau Sellmann ist mit mir am 26. April 1,5 Stunden durch den Ort gelaufen und hat mir vieles in Erinnerung gebracht.

Die Handarbeitsmädchen aus dem 7. Schuljahr, ich mittendrin

Noch ein schönes Erlebnis zum Schluss: Frau Sellmann hatte auf dem Mädchenbild Maria Lange, die Tochter von Lehrer Lange, an den ich mich noch erinnere, erkannt – links vorne – und gesagt: da klingeln wir. Maria öffnete die Tür, Frau Sellmann sagte: ich habe eine Überraschung – Kennst du diese Frau? Maria schaute mich an und sagte dann: die Lehrerin! Toll, oder?

Frau Maria Coböken, geborene Lange, und ich am 26. April 2024