1998: Chronogramme (Probst)

Chronogramme in Bad Westernkotten

Aus dem Nachlaß von Wilhelm Probst, + 1957, Bad Westernkotten

[Erstveröffentlichung: Probst, Wilhelm, Chronogramme in Bad Westernkotten, in: Vertell mui watt, Ausgabe 64 (1998)]

„Chronogramm? Brr! Ein Fremdwort, und sogar eins, unter dem ich mir gar nichts vorstellen kann. Da les‘ ich schon nicht weiter, wird mich doch nicht interessieren.“ – Halt, nicht so ablehnend. Nur etwas Geduld. Da will ich zuerst mal erklären, was das Wort Chronogramm heißt, was es bedeutet. Hast du vielleicht schon ein Wort gehört, das einen ähnlichen Klang hat? – Chronik, meinst du. Richtig. Was man damit meint, weißt du: Eine Niederschrift von Ereignissen nach ihrer Zeitfolge. Und Chronist nennt man den Schreiber der Chronik.- Ein anderes Wort: chronisch. Unter chronischer Krankheit versteht man eine schon lange Zeit anhaltende Krankheit. Noch ein Beispiel: Chronometer ist der Name für einen gutgehenden Zeitmesser, eine genaugehende Uhr.

Das mag genügen. Alle diese Wörter bedeuten etwas, was mit der Zeit zu tun hat. So ist es auch mit dem Wort Chronogramm. Es ist ein Zeitspruch, der meistens an alten Gebäuden oder Glocken usw. zu finden ist. Man meint damit eine Inschrift, in lateinischen Großbuchstaben, in der eine Jahreszahl, also eine Zeitangabe, enthalten ist.

Wie soll man das verstehen? – Einige lateinische Großbuchstaben sind auch eine römische Ziffer, I = 1; V oder U=5; X= 2 x 5=10; W = zwei mal V, also 10; L 0 50; c = 100; D = 500; M = 1000. Damit kommen wir schon aus im Chronogramm.

Alle römischen Ziffern, die in dem Zeitspruch ja Buchstaben sind, zählt man zusammen. Die erhaltene Summe nennt das Jahr, in dem sich die Begebenheit zugetragen hat, von welcher der Zeitspruch berichtet, das Jahr, in dem z.B. eine Kirche gebaut oder eine Glocke gegossen wurde.

In Westernkotten habe ich mehrere Chronogramme entdeckt. Über dem Turmportale unserer Kirche [Westportal des heutigen Kirchturms, Anm. d.Hg.] steht in Stein gemeißelt der Spruch: IN HONOREM DIVI JOHANNIS EVANGELISTE PATRONI WESTERKOTTENSES PIE EXTRUI FECERUNT. Das heißt: Zu Ehren des heiligen Evangelisten Johannes, des Kirchenpatrons, haben die Westernkötter diese Kirche in Demut errichtet.

Dieses Chronogramm sagt, wann das Gotteshaus gebaut wurde. Die Buchstaben, die eine römische Ziffer bedeuten sollen, sind bedeutend größer als die anderen. Das fällt sofort auf, und daran merkt man gleich, daß dies etwas zu bedeuten hat. Wenn du beim Zusammenzählen der römischen Ziffern die Zahl 1699 erhälst, hast du richtig gerechnet. – War das nicht interessant? Und hat sich das bißchen Nachdenken und Rechnen nicht gelohnt? Ich denke doch. –

Möchtest du noch mehr von solchen Chronogrammen hören? Es wird noch interessanter. Da haben wir auf unserem Marienaltare, dem Lobetagsaltare, eine Mantelmadonna mit zwei Inschriften und Spruchbändern. Unter der Madonna steht: O Mater duc tuos Westercottenses! Oben ist zu lesen: Ducam vos Westercottenses! Der untere Spruch enthält die Bitte der Westernkötter an die Gottesmutter und heißt: O Mutter, führe (=schütze) deine Westernkötter. Das war der Notschrei, als im Jahre 1635 alle Bewohner des Ortes bis auf wenige der Pest zum Opfer fielen: Der obenstehende Spruch heißt: Ich werde euch führen, Westernkötter. – Rehne mal schnell. Da haben wir sogar in zwei verschiedenen Sprüchen, also in zwei Chronogrammen, die gleiche Zahl, nämlich 1720. In diesem Jahr ist ein großes Mantelmadonnabild angefertigt worden, das früher den Altar unserer Kirche schmückte. Ich will noch erwähnen, daß auf diesem Bilde das obere Spruchband, das ja gleichsam die Antwort der Gottesmutter enthält. Der Madonna aus dem Mund kam, also die Erhörung der Bitte noch sinnfäliger andeuten sollte. Nach dem Muster des alten Bildes aus dem Jahre 1720 sind später die geschnitzte Madonnenfigur auf dem Lobetagsaltare und die Lobetagsfahne anfertigt. Die Chronogramme an dem heutigen Altare und in der Fahne nennen also das Entstehungsjahr des ersten uns bekannt gewordenen Lobetagsbildes. –

So einfach, wie es jetzt ist, aus einem Chronogramm die Jahreszahl zu finden, so schwer wird es früher gewiß manchmal gewesen sein, einen Spruch auszudenken, der den gewünschten Sinn und Inhalt hatte, aber auch in seinen Buchstaben die Ziffern enthielt, welche die Zeit angeben sollten, nicht mehr und nicht weniger solcher Buchstaben, als nötig waren. –

Über ein drittes Chronogramm kannst du in diesem Buche lesen in der Abhandlung über unsere Kirchenglocken [Hier wird deutlich, daß Probst wohl ein Buch für Schüler zusammenstellen wollte]. Ähnliche Zeitsprüche sind ganz gewiß in manchen Orten zu finden. Man muß nur danach suchen. Vielleicht hörst du auch einmal den Namen Chronistichon. Das ist ein Chronogramm in Versform.