Beitrag zur Heimatkunde Westernkottens
Von Hedwig Probst
Im Bestand von Maria Peters fand ich ein gebundenes Heft in DIN-A-4-Format. In Sütterlin-Schrift hat dort Hedwig Probst, die Tochter des früheren Zahnarztes Willi Probst, alles niedergeschrieben, was sie im Rahmen umfangreicher Recherchen erschlossen hat. Die Tageszeitung „Der Patriot“ hat daraus 1934 drei größere, fast jeweils eine ganze Seite umfassende Darstellungen erstellt. Nach meiner – vorläufigen – Einschätzung war damit Hedwig Probst eine der ganz frühen „Geschichtsforscherinnen“ von Westernkotten. Eine entsprechende Würdigung steht noch aus. Es folgt die Transkription ihres Textes, angefertigt mit „Transkribus“ und anderen Techniken. Ihre Fußnoten habe ich in eckige Klammern an entsprechender Stelle in den Fließtext gesetzt. WM, 29.12.2024 – 24.01.2025]

Titelseite des Buches aus dem Jahre 1934
Seite 3:
Plan
Vorwort Seite 4
Abhandlung:
1. Aus der Urzeit der Dorfgeschichte Seite 7
2. Denkwürdige Stätten und heutige Bräuche als Zeugen der Vergangenheit Seite 11
- Die Salzindustrie meiner Heimat
1. Das Erbsälzertum in seinen Rechten und Pflichten Seite 20
2. Aus der Geschichte der Salzgewinnung bis in unsere Tage Seite 27
- Unser Lobetag
1. Vom Ursprung des Festes und seiner Feier in alter Zeit Seite 34
2. Wie wir heute unser Hochfest begehen Seite 46
Nachwort Seite 53
Seite 4:
Vorwort
Seit langem hegte ich den Wunsch vom Leben und Schicksal unseres Dorfes und seiner Bewohner zu berichten. Die Ortschaft Westernkotten kann auf eine reiche Vergangenheit zurückblicken und hat doch kein heimatliches Schrifttum aufzuweisen. Es hat deshalb für mich einen doppelten Reiz in meiner Jahresarbeit das zusammenzustellen, was – abgesehen von einigen Akten – ausschließlich in mündlicher Form von den Vätern überliefert ist. Heimatliebe hat mich bewogen zu eifrigem Forschen, und mit Stolz will ich künden vom Werden und Sein unseres Dorfes. Bis in die frühesten Zeiten schaue ich zurück und zeichne durch Wort und Bild den Weg von der Vergangenheit bis in unsere Tage. Von echtem Volkstum will ich sprechen und zeigen, wie wir in Brauch und Sitte Ahnentreu üben, und wie durch nimmermüden Eifer das Land errungen und zur „Heimat“ wurde. Glanz und großen
Seite 5:
Reichtum nennen wir nicht unser Eigen, und es erfordert all unserer Kraft, die Schätze des Bodens zu unserem Lebensunterhalt zu erringen. So bleiben wir arbeitsam und einfach und verlieren den Blick auf den Geber aller Gaben nicht. Verbinden uns schon gemeinsame geschichtliche Erlebnisse und wirtschaftliche Interessen, so schlingt die Religion das festeste Band um die Dorfbewohner. Wer je den „Lobetag“ mit uns feierte, wird das bestätigen. Wenn ich als Westernkottener Kind davon berichte, dann können die Worte sich nicht ruhig und nüchtern aneinanderreihen. Dann wird es nicht ausbleiben, dass helle Begeisterung mich mitreißt, ein farbenfrohes und doch erstes Bild der Heimat zu malen.
Seite 6: – [leere Seite]
Seite 7 und 8: Werden und Wachsen der Ortschaft Westernkotten
Zwischen Hellweg und Lippe, wo vom Süden der Rücken des Haarstranges in der Ebene verläuft und – weiter nördlich – das Gelände wieder ansteigt, liegt in fruchtbarer Talsohle die Ortschaft Westernkotten. Sie ist ihrer Kreisstadt Lippstadt benachbart und gehört zum Regierungsbezirk Arnsberg.
Die beste Erklärung des Namens Westernkotten ergibt sich aus den Gogerichtsakten des von Landsbergschen Archivs in Erwitte aus dem Jahre 1309. Danach war Cothen nur eine Kötterei, d. h., ein Haus mit einer dazugehörigen Salzhütte. Im Jahre 1027 wurde der Cothen Eigentum des Bischofs Meinwerk zu Paderborn. Er erhielt ihn als Zugabe zur curtis regia in Erwitte von Kaiser Konrad II., dem Herrscher aus salischem Hause. Im Besitze des Bischofs war ebenfalls der „Hof zur Osten“ bei Böckenförde, in dessen westlicher Richtung der „Westeren-Cothen“ lag.
Über die Entstehung des Ortes aus dem kleinen Cothen gibt eine an der Nordseite unserer Kirche befindliche, in Stein gemeißelte Inschrift aus dem Jahre 1630 Aufschluss. Es handelt sich um eine Nachbildung des Schlusssteins ins, der früher über dem Westtore der alten Landwehr nach Erwitte zu eingemauert war. Nach dem Abbruche der Befestigungsanlagen soll er zum Beschweren des Sauerkrautes in der „Jütteschen“ Besitzung am Wall gedient haben.
Ein Sachverständiger entdeckte das wertvolle Gewicht und sorgte dafür, dass die Platte in eine Wand im Inneren der Kirche eingelassen wurde. Bei einer Renovierung des Gotteshauses fügte man eine Nachbildung des Steines in die äußere Vorseite ein. Die alte Tafel wurde aus dem Mauerwerk gebrochen. 1932 fand man sie unter dem Hochaltar und gab ihr einen neuen Platz im Innern des Erweiterungsbaues unserer Kirche. Die Inschrift lautet:
Westernkottensium origo ante ducentos annos
Saevit ut rapidus Mavors Vulcanus et atrox
Tecta vicina vorans, flamma grassante per Aspen
Perque pagos binos; habitantes limina mutant
Et struxere domos inventis prope salinis
Ast postquam crebro quassati turbine belli
Exhaustique bonis Fernando principe freti
Sese obvallarunt et iussi claudere portas
Anno MDCXXX
Seite 9:
Die Übersetzung lautet:
Der Ursprung Westernkottens vor 200 Jahren.
Furchtbar wütet der Krieg, ihm folget der schreckliche Brand nach.
Haus für Haus verschlinget die Flamme, die eilet durch Aspen
Und noch zwei andere Dörfer. Es wechseln den Herd die Bewohner.
Salzige Quellen in der Nähe sie finden und lassen sich nieder.
Aber von Stürmen des Krieges noch wieder und wieder gequält,
ganz der Habe beraubt, da – dem Fürsten Ferdinandus vertrauend – Wälle sie rings aufbauen; nach Geheiß schließt jetzt man die Tore.
Im Jahre 1630.
Seite 10:
Die steinerne Urkunde schildert die Kriegsgräuel der Soester Fehde. Die Heere des Erzbischofs von Köln plünderten mit den ihnen verbündeten böhmischen Truppen fünf Dörfer, die den „Westeren Cothen“ umgaben: Aspen, Hockelheim, Mestyschenheim, Swiek und Weringhausen. Aus schwelenden Trümmerhaufen retteten die Bewohner ihre letzte Habe. Um sich vereint besser gegen ähnliche Angriffe wehren zu können, siedelten sie sich in der Nähe der Salzquellen an. Das neue Dorf hieß nach seinem Stammhaus: Westeren-Cothen, woraus sich im Laufe der Zeit der heutige Ortsname Westernkotten entwickelte. Zur Befestigung umgab man die Siedlung mit einer Landwehr. Tiefe Gräben und Wälle auf deren Höhen Eichen, Hainbüchen und Dorngestrüpp ein undurchdringliches Hindernis bildeten, geboten dem Feinde Einhalt. Dort, wo die Straßen einen Durchbruch forderten, entstanden steinerne Tore. Und noch heute kennzeichnen Hügel auf den Wällen die Stellen, wo ehemals von Aussichtstürmen Dorfwächter den Feind beobachteten.
Seite 11:
Bei einem Gang über den Dorfwall [Bild Nr. 1] wollen wir Ausschau halten nach dankwürdigen Stätten, die Zeugen der Geschichte der Heimat sind. Wo einst das Westtor war, beginnt unser Weg. Wir gehen dem Norden zu. Der schmale Pfad auf der Wallhöhe ist rechts von dichten Dornhecken begrenzt. Zur Linken trennt ihn ein breiter Graben von fruchtbaren Gärten und Wiesen.
Aus Busch- und Baumwerk leuchten im Westen die Dächer einer großen Besitzung. Es ist der Weringhoff, ein Gutshaus, von weitem Scheunenkranze und tiefen Gräfte umgeben. Der Name verrät, dass hier früher die Ortschaft Weringhausen lag, die im 15. Jahrhundert von den Feinden zerstört wurde.
Wir gehen an den Salinen vorbei, hören das leise Getröpfel auf den schwarzen Dornwänden und spüren, wie sich der salzige Nebel senkt. Dahinter steigt der Bohrturm aus dem Acker. Er deckt die Solquelle, von der die Gradierwerke, die Sudhäuser und das Solbad gespeist werden. Zu seinem Fuße dehnen sich die Hungerkämpe.
Seite 12:
Der steinige, harte Boden, dem sonst nur spärliches Gras entspross, ist durch planmäßige Bewirtschaftung in üppige Gärten verwandelt worden.
Hinter der Gieseler, die Westernkotten von seiner Kreisstadt Lippstadt scheidet, liegt der Klosebaum, ein stattlicher Hof. Hier war einst der Dorfeingang durch einen Schlagbaum – bei uns Schließbaum genannt – versperrt, an dem der „Schließer“ [close = schließen] den Wachdienst versah.
Im Nordwesten erinnert die Radstraße an das kurkölnische Rittergut „Haus zum Rade“ (siehe Karte im Anhang), was als Lehen des Königshofes in Erwitte Sitz der Familie von Bredenoll war. Es ist nach den fortspreitenden Streitigkeiten um die Landeshoheit im Jahre 1649 von Lippstadt angekauft worden und in Verfall geraten. An der „Raed-Eiche“ wurde das Gogericht gehalten, und später tummelten sich in ihren Mauern die „Hexen“ der näheren und weiteren Umgebung.
Die östlich liegenden Ländereien tragen den Namen „Siuke“, benannt nach der in der Soester Fehde untergegangenen Siedlung Swiek. Zur Zeit des Hexenwahnes
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galt die Siuke als Sammelpunkt und Tanzplatz der Besessenen. Sie ritten auf schwarzen Ziegenböcken, und des donnerstags um Mitternacht wurde lustig getanzt, getrunken und von einem Pferdeschädel gegessen – so erzählt es Sage.
Vom östlichen Walle schauen wir ins Muckenbruch ([vgl. Bild Nr. 2]. Lange Reihen dicker Kopfweiden zeigen, dass dort sumpfiges Gelände für saftige Wiesen nutzbar gemacht worden ist. Im Jahre 1866 wurde das Moorland durch Entwässerung entsäuert. Der heutige Rann „Muckenbruch“ deutet darauf hin, dass man als willkommenes Nebenprodukt Torf gewann. Moorerde, faustdick auf trockenes Land gestrichen, wurde nach dem Erhärten in der Sonnenwärme durch Spatenstiche in „Mucken“ abgeteilt. Sie dienten den Dorfbewohnern als Heizmaterial [1836 kostete ein Fuder Torf 1 Reichstaler und 7 Silber Groschen. Davon wurden 7 Groschen für das Material gerechnet und 1 Taler für seine Herstellung (nach den Erwitter Kirchenakten)].
Das Moorland war ehemals Gemeindeeigentum. Nach der Fruchtbarmachung erfolgte eine Aufteilung des Besitzes an die Dorfinsassen nach dem Grundvermögenswert ihrer eigenen Ländereien (1867-1869). So
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erlangte der Großgrundbesitzer eine bedeutende Erweiterung seiner Äcker, während der „kleine Mann“ mit einem geringen Anteil zufrieden sein musste. Er erhielt eine langgestreckte „Parzelle“, deren Schmalseite an die Straße grenzte.
Eine leichtere Bewirtschaftung der Ländereien wurde erreicht durch eine Verkoppelung der Grundstücke im Jahre 1884. die Besitzungen der Großen wurden zusammengelegt, und am äußersten Dorfende teilte man die Parzellen für die Armen ab. Sie hatten also einen weiten Weg zu ihrem „Pläneken“ oder „Kirchenfenster“, so benannt wegen der langen, schmalen Form des Landes.
Der Rundgang über den Wall führt uns im Süden am Schützenplatze vorbei. Vor der weiten Halle dehnt sich die fest umzäunte Rasenfläche, von Linden beschattet. Die Schützengesellschaft Westernkottens kann auf eine jahrhundertelange Vergangenheit zurückblicken. Eine alte Karte aus dem Jahre 1454 [siehe Anhang] zeigt bereits die Vogelstange an der Stelle, wo sie noch heute ihren Standort hat. Alljährlich veranstalteten die Bürger des Dorfes ein Schützenfest. Den Höhepunkt der Feier bildete das Vogelschießen, dem jeder Ortsinsasse beiwohnte. Der beste Schütze erhielt als Geschenk eine Summe Geldes oder einen Hut. Im Jahre 1694 überreichte man dem „König“ einen silbernen Vogel, der noch alljährlich als Schmuck getragen wird.
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Die Schützengesellschaften wurden sehr bald von den Strömungen des Zunftwesens erfasst. Es bildeten sich drei Kompagnien, von denen jede ihr eigenes Fest an einem bestimmten Tage feierte. Das Männerschützenfest wurde im Jahre 1828 auf Mariä Geburt, den 8. September, festgesetzt. Die Handwerker feierten das Vogelschießen am ersten Sonntag nach dem Lobetag und die Landwirte am Sonntag darauf. Die Vereine standen in engster Gemeinschaft mit der Kirche. Sie waren geistliche Gilden. In den Statuten standen zunächst religiöse Satzungen. Dann folgte die Schießregel. Verbundenheit erklärt es sich, dass die Kompagnien geschlossen an der alljährlichen Lobetagsprozession teilnahmen.
Die alten Bräuche der Schützengesellschaften sind leider im Laufe der Zeit abgeschafft worden. Vor Aschermittwoch ritt die Kompagnie der Bauern das „Kränzchen“ Ein Pfahl wurde in die Erde gerammt. Daran hing ein Kranz, der im Vorüberreiten abgerissen werden musste. Im sausenden Galopp, von der Peitsche getrieben, jagten die Reiter vorbei. Manch einer fiel aus dem Sattel und klagte Ach und Weh ob seines Ungeschicks und seiner Schmerzen.
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Wer den Kranz gewann, war Herr und wurde im Festzuge durchs Dorf geführt. In allen Straßen herrschte wegen des Reitens große Unsicherheit. Darum mühten sich die Neugierigen damit begnügen, dem tollen Treiben vom Fenster des Hauses zuzuschauen.
Am Fastnachtssonntag holten die Landwirte den „Fastabend“ als Strohkerl aus einer Scheune ins Vereinslokal. Da ging es lastig her bei Spiel und Tanz und Trinkgelagen. Der Festtagsschmaus, zu dem jeder Bauer seinen Teil beisteuerte, entschädigte für die Hungermahlzeiten der kommenden Fastenwochen. – Am Aschermittwoch nahm das Feiern ein klägliches Ende. Der Strohkerl wurde in einer Dungstätte begraben, zum Zeichen der Vergänglichkeit aller Freuden. Man drehte auch wohl einen Betrunkenen in Rauhfutter und steckte ihn dann in die Düngergrube. Dabei las einer der Bauern das Haar-Baiken-Evangelium [Haarbaiken bedeutet Hainbuchen. Die an den Fastnachtsbelustigungen teilnehmenden Bauern trugen dicke Hainbuchenknuppel.] vor. Er rief die Namen der Landwirte in das umstehende Volk und erhielt im Chor die Antwort-
Gutt für us: – oder: „Nitt gutt für us“, je nachdem ob der Betreffende viel oder wenig für das Gastessen gespendet hatte.
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Die Fastnachtsbräuche arteten allmählich derart aus, dass es oft zu üblen Ausschreitungen kam. Als gar ein blühendes Menschenleben durch wüste Schlägerei vernichtet wurde, war es mit allem Feiern vorbei. Seit dem Jahre 1884 halten wir an den Fastnachtstagen in unserer Pfarrkirche vierzig Stunden Sühneanbetung vor ausgesetztem hochwürdigstem Gute, um Abbitte zu leisten für die eigene Schuld und Fastnachtssünden unserer Tage.
Es sei noch kurz erwähnt, dass durch die Ständefeste der drei Schützenkompanien immerfort Zank und Streit unter diesen herrschte, bis sie sich nach langem Hin und Her im Jahre 1858 zu einem Bataillon zusammenschlossen. In treuer Verbundenheit feiern sie seither am zweiten Sonntag nach dem Lobetag (Mitte Juli) ein friedliches Fest mit Zapfenstreich, Vogelschießen, Spiel und Tanz und noch mancherlei lustigen Dingen.
Wir verweilten lange beim Schützenplatze und haben unsere Erinnerung den Ereignissen geschenkt, von denen er früher und heute Zeuge war.
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Bald haben wir unseren Rundgang beendet. Noch einmal halten wir am „Bomhof“ (Baumhof) Umschau. Inmitten üppiger Wiesen und Gärten liegt das „Zehnthaus“ [Bild Nr. 3], ein mächtiger Steinbau, der breit und kantig aus dem Boden wächst. Die Karte aus dem Jahre 1454 zeigt an derselben Stelle den stattlichen Wohnsitz des Burgherrn Adrian von Ense. Er fiel im Jahre 1672 dem tollen Wüten Christians von Braunschweig zum Opfer. Eine tiefe Bodensenkung mit steinernem Durchbruch deutet darauf hin, dass die Besitzung von einem Wassergraben umgeben und über eine Zugbrücke zugänglich war. Nach der Zerstörung muss die Burg recht bald wieder aufgebaut worden sein; denn ein Bild (heute im Priesterseminar zu Paderborn, früher im Residenzschloss des Paderborner Fürstbischofs zu Neuhaus) aus dem Jahre 1656, das einen Gesamtblick über das damalige Westernkotten gibt, zeigt ganz deutlich eine stolze Burg. Im 18. Jahrhundert wurden durch Heirat die Herren von Schade und später die von Papen Erben des Burgherrn von Ense.
Heute ist das Wohngebäude restlos verschwunden. Dagegen ist das Zehnthaus noch gut erhalten. In dem wuchtigen, weit räumigen Speicher wurde der Zehntteil aller Bodenerzeugnisse als Pachtzins der Hörigen des Burgherrn gesammelt. Die 60 Meter lange Zehntscheune [heute im Priesterseminar in Paderborn, früher im Residenzschloss der Paderborner Fürstbischöfe zu Neuhaus], die noch heute im Gebrauch ist, barg die Getreidegarben. Das gedroschene Korn wurde auf den drei übereinanderliegenden Böden des Zehnthauses aufbewahrt. [Bild Nr. 4, vergl. auch das Bild in Nr. 129 des „Patriot“].
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Die Haus-Beinamen der Burgnachbarn weisen noch heute auf das Dienstverhältnis ihrer Vorfahren zum Ritterhofe hin. Da ist zunächst der Bauer „Kaspar“, auch „Ossen-Kaspar“ genannt. Es ist wohl anzunehmen, dass sein Ahn den Ochsentreiberdienst versah.
Auch der Schweinhirt hatte ein kleines Anwesen in unmittelbarer Nähe seiner Arbeitsstätte. Das verrät der noch gebräuchliche Hausname „Schwoiens“.
Der immer wiederkehrende Nann Spiekermann namentlich im engeren Umkreis der Burg, darf uns wohl annehmen lassen, dass ein Speichermann, der für die Ordnung im Zehnthause Sorge trug, Gründer dieser Familien war.
Der Rundgang über den Wall hat uns schon manches Wissenswerte vom Leben und Treiben der Ortsbewohner erschlossen. Nun gilt es, die wesenhaften Merkmale der Heimat zu erforschen.
Seite 20: Das Erbsälzertum in seinen Rechten und Pflichten
Im Wirtschaftsleben ist Westernkotten durch seine Salzindustrie bekannt geworden. Schon vor 700 Jahren wurden Solbrunnen zur Salzgewinnung benützt. Von alten Salzhäusern berichten Urkunden aus dem 13. und 14. Jahrhundert:
- Fürstbischof Simon belohnte die treuen Dienste eines Paderborns Bürgers 1261 damit, dass er ihm eine Solquelle in Westernkotten schenkte! [Westfälisches Urkundenbuch VI und IV2 nach Vüllers.]
- 1305 schenkt Renfried der Schorlemer dem Kloster Benninghausen ein Salzhaus zu Westernkotten. [Seibertz-Urkunde 510 in Landes- und Rechtsgeschichte des Herzogtuns Westfalen].
- 1385 gibt Eberhard Schlingworm seiner Frau eine Leibzucht an einem freien Salzhause zu Westernkotten, wovon er derzeit Bauer war. [Seibertz. Urkunde 892.
- 1400 schenkt Wilhelm Proseken, Probst zu den Aposteln in Köln, dem Patroklistift zu Soest ein Salzhaus in Westernkotten. [Seibertz. Urkunde 802]
Seite 21:
Über die meisten Salzhäuser verfügten die Landesherren, der Fürstbischof von Paderborn und der Kurfürst von Köln. Aus einer alten Karte [siehe Anhang] ist ersichtlich, dass die Grenzlinie ihrer Gebiete das Dorf teilte; denn die von Konrad II. im Jahre 1027 dem Bischof Meinwerk zu Paderborn geschenkten Solquellen wurden dem Paderborner Stifte im Streit um die Landeshoheit von Erzbischof Konrad von Köln teilweise wieder genommen. Der Fürstbischof von Paderborn blieb noch Obereigentumsherr über vierzehn Salzwerke. Beim Antritt seiner Regierung erhielt er von seinen Untertanen (135 Hausbesitzern) die Privathuldigung und 100 Taler Willkommensteuer. Langjährige Streitigkeiten über die gegenseitigen Rechte der Landesherren wurden endgültig beigelegt durch Rezesse [Bessen – Geschichte des Bistums Paderborn S. 399] in den Jahren 1687 und 1688.
Der nach und nach vergrößerte und verbesserte Betrieb der Salzsiedereien erforderte schon früh Übereinkommen der Teilbesitzer und Betriebsunternehmer, Sälzer, über ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten, die Arbeit der Salzgewinnung und den Salzverkauf. Es wurden Sälzer-Vereinigungen gebildet, welchen von den Landesherren Statuten gegeben wurden, für deren Beobachtung in Statuten
Seite 22:
der Salzrichter die Aufsicht führt. [Vüllers – in der Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde – Münster 1901]
Die im Jahr 1778 von Fürstbischof Wilhelm Anton in Paderborn erneuerten Statuten enthielten strenge Anforderungen an die Person der Sälzer und genaue Bestimmungen über ihre rechtliche Stellung. Ein Teil der wissenswertesten Vorschriften soll hier folgen [nach Seibertz, Urkunde 1057].
- Nur der konnte Sälzer werden, der ehelich geboren, christkatholischen Glaubens war und sich eines unbescholtenen Lebenswandels befleißigt hatte. Er musste sich dem Landesherren durch einen Eid zu Treue und Gehorsam verpflichten und Gebot und Verbot in den Salzwerksachen geziemende Folge leisten.
- Eine Pfanne oder Siedegerechtigkeit sollte nicht mehr als zwei Berechtigte haben.
- Über Verwaltungsangelegenheiten mussten regelmäßig Versammlungen abgehalten werden.
- Jedes Mitglied war berichtigt, sein Pfannen-, Siede- und Gradierwerke nach eigenem Gutdünken einzurichten und zum Sieden eine beliebige Jahreszeit zu wählen. Mehrere Besitzer einer Pfanne hatten im Siede-Amt wochenweise zu wechseln.
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- Kaufleute konnten das Salz bei jedem Sälzer erstehen. Der Preis wurde vom Sälzer-Kollegium bestimmt, musste aber von einem fürstlich Paderbornischen Beamten geprüft und genehmigt werden.
- Kein Sälzer durfte seinen Hütten eigenmächtig Salz entnehmen, auch nicht zum eigenen Gebrauch. Jede Salzabgabe sollte vom Salzmesser zugemessen und gebucht werden, auch das an die Fürstlich Paderbornische Hofkammer abzugebende Kuchensalz.
- Der Sälzer war verpflichtet, seinem Eigentumsherrn zur rechten Zeit Pacht zu bezahlen und die Salzwerke in gutem Zustande zu erhalten.
Aus den vorstehenden Bestimmungen ist ersichtlich, dass nicht alle Sälzer Eigentumsrechte über die Salzwerke besaßen, sondern vielfach nur Betriebsunternehmer waren. Die Söderknechte, die in den Sud-Häusern arbeiteten, waren ihren Herren eidlich zum Treuedienst verbunden und gleich ihnen den Bestimmungen der Statuten unterstellt. Verfehlungen gegen die Vorschriften musste der Sälzer beim ersten Male mit zwei Goldgulden, im Widerholungsfalle mit vier Goldgulden sühnen und mit Ausschluss von der Konvokation und Stimmführung bis zur Besserung seines Verhaltens büßen.
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In Westernkotten hat sich das Sälzertum bis auf die heutige Zeit erhalten. Die Erbherren sind jetzt nicht nur nutzungsberechtigte Betriebsunternehmer, sondern Besitzer der Solwerke.
Die Saline Westernkotten umfasste bis vor kurzem 15 Pfannenanteile, die einzelnen Sälzer hatten darauf verschieden großes Anrecht.
So besaß
- Graf von Landsberg- Velen- Wocklum bei Balve [?] 7 5/6 Anteile
- Baron von Paten in Antfeld 3
- Erben Bredenoll in Erwitte 1 2/6
- Erben Jesse in Westernkotten 1
- Erben Loeper in Westernkotten 5/6
- der preußische Staat 1________
= 15 Anteile.
Zurzeit gibt das Abstimmungsverhältnis der einzelnen Salineninteressenten ein klares Bild über ihre Besitzverhältnisse. Von 84 Stimmen besitzt:
- Graf von Landsberg-Velen 51 Stimmen
- Baron von Papen-Antfeld 18 Stimmen
- Erben Gutsbesitzer Rudolf Loeper-Königsberg 5 Stimmen
- Amtsgerichtsrat i. R. Steinmann-Münster 4 Stimmen
- Solbadbesitzer Wiese-Westernkotten 3 Stimmen
- Erben Bredenoll-Erwitte und Dr. Brüning-Hagen 3 Stimmen
84 Stimmen
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Die erheblichen Unkosten, die mit der Herstellung des Siedesalzes verbunden sind und die drückende Steinsalzkonkurrenz hatten zur Folge, dass in den letzten fünfzehn Jahren mehrere Gradierwerke und Siedehütten stillgelegt und abgebrochen wurden.
Heute wird nur noch im Betrieb des Grafen von Landsberg Salz hergestellt. Die Norddeutsche Salinenvereinigung [besteht seit dem 1. Januar 1933], deren Aufgabe es ist, den Salz-Absatz und die Preisstützung zu regeln, hat von Landsberg die Gewinnung von 20.000 Zentnern im Jahre zuerkannt. Bis 1932 dürfte er jährlich 30.000 Zentner herstellen.
Die ältesten Sälzer-Urkunden der Westernkottener Saline zeigen im Siegel ein Sudhaus. Schriftstücke späterer Jahre weisen mit drei nebeneinanderliegenden Pfannenhaken auf die Zeit hin, in der man die Pfannen mit langen Eisenhaken im Gebälk des Siedehauses aufhing und die Sole durch Holzfeuer erhitzte.
Dieses Wappen fand sich auch in der Umrahmung des alten Lobetagsbildes [siehe Seite 53]. Daraus ist die enge Beziehung der Sälzer zum kirchlichen Leben der Gemeinde ersichtlich, welches sie vor allem durch erhebliche Geldzuwendungen unterstützten.
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Im Dorfsiegel finden wir heute ein Zeichen, das dem früheren Sälzerwappen ähnlich ist. Es hat die Form der Wolfsangel, wird aber vielfach – wohl durch Vergleich mit den oft gesehenen drei Pfannenhaken – als Sälzersiegel gedeutet. Daneben lebt im Volke die Überlieferung, dass die „Wolfsangel“ im Siegel an die Zeit des dreißigjährigen Krieges erinnert. Sie soll das Kennzeichen eines geheimen Bauernbundes unseres Ortes sein, der sich zur Abwehr feindlicher Überfälle gebildet hatte [siehe Titelseite des Bilderanhangs]. Der Meinungsstreit über die Zeichendeutung schwingt heute ob der Freude, dass unser Ort weit und breit der Einzige ist, der das Sympathiezeichen des neuen deutschen Reiches in seinem Wappen trägt [ vergl. Hermann Löns „Der Werwolf“; Seite 94: „Denn so bin ich der Meinung, dass wir uns die Wehrwölfe nennen und zum Zeichen, wo wir der Niedertracht gewehrt haben, drei Beilhiebe hinterlassen, einen hin, einen her und den dritten in die Quer… Seite 180: „..Die Kapelle wurde fertig bis auf den Schlussstein über der großen Türe, und darin war ein Kreuz eingehauen, das aus zwei übereinanderliegenden Wolfsangeln gebildet war.“] [ergänzend hat die Autorin zwei „Wolfsangeln“ eingezeichnet. WM]
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Die Dokumente der Westernkottener Sälzer geben mir nur geringen Aufschluss über die geschichtliche Entwicklung der heimischen Salzindustrie. Viel wertvollere Kunde über die Salzgewinnung in früheren Zeiten erhielt ich durch Erzählungen alter Dorfbewohner.
In den Sudhäusern, von denen die ältesten Urkunden sprechen, wurden bereits größere Mengen Salz gewonnen durch Kochen der Rohsole in mächtigen „Isernen und bliggenen“ Pfannen. Die Erzeugnisse fanden reichen Absatz in der näheren und weiteren Umgebung unseres Ortes. für den eigenen Gebrauch gewannen die Dorfinsassen das Salz vielfach selbst.
Aus drei Brunnen- dem Windmühlen-, dem Mittel- und dem Kappelbrunnen – konnte jeder beliebig große Mengen Sole entnehmen. Diese wurde zu Hause in Kesseln gekocht. Der Siedeprozess ließ das Wasser in Dampf übergehen, und feine Salzkristalle setzten sich in dünner Schicht auf dem Boden und am Rande des Gefäßes ab. Das war die ursprünglichste Art die Salzgewinnung. Man erzielte durch mühsame Arbeit geringen Gewinn. Und doch bestand die Pflicht, noch von dem Wenigen an die Landesherren abzuführen; denn die Dorfbewohner waren „Zinsleute, die verpflichtet
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waren, den eigentlichen Gutsherren der Saline bei Vermeidung der Vertreibung von Salzquelle (Aqua putei) und Salzhäusern (Salz – Reservoir – ancae casarum ad operationem salis und Salzhäuser – domus operum salis) den Zins zu bezahlen [aus dem Rechtsgutachten betr. die Saline Westernkotten von Oberbergrat Pieler- Dortmund, 4. April 1922].
Um Zeit, Kraft und Feuerung zu sparen, suchte man im 16. Jahrhundert die Rohsole vor dem Kohen durch die Tafel- oder Flächengradierung hochprozentiger zu machen. Mit Holzschaufeln warf man das den Brunnen entnommen Salzwasser gegen schräggebaute Holzwände, die mit schmalen Leisten in Zickzacklinie benagelt waren. Den Windungen folgend, lief das Wasser über die Träufellatten, und Wind und Sonne gradierten es, bis es siedewürdig war. Die Holzwände waren mit ihrer Stirnseite dem Westen zugekehrt, um die von dort vorherrschende Windrichtung auszunutzen.
Später fand eine bequemere Gradierung statt. Philipp Korte, Pfarrer von Salzkotten [*1730 + 1803] trat als Reformator der Salzgewinnung auf. Er stand dem Fürstbischof Wilhelm
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Anton von Paderborn in allen technischen Angelegenheiten beratend zur Seite und leistete ihm vor allem in den „Söllereien“ wertvolle Dienste. Kortes Verbesserungspläne fanden reiche Anregung durch Studienreisen zum Salzkammergut. Unter seiner Leitung wurden nach Beendigung des Siebenjährigen Krieges in Westernkotten Gradierwerke aus Stroh, später aus Dornen gebaut.
Von da an ging die Satzgewinnung schneller vonstatten. Recht mühsam gestaltete sich nur noch die Arbeit, das Wasser aus den Brunnen auf die Dornwände zu befördern. Sie wurde von Frauen bewerkstelligt. Ein mächtiges Tretrad von 6 m Durchmesser trug auf der breiten Innenseite vernietete Holzbalken. Durch ständiges Vorwärtsgehen auf diesen Tripplingen setzte sich das Rad in Bewegung.
Im Zentrum kreiste die dicke Achse. Langsam rollte sich auf ihr eine schwere Kette auf und ab, an die am Ende Rieseneimer das Salzwasser aus dem Brunnen schöpften. Oben griff ein eiserner Haken in den gefüllten Behälter hinein, dass er umkippte und seinen Inhalt in einen Sammelkasten entleerte. Aus diesem führten Rohre die Sole zum Gradierwerk, wo sie mittels Handjungen in die Träufelrinnen über der Dornwand befördert wurden. Langsam sickerte das Wasser hinab,
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ließ beim ersten Fall Schmutz und Mineralstoffe auf den Dornen zurück und kam hochprozentiger unten an. Wieder hochgeleitet und im zweiten und dritten Fall auf anderen Teilen der Saline gradiert, gelangte es in die Sudhäuser, wo durch den Siedeprozess Wasser und Salz getrennt wurden.
Die mühsamste Arbeit bei dieser Salzgeninnung war die der Frauen. Als Tagelohn erhielten sie nur ein Kaste-Männchen; das war ein kleines Silberstück im Wert von 25 Pfg. Wie sehr die Beschäftigung trotz des dafür gebotenen Hungerlohnes begehrt war, geht daraus hervor, dass die Bewerberinnen für Wochen vorgemerkt wären. Dieser Frondienst im Tretrad gibt beredtes Zeugnis von der Armut der damaligen Zeit. Die fleißigen Frauen ließen neben der ermüdenden Arbeit ihrer Füße auch die Hände nicht ruhen. Barfuß gingen sie im Rade. In das Quietschen der Kette und das Stöhnen des Holzwerkes mischte sich das Geklapper der Stricknadeln; denn beim Radtreten wurde manches Paar Strümpfe fertiggestellt. In späteren Jahren wurde das Hochpumpen der Sole durch Göpel [Bild Nr. 7] betrieben.
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Im Jahre 1845 glaubte Domänenrat Geisler von der Gräflich von Landbergischen Verwaltung, durch Bergbau Steinsalz aus dem Boden befördern zu können. Für die Bohrung legte man mehrere Mutungspunkte fest. Auf der „Isernen Schnute“, in der Feldflur an der Gieseler, bestimmte Geisler die Mutstelle, indem er sich auf dem Stiefelabsatz herumdrehte und sagte: hier wird gebohrt!
Monatelang sauste aus einem Rammturm der mächtige Bohrer in die Tiefe. Erbmassen und Stein, die der Meißel beim Aufschlagen zermahlte, wurden mit langen Eisenlöffeln aus dem Schachte herausgeholt. Aber je tiefer das Loch wurde, desto mehr sah man sich in der Hoffnung getäuscht, jemals auf Steinsalz zu stoßen, bis plötzlich jähes Erschrecken die Arbeiter lähmte. Mit donnerndem Getöse war der Block in den gähnenden Grund geschlagen, und gleich darauf drangen brausend und gurgelnd Wassermassen zur Höhe. Hoch auf zischte ein Strahl der schaumigen Flut. Entsetzt waren die Umstehenden zurückgewichen, ganz von Wasser durchnässt. Als jedoch einer merkte, dass er von Kopf bis zu Fuß mit Salzwasser getauft war, wollte das Freudengeschrei kein Ende nehmen. Statt des Steinsalzes war eine Quelle in 300 Fuß = 100 m Tiefe erbohrt, die selbsttätig die Sole über Tag brachte. Schon waren die Schnellsten unterwegs zum
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Domänenrat Geißler. Im Dorfe verbreitete sich die Kunde fliegend von Haus zu Haus. Böllerschüsse krachten und lockten von nah und fern die Neugierigen herbei.
Ungeheure Wassermassen ergossen sich über das Land. Man musste die Quelle abfangen [Bild Nr. 8]. Ein ausgehöhlter Baumstamm wurde über das Bohrloch gesetzt. Hoch sprang der Wasserstrahl darin empor und wurde durch Holzrohre dem neu angelegten Verteilungskasten zugeführt.
Durch den ersten Erfolg ermutigt, teufte man am Hühl, 500 m von der Isernen Schnute entfernt, nochmals ein Bohrloch ab in 360 m Tiefe. Man stieß auf eine Wasserader mit 5 % Salzgehalt. Sie konnte aber nicht ausgebeutet werden, weil sie nicht über Tage trat.
Die Art der Salzgewinnung aus der Sole blieb in der Folgezeit dieselbe. Im Anheben der Sole traten Änderungen ein. Zu den Göpelwerken trat im Jahre 1857 eine Fünf-Kolben-Balancier-Pumpe. Der letzte Göpel wurde 1919 abgebrochen, und 1926 musste die Dampfmaschine elektrischen Motoren weichen.
Die dem Bohrloch an der Isernen Schnute entnommene achtprozentige Sole wird heute auf zwei
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Dornwänden [Bilder Nr. 9 und 10] gradiert, bis sich ihr Salzgehalt auf 23-28 % (je nach Witterung) gesteigert hat. Gleichzeitig lagern sich mineralische und metallische Beimischungen als Dornstein ab. Das Kochen der Sole erfolgt in drei Sudhäusern, auch Leckhütten [Bild Nr. 11] genannt. Bei einer Erhitzung auf 60° bildet sich grobkörniges Salz. Durch eine Temperatursteigerung auf 100° erhält man feinstes Tafelsalz. In den Siedepfannen [Bild Nr. 12] findet die letzte Reinigung der Sole statt durch Abschäumen des Salzschlammes von der Oberfläche und durch Ansetzen des Pfannensteins am Boden. Der einmalige Siedevorgang erfordert eine Zeitdauer von acht Tagen und bringt etwa 400 Zentner Salz.
Seit 1842 wird die Sole in unserem Dorfe neben der Salzgewinnung erfolgreich zu Heilzwecken verwandt. Im Thermal-Radium-Solbad suchen heute Einheimische und fremde Gesundung und Kräftigung.
Seite 34: Unser Lobetag
Ein Bericht über die heimatliche Industrie mag bewiesen haben, dass das Werden und Wachsen unseres Dorfes in nahem Zusammenhange mit der Salzgewinnung steht. Gleichwie gemeinsam erlebte Geschichte zu engster Verbundenheit führt, verknüpft uns dieses Gewerbe in unserer Arbeit und unseren Interessen. Was in uns noch stärkere Gefühle der Zusammengehörigkeit hervorruft, ist das religiöse Leben. Ausdruck dieser tiefsten Gemeinschaft ist unser „Lobetag“, ein Fest, das sich seit 1635 zum Gedächtnis an die Errettung aus schwerer Pestnot alljährlich wiederholt.
Westernkotten fiel im Jahre 1622 dem Plünderungs- und Vernichtungswahn Christians von Braunschweig zum Opfer. Nur teilweise wurde der Ort wieder aufgebaut. Hungersnot und ungünstige Wohnverhältnisse hatten das schrecklichste aller Kriegsgeschäfte[?] im Gefolge: die Pest. Alles Beben vernichtend, raste sie von Haus zu Haus. Sie sprang von hohen Dächern auf strohgedeckte Hätten, im Zickzack, straßauf, straßab. Ihr zischender Broden drang durch Fenster und Türe und suchte sich schlängelnd den Weg durch jeden kleinen Spalt und die schmalste Ritze. Erbarmungslos spie die Mörderin ihr Gift in jedes Wesen. Ob Mensch oder Tier – niemand konnte ihr entrinnen.
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Überall saß der schwarze Tod, im Keller, auf der Wand und im höchsten Gebälk. Er ließ sich nicht bannen. Salben und allerlei Heilgetränk sollten den Menschen nützen Sie halfen nichts; und ebenso vergeblich war es, die Pest durch Räucherschwaden zu vertreiben. Ihr Gifthauch war stärker als die kräftigsten Kräuterdünste. So brachte denn jeder Tag neues Sterben. Die Totengräber schaufelten Loch an Loch in langen Reihen. Mit großen Wagen zogen sie durchs Dorf und holten die Leichen aus den Häusern, an deren Türen ihnen ein Strohwisch anzeigte, dass hier ein Opfer der Seuche lag. Es waren der Toten zu viel, als das jeder in einen Sarg gebettet werden konnte. Das Werktagskleid – wohl auch ein Leinentuch – waren Verband und Sarg zugleich. Darüber fiel die braune Scholle, schwer und dicht. – Vom Turme klagte die Totenglocke so laut und bang, bis ihr Geläute zum leisen Wimmern wurde und ganz verstummte. Das Dorf war still von Leid und Tränen, den in das Grab Sinkenden nachgeweint, bis fast niemand mehr zum Weinen übrigblieb.
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Wegen der Ansteckungsgefahr wurden die Opfer der Rest nicht auf ihrem Pfarrfriedhof an der Erwitter Kirche [Westernkotten war bis zum Jahre 1902 Filiale der Pfarrei Erwitte. Die gemeinsam erlebten Schicksale der Pestjahre führten zu engster Verbundenheit der Überlebenden, die sich bereits um die Mitte des 17. Jahrhunderts für Abpfarrungs-Bestrebungen einsetzten. Erwitte brachte den Wünschen wenig Verständnis entgegen und widersetzte sich allen diesbezüglichen Vorschlägen, bis Westernkotten durch bischöflichen Erlass vom 13. Februar 1902 zur selbständigen Pfarrei wurde] beigesetzt, sondern erhielten eine gemeinsame Ruhestätte in der Nähe des Hellweges, da, wo heute die Feldflur noch den Namen „Alter Kirchhof“ trägt.
Nur neunzehn Menschen bewahrte ein gütiges Geschick vor dem Verderben. In höchster Not einte sie das Gebet. Sie bestürmten den Himmel um Rettung und machten das Gelübde, zu Ehren der allerseligsten Jungfrau alljährlich einen Bettag mit darauffolgender Prozession zu halten, falls sie vom Übel erlöst wurden. Das ist der Ursprung und Sinn unseres heutigen Lobetages. Durch Gottes Hilfe wurde die Macht der Seuche gebrochen. Die kleine Schar der Geretteten hielt in Dankbarkeit ihr Versprechen und hinterließ den Nachkömmlingen als teures Vermächtnis folgende Niederschrift ihres Schwures, mit der Bitte, ihrem Gelöbnis treu zu bleiben.
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„Im Namen der Allerheiligsten und unzerteilten Dreifaltigkeit, des Vaters und des Sohnes und des heil. Geistes. Amen.
Demnach wir allerärmste Sunder und Sünderinnen, armselige Kreaturen und auf diesem Jammerthale herumkriechende Erdwürmlein den allmächtigen, einigen Gott, das Allerhöchste und unendliche Gut, mit vielen, schweren Sünden und Missetaten oft und vielmals leider beleidigt und erzürnt haben – wann dann dessentwegen von dem gerechten wie auch barmherzigen Gotte mit einer gnädigen, barmherzigen Pestilenz-Strafe secundum ordinem justitiae suae vindicativae in Gnaden visitirt und heimgesucht, dafür wir der Allerheiligsten Dreifaltigkeit in alleräußerster und tiefster Demuth, wie einer Kreatur gegen den Schöpfer billig sollte gebühren, unterthänigst danksagen und danksagen wollen in alle Ewigkeit mit dem allerdemüthigsten Bekenntnis vor Gottes Angesicht, dass wir solcher Strafe wohl würdig und sie tausendmal mehr mit unsern Sunden verdient und leider verschuldet haben; sintemalen aber
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wir in unserem christlichen katholischen Glauben festtäglich glauben und bekennen nebst allen Artikeln, so die ewige Wahrheit uns geoffenbart und durch die katholische Kirche zu glauben vorgestellt hat, dass die Gütigkeit und Barmherzigkeit Gottes unendlich ist und nicht begehrt den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe, also haben wir uns die ungezweifelte Hoffnung vermittelst des gnadenreichen Verdienstes Unsers Herrn Jesu Christi, unsers Erlösers und Seligmachers, gemacht, es werde seine göttliche Majestät durch die Fürbitte der Allerheiligsten und glorreichsten Jungfrau und Mutter Maria, sich erbarmen und die ausgezogene Ruthe der eingerissenen feurigen Pestilenz von uns in Gnaden abwenden, und das nicht nach unsere Verdiensten, sondern nach den unendlichen Verdiensten und der Genugtuung Jesu Christi, durch die Fürsprache seiner Allerseligsten Mutter, Maria, deren Bildnis wir deswegen zum eigen Gedächtnis hier in der Kapelle zu Westernkotten lassen aufrichten, wie auch unter der Fürbitte des heil. Johannis Evangelistae, hiesiger Kapelle Patronen, des heil. Laurentii Martyri, Patronen des ganzen Kirchspiels, der heiligen Rochi, Sebastiani und aller lieben Heiligen.
Deswegen wir dann sämtliche Eingesessen zu Westernkotten, als demütige Kreaturen unter der
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allerhöchsten Herrschaft und dem Schutze des Allmächtigen Gottes vowiren, loben und versprechen und verheißen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, Gott dem Vater und dem Sohne und dem heil. Geiste, dass wir in Betrachtung und christlichem Bedenken, dass du, o Herr Jesu Christi, Sohn des lebendigen Gottes, niemals Deiner Mutter eine Fürbitte geweigert, dass wir wollen das Fest der Heimsuchung Mariä, welches einfällt den 2ten Juli, wie es durch die ganze Christenheit gebräuchlich, celebriren, wie auch den andern Tag darnach, den wir dann vornehmlich anloben zur größeren Ehre Gottes und der Allerheiligsten Jungfrau und Mutter Maria, dass wir selbigen wollen halten und feiern mit solcher Solennität, Herrlichkeit und Andacht, wie das Fest der Heimsuchung Mariä in den katholischen Kirchen gehalten wird, neben einer Prozession mit dem heil. Hochwürdigsten Sakrament des Altars, und dabei anloben von allen Standes-Personen, Adlichen und Unadlichen Geistlichen und Weltlichen, Reichen und Armen, Jungen und Alten, dass wir uns wollen aller weltlichen Arbeit, Geschäfte, Kaufmannschaften, Handthierung, ja von allen Sachen, so den Christkatholischen auf Fest- und Feiertagen verboten, enthalten, fleißig zur Kirche gehen, dem Amt der heil. Wisse und Predigt, wie es einem christgläubigen Menschen gebührt und wohl zusteht, beiwohnen, und das bis zum Ende der Welt, solange unserer Nachkömmlinge einige übrig sein werden. Urkundt der Wahrheit haben wir unseren Nachkömmlingen dieses Instrument zu einer immerwährenden Nachricht hinterlassen, mit freundlicher väterlicher Bitte und Warnung, dass sie diesem unserm Gelübde am allerheiligsten und allertreulichsten nachkommen wollen. – Westernkotten, im Jahre 1635.
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Den neunzehn Geretteten folgten von Jahr zu Jahr mehr dankbare Beter auf ihrem Prozessionswege. Eine Generation erzählte der anderen von den schrecklichen Pestjahren und der wundersamen Hilfe der Gottesmutter. Gleich dieser Bunde pflanzte sich auch der Schwur fort, in Treue den Lobetag zu halten. Der Prozessionsweg wurde genau festgelegt. An vier Stationen erteilte der Priester mit der Monstranz dem Volke den sakramentalen Segen. So waren diese Stätten besonders geheiligt. Man bepflanzte sie mit Lindenbäumen. Seit 200 Jahren stehen zwischen den mächtigen Stämmen steinerne Heiligenhäuschen, nach deren Bildnissen die Linden benannt sind. Die Josefslinde [Bild Nr. 14] schirmt mit ihren breiten Zweigen den schmalbedachten Bildstock des heiligen Josef.
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Ich entzifferte die in Stein gemeißelten Worte:
eXstrVlt In Laeti BernaDVs
honore losephl
WILheLMVs st. Verstato
patrones IbI
27. IvLy.

Oben die Textstelle als Fotokopie
In der Inschrift liegt ein Chronostichon. Die großen Ziffern sind römische Ziffern, aus deren Addition sich die Jahreszahl 1689 ergibt.
Am Marienhäuschen [Bild Nr. 15] unter der Friedhofslinde las ich nur die Jahreszahlen 1684 und darunter 1882.
Die verschiedene Gesteinsart des Ober- und Unterbaues lässt vermuten, dass der stark verwitterte Sockel des 1684 erbauten Bildstockes im Jahre 1882 durch einen neuen ersetzt wurde. Die Kanten der Wände, die eine Pieta einschließen, sind fast handbreit ausgehöhlt. An dem weichen Sandstein wetzten die Kinder ihre Sicheln, wenn sie zum Grünschnitt ins Feld zogen.
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Unter dem Bildnis des heiligen Antonius [Bild Nr. 16] steht in verwittertem Stein:
„In Honorem St. Antoni.“
Die übrigen Lettern sind von Regen und Schnee im Laufe der Zeit weggewaschen.
Die Schlussstation ist St. Franziskus Xaverius [Bild Nr. 17] geweiht.
Geschickte Steinmetzhände haben ein Gebet in den Unterbau hineingemeißelt.
Zu dir schick ich meinen Gruß,
dir in Demuth fall zu fus,
Franzisce, höre an mein Bittgeschrei,
in dem Leid mein Nothülf sey, Xaveri.
Anno 1753. den 30. Juny.
FG. F. HENSE. M. PILSTICKER. POSUER.
Durch die Jahrhunderte waren die vier Heiligenhäuschen Zeugen echter Glaubenstreue. Die Vorfahren hielten sich mit
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peinlicher Genauigkeit an die Vorschriften des Gelübdes. Vor allem der Lobetags-Samstag galt ihnen heilig. Sie fühlten sich zu ihrem Beten und strengem Fasten verpflichtet. Auch das Vieh musste den ganzen Tag hungern. Darum ist es wohl zu erklären, dass die Stille des Feiertages oft unterbrochen wurde, vom unwilligen Brüllen, Grunzen und Kläffen vielerlei Getiers.
Die Prozession am folgenden Sonntag verlief unter größter Beteiligung der Dorfeingesessenen. All denen, die sich mit ihnen blutsverwandt fühlten, war es eine Freude jedes Jahr zum großen Heimatfest zurückzukommen. Zahlreiche Geistliche aus der Umgegend halfen, den Gottesdienst hier ehrlicher zu gestalten. Ein Vorrecht der Mädchen war es, das Symbol Marias, duftende Lilien, im Festzuge zu tragen. In allen Gärten leuchteten zur Julizeit diese weißschimmernden Blüten mit ihrem betäubend schweren Duft. Acht Lobetagsjungfrauen trugen eine Madonnenstatue, deren kunstvolle Kleider mit Kriegsehrenzeichen tapferer Kämpfer schier besät waren. Leider hat eine spätere Generation, die wenig Sinn für Kunst und Heimaterbe hatte, die Muttergottesfigur mitsamt ihrem Schmuck gegen eine weniger wertvolle Holzstatur eingetauscht. Und wo ist sie alte geblieben? Niemand weit es.
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Ein Gruppenbild der Prozession aus früherer Zeit verdient besonders hervorgehoben zu werden. Die Schützenkompagnien führten in ihren Reihen die Figuren der Heiligen, die sie als Patron besonders verehrten. Die Landwirte folgten dem heiligen Antonius, die Handwerker dem heiligen Josef. Die geschnitzten Bildwerke waren geschmückt mit einer Kette aus Talern. Es war das Geschmeide des besten Schützen. Alljährlich reihte sich am Behang ein neuer Taler an, vom „König“ gestiftet. Und wenn einmal das Geld zur Deckung der Unkosten des Schützenfestes nicht reichte, bezahlte man die Schuld mit Talern des Königsschmuckes. So kam es, dass die silberne Zier der Heiligen in jedem Jahre verschieden war.
Der Morgen des Lobetages, ganz dem Gottesdienst geweiht, endete zumeist mit einem Essen. Wie hätte der Tag ein Fest sein können, wenn neben der Sache nicht auch der Leib zu seinem Recht gekommen wäre. Allerlei Düfte aus Küche und Keller verrieten in den Häusern der Reichen und Armen die Geheimnisse richtiger Köchinnen. Die Allerärmsten, bei denen das Geld zur Beschaffung eines besonderen Gerichtes fehlte, holten sich im Dunkeln vom reichen Nachbarn die Federn der Mastgans und warfen sie auf die eigene, an der Straße liegende Dungstätte. So hatte es wenigstens den Anschein, dass auch in diesem Hause ein Festmahl auf dem Tische stand.
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Fremde Prozessionsteilnehmer, die im Dorfe weder Verwandte noch Freunde hatten, konnten in jedem Hause an reich gedeckter Tafel ein gastliches Plätzchen erhalten. In manchen Familien fanden sich am Lobetag jahrzehntelang dieselben fremden Gäste ein.
Alter Bitte gemäß ließen die Erbsälzer an die zahlreich erschienenen geistlichen Herren Einladungen ergehen. Nach verbrieften Rechten nahmen an dem Erstmahle auch die Organisten und Küster der Dorfkirche und der früheren Pfarrkirche von Erwitte teil. Die Gastpflicht ging reihum. Jedes Jahr wurde sie in freigebiger Weist in einer der Sälzer-Familien erfüllt. Die nicht ortsansässigen Erbsälzer, Freiherr von Landsberg-Velen und Baron von Papen-Antfeld, gaben das Essen im Saale des Kurhauses. Als später die Bewirtung der Ehrengäste in das Pfarrhaus verlegt wurde, bestritten die Salzherren nur noch die Kosten.
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Durch drei Jahrhunderte hat sich die Lobetagsfeier alljährlich wiederholt. In guten Jahren und auch in schlechter Zeit hielt Westernkotten in Treue das Versprechen der Vorfahren. So ist es geblieben bis auf den heutigen Tag. Wir begehen die Feier am zweiten Juli oder am darauffolgenden Sonntag. Nach einer Woche fleißigen Tuns zur äußeren Verschönerung des Festes mahnen am Freitagnachmittag um drei Uhr Glockengeläute und donnernde Böllerschüsse, auch an die innere Vorbereitung zu denken. Bis in die späten Abendstunden scharen sich die Gläubigen um die Beichtstühle. Der Samstag gilt wie in früheren Jahren als Fast- und Bußtag, wahrt aber dabei doch hohen Festcharakter. Während die Erwachsenen streng zu den alten Geboten stehen und sich jeglicher Fleischspeise enthalten, sind Kinder von dieser Pflicht entbunden. Das Vieh, das früher mit den Menschen hatten, braucht heute nicht mehr zu hungern. Zu Bußandachten und Predigten sammelt sich Groß und Klein im Gotteshause [Bild Nr. 18, 19, 20], und jegliche Arbeit ruht.
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Die sonntägliche Gastfeier beginnt in aller Frühe. Um vier Uhr wecken Böllerschüsse, und die Glocken rufen zur ersten heiligen Messe. Ununterbrochen zieht ein Strom von Betern in die Kirche, zur Kommunionbank. Kein Einheimischer bleibt zurück. – Immer mehr Menschen sammeln sich auf dem Kirchplatze. Dicht schließen sich die Reihen.
Um sechs Uhr fallen wieder Schüsse. Das ist das Zeichen zum Beginn der Prozession. Ein Kreuz wird vorangetragen, Schulkinder folgen, und in bunter Reihe schließen sich Jungmädchen, rüstige Frauen und Greisinnen an.
Weißgekleidete Kinder geben als „Engelchen“ [Bild Nr. 21] einer Marienstatue das Geleite, die von „Muttergottesmädchen“ [Bild Nr. 22] auf den Schultern getragen wird. Dieses Ehrenamt wird nur sittsamem Benehmen und tugendhaftem Streben zum Lohne. In weißem Gewand, mit schwarzer Schürze, seidenem Umhang und feinem Spitzenhäubchen schreiten die Trägerinnen gebeugt unter ihrer teuren Last. Dann kommen wieder Engelchen. Sie streuen dem Allerheiligsten Blume. In endlosen Reihen folgen Männer und Jünglinge dem Sanktissimum. Straßen und Häuser sind festlich geschmückt.
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Durch Triumphbögen zieht die Prozession. Fahnen flattern. Vor unzähligen Hausaltärchen [Bild Nr. 23] schenken Blumen ihr duftendes Blühen dem Herrn, und weiße Herzen verzehren sich in warmer Glut zu seiner Ehre. Bis zum Dorfausgang haben Menschenhände den Weg des Herrn geschmückt. Dann zieht der Zug durch weite Felder. Wiesen und Äcker tragen in ihrer Fruchtbarkeit das große Gotteslob.
Zur Josefslinde [Bild Nr. 24] strebt die Schar der Gläubigen. Knorrig wurzelt der Baum im braunen Erdreich. Kraft von Jahrhunderten ließ aus dem mächtigen Stamme das große Blätterdach werden, unter dem sich klein und schmal das Heiligenhäuschen duckt. Wimpel wehen lustig im Wind. Girlanden zieren in weitem Bogen das Heiligtum, und über einen Blumenteppich bringt der Priester die goldene Monstranz in den steinernen Tabernakel. Dicht scharen sich die Menschenreihen um den kleinen Hügel. Aus Priestermund kommt laut und deutlich das Gelöbnis, das die Vorfahren im Lobetagsbriefe hinterlegt haben. In tiefer Ergriffenheit lauscht die Menge, und jeder sagt aus ganzem Herzen ein stilles „Ja“ zum neuen Treuschwur, bis zum Ende der Welt, so lange unserer Nachkömmlinge einige übrig sein werden!
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Wenn dann aus der Monstranz Gott seine Kinder segnet, beugen sich alle Kniee. Ehrfürchtig senken sich die Häupter, und in stummem Neigen salutieren die Fahnen.
Die Prozession zieht weiter durchs Feld, um reiche Ernte betend: „Alles kommt durch deinen Segen du gibst Sonnenschein und Regen, dass die Saaten froh gedeih‘ n. Reiche Ernten uns erfreu‘ n.“
Das nächste Ziel ist die Station an der Friedhofslinde. Eine Kanzel steht auf der Anhöhe im Schutze des Baumes. Bienen kreisen in den ersten warmen Sonnenstrahlen um die unzähligen duftenden Blüten. In das wundersam melodische Summen und Surren in heißer Luft tönen die Worte des Priesters. Sie sind ein Lobgesang auf die Himmelskönigin und wecken Mariengedanken[?] in allen Herzen. Nach dem sakramentalen Segen gedenken die Gläubigen in den Gebeten derer, die auf dem Gottesacker ruhen. Dumpf und schwer fallen Trauerweisen: „Miserere mei Deus secundum magnam misericordiam tuam.“
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Still wandert der Blick zu lieben Gräbern in den langen Reihen, und Lobetagsfriede senkt sich über Lebende und Tote, wenn leise der Schluss verhallt:
„Requiem aeternam dona eis, Domine,
et lux perpetua luceat eis.
Die Prozession setzt sich wieder in Bewegung. Lieder wechseln mit Gebeten. Nur kurz ist der Weg durch die Feldflur und bald grüßen am Dorfeingange Triumphbögen. Durch schmale Straßen zieht die Menge zur Antoniuslinde. Leise murmelt der Bach in den frommen Gesang:
„Sankt Antoni, hochgepriesen, große Ehr‘ hat dir erwiesen, Jesus, den man als ein Kind stets an deiner Seite find‘t.
Die Schlussstation ist an der Franziskuslinde. Auf Feldwegen gelangt der Zug der Beter dorthin, von einer vielköpfigen Schar bereits erwartet. Noch einmal segnet der Heiland aus der Monstranz die Gläubigen und wird dann vom Priester auf den Altar getragen, der für das Levitenamt [ Bild Nr. 25] auf dem angrenzenden Schützenplatze aufgeschlagen ist. Im Halbkreise stehen die Engelchen.
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Schulkinder bilden die zweite Reihe, umsäumt von den Großen. Den Altar umgeben die Fahnenabordnungen. Drei Priester schreiten zum heiligen Amt, und mit ihm betet das Volk: „Introibo ad altare dei.“
Deutsche Messgesänge umrahmen die Opferfeier. – Nach dem Schlusssegen ordnen sich die Reihen zum Rückzuge in die Kirche. In brausenden Akkord an jubelt die Orgel, und in frohem Dank fallen jauchzende Stimmen ein: „Te Deum laudamus.“
Das ist unser Lobetag. Schon die Kinder wachten mit dem Gedanken auf, dass dieses Fest unser größtes ist und dass uns das alte Gelübde zur Treue verpflichtet. Die alljährliche eindrucksvolle Gastfeier gibt unserem Glaubensleben nun Kraft. Sie lässt unsere Liebe zur Gottesmutter wärmer werden.
Immer mahnt uns der Marienaltar [Bild Nr. 25] unserer Kirche, ihr dankbar zu sein. Das holzgeschnitzte Altarbild zeigt die große Helferin: Maria. Schlank und groß ruht der Körper auf goldenem Fuß. In weiten Falten fließt von den schmalen Schultern das lichterte Gewand, durch einen
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Gürtel leicht geschürzt. Das Diadem auf dem feinen Frauenkopf mit dem mutterlieben Antlitz kündet heilige Hoheit, aber der gesenkte Blick Marias verrät, dass sie den Gram in Demut trägt. Ihre Hände breiten den blauen Mantel aus. Zwanzig Menschen suchen Schutz unter ihm. Mit angstgeprägten Händen und Augen voll starken Vertrauens erflehen sie bei ihrer Beschützerin Hilfe aus Not und Tod. In braunen Kleidern stehen die Ärmsten dichtgedrängt, die bleichen, abgehärmten Gesichter sind umrahmt von Spitzenhauben, unter denen die lockige Haarfülle haltlos hervorquillt.
Wer nicht in jeder Weise lesen kann, was die zwanzig beten, wird durch ein Schriftband zu Füßen des Bildes belehrt: „O MATER DUC TUOS WESTERNCOTTENSES.
Das Zepter in Marias Hand ist ein Zeichen ihrer Macht, und ihr liebvoller Blick besiegelt das Wort, das auf dem oberen Schriftband eingezeichnet ist:
DUCAM VOS WESTERNCOTTENSES.
Das Altarbild hat eine Holzeinfassung in reichgeschnitzten Blumenornamenten. Seine Entstehung ist jüngeren Datums. Die Art der Darstellung geht zurück auf ein altes Fahnenbild [Bild Nr. 27] das nur am Lobetag den
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Gläubigen gezeigt und voller Ehrfurcht in der Prozession getragen wird. Das Chronostichon auf den Schriftbändern nennt Anno 1720 als Ursprungsjahr der Fahne. Eine erstmalige Nachbildung, in Öl gemalt, schmückte lange Jahre den Chorbogen unserer Pfarrkirche, bis sie 1890 neuen Wandgemälden Platz machen musste und unter altem Kirchengerümpel verloren ging.
Meine Schilderung des Lobetages soll nun beendet sein. Den Fremden, die unseren Ort nicht kennen, will ich noch sagen: ich habe vom Feste so viel geschrieben und auch von den kleinsten Dingen treu berichtet, weil ich nichts Schöneres von der Heimat wusste; denn durch den Lobetag wurde das stille Dörfchen in weiten Kreisen bekannt.
Zum Schluss darf ich noch einmal rückwärts schauen. Ich ging mit Lust daran, die Schicksalswege meiner Heimat zu erforschen. Mit Stolz habe ich vom Einst und Jetzt erzählt. Und dem, der fragt, was mir die Arbeit nützte, soll offen Antwort sein: Jetzt weiß ich erst, was mir die Heimat ist, das Erbe unserer Väter ist mir heilig ob Wort, Tat oder Gut. Ich will in Treue ihre Wege gehen und allezeit ein Kind der Heimat sein.
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Quellenverzeichnis
- Bessen – Geschichte des Bistums Paderborn
- Erwitter Kirchenakten.
- Löns – der Werwolf
- Pieler, Oberbergrat – Rechtsgutachten betr. die Saline Westernkotten
- Seibertz – Landes- und Rechtsgeschichte des Herzogtums Westfalen
- Vüllers – Über die Entwicklung der zum ehemaligen Fürstentum Paderborn in Beziehungen gestandenen Salinen. (Westfälische Zeitschrift Band 591)
- Westfälisches Urkundenbuch II und II.
Ich versichere, dass ich die Arbeit selbständig angefertigt und außer den genannten Quellen keine anderen benutzt habe. Hedwig Probst.
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Verzeichnis der Bilder
- Auch dem Vorwort
- Im Muckenbruch
- Zehnthaus
- Zehntscheune
- Schrops Linde am Wall
- Dreihundertjährige Friedhofslinde
- letzte Göpelpumpe
- Bohrturm auf der Isernen Schute
- von Landsbergsche, Gradierwände
- Sudhaus 1 Leck-Hütte)
- Inneres eines Sudhauses.
- Beim Salzwiegen.
- St. Josefs-Heiligenhäuschen am Prozessionswege.
- St. Marien
- St. Antonius
- Sr. Franziskus Xaverius
- Nord-West-Ansicht
- Unsere Kirche
- Turmeingang
- Süd-Ansicht
- Engelchen in der Lobetagsprozession
- Lobetagsmädchen
- Hausaltärchen
- Beim Verlesen des Lobetagsbriefes an der Josefslinde
- Levitenamt auf dem Schützenplatze
- Marienaltar in unserer Kirche
- Alte Lobetagsfahne aus dem Jahre 1720










