1999: Werwolf in Westernkotten (Probst)

Ein Werwolf in Westernkotten

Aus dem Nachlaß von Wilhelm Probst, + 1957, Bad Westernkotten

[Erstabdruck: Probst, Wilhelm, Ein Werwolf in Westernkotten, in: Vertell mui watt, Ausgabe 70 (1999)]

Zwischen dem Bahnhof Westernkotten und Erwitte nach Weckinghausen zu hielten eines Tages drei Mäher ihre Mittagspause. Sie lagen im Schatten einer Kornrichte. Während zwei schliefen, rauchte der dritte sein Pfeifchen. Da sah er zu seiner Verwunderung, daß aus dem offenen Munde des einen ein Mäuschen schlüpfte. Es lief nach Weckinghausen zu und wurde immer größer und größer, riesengroß, bis es zuletzt so groß wie eine Kuh war. Aber jetzt hatte es die Gestalt eines Werwolfes, ja, es war ein Werwolf geworden. Vor Weckinghausen riß dieser eine Kuh in Stücke. Dann machte er Kehrt, wurde kleiner und immer kleiner, bis er zuletzt wieder nicht größer als ein Mäuschen war und im offenstehenden Munde des schlafenden Mähers verschwand.-

In Angstschweiß gebadet hatte der wachgebliebene Mäher das alles genau beobachtet. Schreckerfüllt blickte er den Kameraden an, in dessen Munde das Tier verschwunden war. Ob der wohl mit dem Werwolf ein Bündnis hatte, oder ob er selbst der Werwolf war?- Man erzählte doch, daß es Menschen gäbe, die sich in einen Wolf verwandeln könnten und dann den Mitmenschen Schaden zufügten. –

Mit einem solchen Arbeitskameraden wollte er nichts mehr zu tun haben. Eilig nahm er Sense und Wetzstein vom Boden auf und ging nach Westernkotten. Er schaute sich noch oft nach den Schläfern um. Doch es geschah nichts, was ihm neuen Schrecken hätte einjagen können. Er schwieg über das, was er erlebt hatte, wohl aus Angst, der Werwolf könne ihm ein Leid antun. Doch wenn in Zukunft vom Werwolf geredet wurde, dacher er mit Gruseln an sein Erlebnis. Die Leute redeten ja nur vom Hörensagen, er aber hatte eine Werwolf wahrhaftig gesehen.

Erst nach Jahren, als jener Schläfer schon unter den Pappeln des Erwitter Friedhofes den ewigen Schlaf schlief, erzählte er alles einem Schäfer, der auf jenem Stück, wo der Werwolf die Kuh zerrissen hatte, seine Schafe weidete. (Von einem alten Schäfer, Schäperhahns Onkel, erzählt; 31.1.1946).