1997: 100 Jahre Katholische öffentliche Bücherei in Bad Westernkotten:

von Wolfgang Marcus (Bad Westernkotten)

[Erstabdruck: Marcus, Wolfgang, 100 Jahre kath. öffentliche Bücherei in Bad Westernkotten; in: Vertell mui watt; Ausgaben 31-38 (1997)]

IEinleitung

Ein häufig übersehener, aber nicht unwichtiger Teil der Seelsorgearbeit einer Kirchengemeinde ist die Bereitstellung von guter Literatur. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, die mittlerweile mehr als 100jährige Geschichte der „Katholischen öffentlichen Bücherei“ der katholischen Pfarrgemeinde Bad Westernkotten nachzuzeichnen und in ihrer Bedeutung zu würdigen.

Leider stand das Pfarrarchiv wegen Umstruktrurierungarbeiten (noch) nicht zur Verfügung, und das Diözesanarchiv in Paderborn hat zum Thema auch keine Unterlagen.[i] Dankenswerterweise hat mir dann aber die Zentrale des Borromäusvereins in Bonn wichtige Informationen zukommen lassen, so vor allem eine Kopie der Archivkarte.[ii]

Dazu finden sich vereinzelt Mitteilungen in der Pfarrchronik, in der der jeweilige Pfarrer mehr oder weniger umfangreich die Geschehnisse eines Jahres festhielt. Ergänzend ist vor allem auf mündliche Hinweise älterer Bad Westernkötter und ehemaliger ehrenamtlicher Leiter der Bücherei zurückgegriffen worden.

IIAllgemeines zur Geschichte der katholischen Büchereiarbeit

Nach der Säkularisation von 1803 war die Kirche in Deutschland in ihrer wirtschaftlichen Situation auf das Tiefste erschüttert. Aber in der Kraft des Glaubens und angesichts des Versuchs des preußischen Staates, die Kirche als staatliche Anstalt zur Erziehung loyaler Untertanen im Sinne einer Staatskirche in engsten Grenzen verkümmern zu lassen, eroberte die Kirche ein Stück Öffentlichkeit nach dem anderen zurück.[iii]

Die Gründung eines katholischen Büchervereins vollzog sich im Jahre 1845, also noch drei Jahre vor der Versammlungs- und Vereinsfreiheit der 1848er Verfassungsartikel. Damit ist der Borromäusverein, wie er sich nannte, der älteste noch lebendige katholische Verein in Deutschland. Der Siegburger Landrat Max Freiherr von Loé dachte an einen Verein zur Förderung des katholischen Lebens in Deutschland, der sich u. a. dafür einsetzen sollte, Barmherzige Schwestern vom hl. Karl Borromäus aus Nancy in Lothringen zur Krankenpflege ins Rheinland zu holen.

Bei verschiedenen Vorgesprächen wurde der Vereinszweck auf die Verbreitung guter Literatur konzentriert, der Bezug zu den Borromäerinnen aber beibehalten. So kam der 1845 gegründete Verein zu seinem Namen „Borromäus-Verein“. Der Name ist aber von Anfang an auch als Programm angesehen worden, war doch Karl Borromäus[iv] jener Kirchenvertreter, der sich als erster mit vollem Einsatz nach dem Trienter Konzil für die Reform der Kirche eingesetzt hat und unter anderem eine breite religiöse Bildungsarbeit unter den Laien in die Wege leitete.

Ursprünglicher Vereinszweck war die Vermittlung guter, nicht ausschließlich religiöser Literatur zum Eigenbesitz. Der Zentralverein organisierte sich vor allem in örtlichen Vereinen und hatte schon im ersten Jahr großen Erfolg. Bereits 1846 wurde beschlossen, das durch die Vermittlung von Büchern an Privatleute erwirtschaftete Geld zur Begründung von Vereinsbibliotheken für Mitglieder zur Verfügung zu stellen.

Im Folgenden eine knappe Übersicht über die Entwicklung des Gesamtvereins bis zum Beginn der NS-Zeit:

JahrOrtsvereineMitgliederBibliothekenAusleihen
1845    96        9461  
18661370      51206 ca 1300 
18701471      54013 ca 1400 
18811266ca  36000  
19184553    386165      2453 6,7    Mio
19335021    187865      533310,37 Mio

In diesen Zahlen spiegeln sich nicht nur die schweren Auseinandersetzungen des Kulturkampfes in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts, sondern auch der rasche Bedeutungsanstieg zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Jahre 1900 wurden die Borromäusbüchereien zu allgemein zugänglichen Volksbüchereien und traten damit in eine immer wieder beargwöhnte Konkurrenz zu den kommunalen und sonstigen Volksbüchereien.

Mit dem Reichskulturkammergesetz von 22. September 1933 begann die Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten auf kulturellem Gebiet, dem Borromäusverein wurde der Öffentlichkeitscharakter abgesprochen, die Büchereien zu reinen „Pfarrbüchereien“ degradiert. Mit Erlass vom 18.4.1940 mussten schließlich von den Behörden alle nicht-religiösen Bücher entfernt werden. Insgesamt gingen im Deutschen Reich dadurch sowie durch Kriegsschäden 2,5 Millionen Bände verloren.

In der Nachkriegszeit verharrten die Büchereien, deren Trägerschaft bald nach 1945 vom Verein auf die Pfarreien überging, lange Zeit in dem Bestreben, die Zustände – auch etwa beim Buchbestand – von vor 1933 wiederherzustellen.  Erst allmählich wurden die „Katholischen öffentlichen Büchereien“ mit vielfältiger Literatur ausgestattet und offenbaren heute eine weitreichende weltanschauliche Offenheit. Neben dem Medium Buch sind in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend auch Cassetten mit Hörspielen usw. getreten.

Die nachfolgende Übersicht zeigt statistisch die Entwicklung des Gesamtvereins nach dem 2. Weltkrieg auf:

JahrOrtsvereineMitgliederBüchereienBände/MedienEntleihun-gen
1950401719499836063,3 Mio7.9 Mio
1960563234535963446,4 Mio12.0 Mio
1971408331592040158,8, Mio9,6 Mio
19823245386634371810,6 Mio13,0 Mio

III. Aus den Anfängen der „Borromäus-Bibliothek“ in Westernkotten

Die Gründung des Borromäusvereins in Westernkotten erfolgte im Jahre 1895. Dies geht eindeutig aus der oben genannten Archivkarte der Borromäusvereinszentrale in Bonn hervor: Danach zahlte der Westernkötter Verein im Jahre 1895 genau 60 Mark an Beitrag in die Gesamtvereinskasse! Ob damit schon gleichzeitig eine Bücherei eröffnet wurde, ist nicht eindeutig zu klären. Allerdings ist anzunehmen, dass dies zumindest wenig später erfolgte, denn annähernd 95 Prozent aller Borromäuszweigvereine dieser Zeit eröffneten wenig später eine eigene Bücherei.5

Damit fällt die Gründung des Borromäusvereins Westernkotten in die Zeit unmittelbar vor der Loslösung der Kapellengemeinde Westernkotten von der Mutterkirche in Erwitte, die 1902 wirksam wurde. Sie ist einer von vielen Bausteinen, die die Eigenständigkeit der Kapellengemeinde betonen konnte und sollte.

Mit ziemlicher Sicherheit befand sich die erste Bibliothek im Pastorat an der Aspenstraße 16 gegenüber der jetzigen Hofeinfahrt Jesse und der Herrengasse. Dieses Gebäude hatte die politische Gemeinde, die die Baupflicht für die Vikar- und Pfarrerwohnung hatte, im Jahre 1854 von dem Eigentümer Dr. Diekmann für 2700 Taler gekauft6, nachdem bereits seit 1832 eine Wohnung für den Vikar darin angemietet war.

Vikar in Westernkotten war damals der sehr rührige Heinrich Diemel, der von 1890 bis zum 21. September 1895 in der Kapellengemeinde tätig war und dessen Arbeit von Vikar Clemens Bernhard Becker fortgesetzt wurde.

Für das Jahr 1898 ist zum ersten Mal die Zahl der Mitglieder des Büchereivereins genannt, insgesamt waren es 44; davon zahlten 14 den Höchstbeitrag von 6 Mark pro Jahr, 25 zahlten 3 Mark und 5 zahlten 1,50 Mark, das ergab 166,50 Mark. Zum Vergleich die Zahlen des 1848 gegründeten Borromäusvereins in Erwitte für das Jahr 1898: Hier zahlten 7 Mitglieder 6 Mark, 2 Mitglieder 3 Mark und 64 Mitglieder 1,50 Mark, also insgesamt 73 Mitglieder, die 144 Mark Beitrag zahlten.

Die Mitgliedszahl in Westernkotten erreichte im Jahre 1900 einen ersten Höchststand mit 56 Mitgliedern und stieg erst mit dem Jahre 1908 auf über 60.

In der Pfarrchronik findet sich der erste Hinweis auf die Bücherei in den Ausführungen zum Jahre 1920. Dort heißt es: „Im August 1920 wurde die hies.Borromäusbibliothek nach dem Bonner Kartothek- System neu geordnet.“7

Für diese Jahre auch einige statistische Angaben für die Westernkötter Bücherei:

JahrBücherbestandAusleihenLeser
1909 368 942149
1913 5281800200
1924 6104300165
193211713050130

Franz Pütter8 erinnert sich, dass er in den 1920er Jahren als Schuljunge manchmal in der Bücherei im ersten Stock des alten Pastorats an der Aspenstraße war und dass Frau Maria Bals die Büchereileitung innehatte.

Der Borromäus-Verein hatte 1924 wieder nur noch 45 Mitglieder. Die Zahl ging bis 1933, dem letzten Jahr im alten Pastorat an der Aspenstraße, auf sogar auf 27 zurück.

IV. 1934- 1955: Die Bücherei im Pastorat neben der Kirche

Das alte Pastorat an der Aspenstraße 16 wurde im Oktober 1933 von der politischen Gemeinde an eine Familie A. Zälinger aus Steinheim für 10 000 Reichsmark verkauft. „Diese Familie zog ein am 16.7.1933.“ Bereits im Januar 1934 begannen die Umbauarbeiten in diesem ehemaligen Pfarrhaus, und für den Pfarrer und wahrscheinlich auch für die Bücherei wurde es zunehmend ungemütlich. „Am 1. Juli 1934 musste der Pffarrer ausziehen, obgleich der Neubau noch nicht bezugsfähig war. Das Inventar des Pfarrers wurde im Schulhause aufgespeichert. Der Haushalt musste zeitweilig eingestellt werden. Das Schwesternhaus wurde zugleich Pfarrhaus. Am 1. August 1934 konnte das neue Pastorat bezogen werden.“9.

Der Neubau, von dem hier die Rede ist, ist das Pfarrhaus, das an der Stelle des heutigen Johannes-Hauses (Pfarrzentrum) gestanden hat.

Die Pfarrbücherei muss noch im Jahre 1934 im Keller des neuen Pastorats eingerichtet worden sein; denn die oben schon erwähnte Archivkarte vermerkt für 1934 einen Mitgliedszuwachs von 27 auf 48 und immerhin 750 Ausleihen bei einem Buchbestand von 586 Exemplaren.

Wer in dieser Zeit die Bücherei geleitet hat, konnte nicht sicher ermittelt werden.

Folgende Zahlen vermitteln einen Eindruck von der Entwicklung der Bücherei in den ersten Jahren der NS-Herrschaft:

JahrBücherbestandAusleihenLeser
193557361547
193656844535
193758051045

In dieser Zeit versuchte der Staat, mit eigenen Büchereien den kirchlichen Büchereien den Rang abzulaufen. Etwa 1933/34 wurde auch in Westernkotten eine Volksbücherei eingerichtet. Sie befand sich in der 1914 errichteten Schule, heute evangelisches Paul-Gerhardt-Haus, im so genannten Wachtzimmer unten links. Von diesem Wachtzimmer aus wurde im ersten Weltkrieg das Kriegsgefangenlager in der gegenüber gelegenen alten Schule (heute Standort des Ehrenmals) bewacht.10 Über die Bedeutung dieser Einrichtung konnte bisher nicht viel in Erfahrung gebracht werden. Sie war aber wohl nicht besonders frequentiert. Im Protokoll der politischen Gemeinde vom 10.6.1943 heißt es nur: „Die Witwe Drüke soll die Führung der Bücherei für den erkrankten Robert Licht übernehmen.“11

Neuen Schwung erfuhr die Bücherei im Kellers des ehemaligen Pfarrhauses im Jahre 1938: Da Pfarrer Schreckenberg die Arbeit in der Pfarrei nicht mehr allein bewerkstelligen konnte, erhielt er Ostern 1938 einen sog. Cooperator in der Person des Neupriesters Clemens Brüggemann, der bis Juli 1940 segensreich in der Pfarrei wirkte.

Frau Gertrud Sievering geb. Niggenaber erinnert sich12: „Vikar Brüggemann kam oft zu uns auf den Schäferkamp. Und er war es dann auch, der mich – ich war damals 14 Jahre – ansprach, doch in der Bücherei mitzuhelfen. Ich habe die Arbeit gern getan, aber ich erinnere mich auch gut, dass ich zuhause oft einiges zu hören bekam, wenn ich sonntags – die Bücherei war immer nach dem Hochamt geöffnet – so manches Mal zu spät zum Essen kam, weil doch immer großer Andrang herrschte und das Einbinden usw. der Bücher viel Arbeit machte. Gut erinnern kann ich mich noch an einige häufig ausgeliehene Bücher, so an die drei Bände „Das Mädchen Elisabeth“, „Der Weg einer Frau“ und „Tage der Greisin“, ich glaube von einem Michael Becker geschrieben. Die handelten von einer Lehrerstochter, deren Bräutigam tödlich verunglückte und die dann einen Fabrikanten heiratete…

Nach dem Krieg habe ich dann das Amt der Büchereileiterin abgegeben und Walter Schütte, den späteren Pastor, noch ein wenig eingearbeitet.“-

In den Kriegsjahren schwankte die Zahl der Mitglieder des örtlichen Borromäusvereins zwischen 60 und 74, Zahlen über die Leser usw. liegen nicht vor.

Nach dem Krieg haben dann Walter Schütte – ein Bruder des heutigen Schreinermeisters Josef Schütte – Karl-Heinz Koch, Rudi Maier – ein Flüchtling, später Rektor einer Grundschule in Menden – sowie Gerd Altstadt – eine Geselle in der Schreinerei Schütte – sowie zeitweilig Gerd Laumanns – der spätere Franziskanerpater Cosmas – und später auch Maria Merschmann – später Frau Marcus, verwitwete Adämmer –  mitgearbeitet.13

Karl-Heinz Koch erinnert sich: „Die Bücherei im Keller des Pfarrhauses war zugleich auch der Raum, in dem Religionsunterricht abgehalten wurde. Pastor Becker, der 1942 die Leitung der Pfarrgemeinde übernahm, war gleich bei Amtsantritt mitgeteilt worden, dass er in der Schule nicht unterrichten dürfe, und deshalb hat er – auch über den Krieg hinaus – den Religionsunterricht unten im Pfarrhaus abgehalten. Ich kann mich noch gut an die dortigen Bänke erinnern, die wir sonntags vor Büchereiöffnung zu einer Art Theke aufstapelten. Übrigens haben in diesem Raum in den Kriegs- und Nachkriegsjahren auch die Heimabende der Jugendlichen stattgefunden. In einer Ecke des Raumes stand ein Stehpult, darin befanden sich die Unterlagen der Bücherei.

Ich erinnere mich noch an zahlreiche Bücher, die oft ausliehen wurden: „Der Hungerpastor“ und  „Der Heidevikar“ fallen mir ein, dann „Tom Sawyer“ von Mark Twain – das war aus der Volksbibliothek gekommen. Von Pater Spillmann gab es ein Buch „Ein Opfer des Beichtgeheimnisses“, darin wird ein Priester verurteilt, weil er das Beichtgeheimnis nicht preisgibt und so selbst in Verdacht gerät. „Der Warphof und das Sumpfmoor“ hieß ein Titel, und dann natürlich „Quo vadis“ von Sienkiewicz; ein Jugendroman, ich glaube von einem Weiser, „Das Licht der Berge“, aber auch „Erste heilige Beichte“ von Paul Holdt, Märchen von Andersen und den Gebrüdern Grimm sowie Bücher von Wilhelm Hünermann.

Als ich 1950 nach Bad Driburg ging, musste ich leider meine wirklich geliebte Büchereiarbeit aufgeben, nur in den Ferien fand ich hier und da noch Zeit. Ich kann mich erinnern, dass Frau Margret Gerling geb. Mergemeier, heute Schützenstraße, dann unter anderem in der Bücherei weitergearbeitet hat.“

Walter Schütte, heute Pfarrer in Ruhe: „Ich kann  mich erinnern, dass auch sehr viele Karl-May-Bücher, aber auch Berg- und Heimatromane, Krimis sowie religiöse Literatur ausgeliehen wurde. Die Mitglieder konnten aus einer Liste sog. Jahresgaben auswählen.14

Maria Marcus erinnert sich15: „Ich habe etwa 3 oder 4 Jahre zusammen mit Walter Schütte und Gertrud Niggenaber in der Bücherei gearbeitet, und zwar in den ersten Nachkriegsjahren. Ich erinnere mich unter anderem noch daran, dass alle Bücher rote Einbände hatten und wir uns zu Weihnachten ein Buch aus dem Bestand als Weihnachtsgeschenk aussuchen durften. Gern gelesene Bücher waren nach meiner Erinnerung „Die Letzte am Schafott“ von Gertrud von Le Fort und „Die Buddenbrooks“ von Thomas Mann.“ Und Frau Margret Gerling: „Der Büchereiraum war unten links im Keller. Pfarrer Becker kam nur hin und wieder in die Bücherei, die in der Ecke des mit Bänken ausgestatteten Kellers untergebracht war, ansonsten haben wir die Arbeit allein gemacht. Ich muß etwa 1949/50 dort mitgearbeitet haben und erinnere mich noch an einige ‘Stammgäste‘, die praktisch jeden Sonntag kamen und die Bücher regelrecht verschlangen.“16

Maria Peters17erinnert sich, dass sie nach dem Krieg zeitweilig  „beste Kundin“ war und besonders viele Bücher von Selma Lagerlöf ausgeliehen wurden.

Die schon mehrmals erwähnte Archivkarte macht statistische Aussagen über die Bücherei bis 1957:

JahrBücherbestandMitgliederAusleihenLeser
1946 915 ? 470 50
1947 547 703016120
1950 550 483670 90
1952 850 261500 50
1954 660 32  620 70
195511061152563166
195611271003401146
19571172 801719113

Für diese Zeit ist auch die Zahl der Büchereihelfer genannt: 1946 waren es vier, 1952 nur zwei und 1955 sogar mal fünf.

Besonders auffallend ist der Sprung beim Bücherbestand 1954 und 1955. Im Jahr 1955 wurde nämlich die Bücherei völlig überarbeitet und auch verlagert.

V.1955-1980: Die Bücherei im Elisabeth-Heim

Immer wieder haben verschiedene Vikare  neue Akzente für die Bücherei gesetzt. Ganz besonders ist hier der 1954/55 in Westernkotten tätige Anton Köster zu nennen. Er hatte am 1. Mai 1954 die Stelle des Vikars in Westernkotten angetreten und stammte aus Rösenbeck, Kreis Warburg. Er genoß in der Gemeinde großes Ansehen, und als er Anfang Dezember 1955 vom Erzbischöflichen Generalvikariat abgerufen wurde, bemühte sich die Pfarrei nachhaltig, aber letztlich erfolglos um sein Bleiben.

Ein Schwerpunkt der Arbeit von Vikar Köster war die Bücherei. Frau Albertine Lange erinnert sich: „Mein Mann Peter Lange, seit April 1952 an der Volksschule Westernkotten tätig, ist von Vikar Köster angesprochen worden, doch bei der Neueinrichtung der Bücherei behilflich zu sein. Die beiden sind dann unter anderem bei Wind und Wetter zu Fuß nach Lippstadt gegangen, um sich dort in der Josefspfarrei eine intakte Bücherei anzusehen. Ich erinnere mich auch an viele Bestelllisten, die mein Mann und Vikar Köster bearbeiteten.“18 Diese neuen Aktivitäten werden auch bestätigt durch eine Aussage von Trude Remmert, die sich erinnert, in dieser Zeit mit Frau Else Maßolle und einer Frau Schwarz zahlreiche Bücher neu eingebunden zu haben.19

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist die Bücherei von Vikar Köster und vielen Helfern nicht nur erneuert, sondern auch verlagert worden. Aus dem Elisabeth-Heim an der Aspenstraße war Anfang 1954 die Nähschwester abgezogen worden und konnte auch wegen Nachwuchsmangels im Orden nicht ersetzt werden. So stand die Nähstube, die durch die zweite Tür von der Aspenstraße aus zugänglich war, unbenutzt da, ein viel geeigneter Raum als ein nur von der Pfarrerwohnung aus erreichbarer Kellerraum des Pastorats.20

Die Bücherei ist dann von verschiedenen Leuten betreut worden, muss dann aber auch einige Jahre geschlossen gewesen sein.

Als Pfarrer Becker am 1. Oktober 1966 in den wohlverdienten Ruhestand trat, blieb er mit seiner Haushälterin im Pastorat an der Kirche wohnen. Sein Nachfolger Norbert Gersmann wurde am 1. Adventssonntag 1966 eingeführt und zog in das seit 1962 von den Schwestern verlassene Elisabethheim über der Bücherei ein. Dann heißt es in der Pfarrchronik:„Am 1. Juli 1967 trat Frau Maria Loges den Dienst als Seelsorgehelferin und Küsterin an. Ihr wurde im Elisabethheim ein Pfarrbüro eingerichtet. Auch die Bibliothek wurde von ihr unter Mithilfe von Herrn Lehrer Lange neu geordnet und nach mehrjähriger Schließung wiedereröffnet.“21 Zur Neueröffnung heißt es dann: „Am 24. März 1968 wurde im Elisabeth-Heim die lange geschlossene Borromäus-Bücherei – völlig erneuert und ausgestattet mit 1000 Bänden – wieder eröffnet.“22

VI. Ab 1981: Die „Katholische öffentliche Bücherei“ im Johannes-Haus (Pfarrzentrum)

Knapp 25 Jahre war die katholische öffentliche Bücherei im Elisabethheim untergebracht. Dann musste sie erneut umziehen, und zwar an ihren jetzigen Standort im Pfarrzentrum/Johanneshaus. Dazu heißt es in der Pfarrchronik:

„Am Sonntag, dem 7. Februar 1981 wurde im Pfarrzentrum, das jetzt Johanneshaus heißt, die neue katholische, öffentliche Bücherei eröffnet. Da das Elisabethheim, in dem sich die Bücherei bisher befand, …verkauft worden ist, musste auch die Bücherei verlegt werden. Das Elisabethheim gehört seit dem 1. April der Familie Radtke.“23

Die Initiative zur Wiedereröffnung hatte die heutige Kindergartenleiterin, Frau Hildegard Petter, ergriffen. Bis 1987 wurde dann die Bücherei von Frau Waltraud Klein geführt. Danach gab sie die Büchereileitung aus familiären Gründen an Dirk Spiekermann ab. Seit Ende 1988 leitete Markus Hoppe, unterstützt von Dirk Spiekermann und Tobias Wolf, die Bücherei. Die kath. öffentliche Bücherei hatte 1990 ca 300 Mitglieder, davon waren zwei Drittel Kinder und Jugendliche. Sie hatte 1990 2078 Medien, 2014 Bücher und 64 Cassetten.24

Nachdem Pfarrer Heinz Müller am 1.2.1996 seinen Dienst in der kath. Pfarrei in Bad Westernkotten angetreten hatte, kümmerte er sich auch um die Wiederbelebung des Büchereigedankens. Die Pfarrchronik vermerkt:

„18.8.1996: Nach gründlicher Überholung wird die kath. Pfarrbücherei nach mehrwöchiger Schließung wieder eröffnet. Mehr als 300 Bücher hat das EGV neu angeschafft. Zum Büchereiteam gehören Hildegard Petter, Hildegard Plümpe sowie Ludmilla und Olecia Meyer.“25 Und im Patriot war dazu zu lesen: „Ob Spannendes, Gruseliges oder Abenteuerliches – fast 1000 Bände stehen jetzt alles in allem für die Sechs- bis Vierzehnjährigen bereit.“26

Im März 1997 wurde der „Katholischen öffentlichen Bücherei“ der Pfarrei Sankt Johannes Evangelist Bad Westernkotten aus Anlass des 100jährigen Bestehens im Jahre 1995 eine Ehrenurkunde des Borromäusvereins verliehen.27

VII.: Rückblick und Ausblick: Zukunft der Büchereien- Büchereien der Zukunft

Öffentliche Büchereien sind keine Selbstverständlichkeit. Das zeigt schon die – trotz des 100jährigen Bestehens – kurze Zeit der Existenz einer kirchlichen Bücherei in Bad Westernkotten. Das zeigt aber auch etwa die Schließung der öffentlichen Bücherei der Stadt Erwitte im Jahre 1996, letztlich aus Gründen knapper Finanzmittel.

Umso erfreulicher ist es, dass sich die Katholische öffentliche Bücherei Bad Westernkotten bis heute einer regen Nachfrage erfreut. Und das durchaus angesichts reger Konkurrenz, vor allem des Bücherbusses:

„Der Altkreis Lippstadt schaffte 1974 – wie schon 9 Jahre vorher der damalige Kreis Soest – einen Bücherbus an. Seitdem die beiden Kreise 1975 zusammengelegt wurden, unterhält der neue Kreis Soest ebenfalls einen Bücherbus, der in regelmäßigen Abständen auch Bad Westernkotten ansteuert.  Ende 1988 besaß diese Kreisfahrbücherei fast 74000 Bücher, Kassetten und Zeitschriften zur Ausleihe.“28

Die Bad Westernkötter katholische öffentliche Bücherei wird auch im Informationszeitalter des ausgehenden 20. Jahrhunderts ihren Platz haben, vor allem, wenn es gelingt, sie noch mehr ins Bewusstsein der Gemeinde zu heben und als wichtigen Teil der pastoralen Arbeit anzusehen.

10 Argumente für die Katholische öffentliche Bücherei, zusammengestellt von der Arbeitsstelle der Kath. Büchereiarbeit ca. 1990, möchte ich abschließend zitieren:

  • 1. Die Bücherei – offen für die zentralen Fragen des Lebens.
  • 2. Die Bücherei – damit das Wort lebendig bleibt.
  • 3. Die Bücherei – Ort der Begegnung in der Gemeinde.
  • 4. Die Bücherei – Beitrag zum Bildungsauftrag der Kirche.
  • 5. Die Bücherei – Angebot zur sinnvollen Freizeitgestaltung.
  • 6. Die Bücherei – mehr als nur Bücher.
  • 7. Die Bücherei – Partner für die Gemeindearbeit.
  • 8. Die Bücherei – Hilfe in Lebenskrisen.
  • 9. Die Bücherei – Nahtstelle zur Kultur unserer Zeit.
  • 10. Die Bücherei – ein Stück Chancengleichheit.

Abbildungen:

  • 1. Erstes Pastorat an der Aspenstraße 16, zugleich erste Heimat der Westernkötter „Borromäus-Bibliothek“
  • 2. Im 1934 errichteten zweiten Pastorat wohnten die Pfarrer Schreckenberg und Becker. Im Keller war bis 1955 die Bücherei untergebracht
  • 3. Das Elisabeth-Heim. Hier war die Bücherei von 1955 bis 1980 untergebracht
  • 4. Die heutige Bücherei im Johannes-Haus
  • 5. Ehrenurkunde aus Anlass des 100jährigen Bestehens

1vgl. Brief des Bistumsarchivs vom 20.2.97 an den Verfasser

2in einem Brief an den Verf. vom 10.3.1997

3 vgl. hierzu und zum folgenden die Aufsätze von Norbert Trippen „150 Jahre katholische Bücherei“ und Hans Meier „Lese-Zeichen: 150 Jahre Borromäusverein“; in: Trippen, N./Patenge, Horst (Hg.), Bausteine für eine lesende Kirche. Borromäusverein und katholische Büchereiarbeit, Mainz 1996; sodann: Hedwig Bach „Karl Borromäus. Leitbild für die Reform der Kirche nach dem Konzil von Trient, Köln 1984, darin besonders das Kapitel: Der Borromäusverein und seine Geschichte.

4 Karl Borromäus (Carlo Borromeo, geb. 2.10.1538 in Arona (Novara), gest.3.11.1584 in Mailand; italien. Theologe; bemüht um die vom Konzil von Trient eingeleiteten Reformen. Fest: 4.11.

5 Trotz der verhältnismäßig frühen Gründung war die kath. Borromäus-Bücherei wohl nicht die erste Bibliothek in Westernkotten. Hans-D. Tönsmeyer berichtet in der Schulgeschichte im Heimatbuch von 1987 auf Seite 336 davon, dass bereits in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts Schulvrsäumnisstrafen verhängt wurden. „Diese Einnahmen waren zweckgebunden und wurden zur Beschaffung von Lehrgegenständen und zur Anlage und Unterhaltung der Schülerbibliothek verwendet.“

6 vgl. Hans-D. Tönsmeier im Heimatbuch von 1987, S. 332

7Pfarrchronik Band I, Angaben für 1920

8 in einem Gespräch mit dem Verf. am 24.3.1997

9 Pfarrchronik Band I, S. 17

10 mündliche Aussage von Karl-Heinz Koch vom 15.3.97

11 zitiert nach: Heimatbuch von 1987, aaO, S. 230; Karl-Heinz Koch erinnert sich, dass diese Volksbücherei nach dem 2. Weltkrieg aufgelöst wurde. Den Buchbestand übereignete man der kirchlichen Bücherei. Bei der Übernahme wurden der Buchbestand genaustens gesichtet und vor allem Literatur mit Nazi-Propaganda entfernt; wie Anm.10

12 in einem Gespräch mit dem Verf. am 15.3.97

13 Mitteilung von Karl-Heinz Koch vom 15.3.97

14 in einem Gespräch am 23.3.97

15 in einem Gespräch mit dem Verf. am 22.3.97

16 Telefonat am 23.3.1997

17 in einem Gespräch mit dem Verf. am 11.12.96 und am 15.3.97

18 Telefonat mit dem Verf. am 24.3.97

19 in einem Telefonat mit dem Verf. am 15.3.97

20 Dieses zweite Pastorat der Kirchengemeinde – auch die zweite Heimat unserer Bücherei – in dem Pfarrer i.R. Friedrich Becker mit seiner Haushälterin bis zu seinem Tod am 4.1.1974 wohnte,  wurde übrigens  1974 abgerissen, weil an seine Stelle das heutige Pfarrzentrum Johannes-Haus errichtet werden sollte.

21 Pfarrchronik, Band 1,  S.45]

22 Heimatbuch v. 1987, aaO, S.312

23 Pfarrchronik, Band II

24 vgl.: Wir schauen uns um. Heimatkundliche Arbeitsmappe nicht nur für Kinder, Bad Westernkotten 1991, Seite 116

25 Pfarrchronik , Band II, Seite 102

26 Patriot v. 17.8.1996

27 vgl. Patriot vom 21.3.97

28Unser Kreis Soest. Ein Sachbuch für die Grundschule, Soest 1990, Seite 188