1997: Wiedenbrücker Meister Anton Mormann fertigte Altarbilder in Bad Westernkotten

von Wolfgang Marcus, Bad Westernkotten

[aus: Heimatblätter Lippstadt 1997, S. 49f.]

I. Einführung

Die katholische Pfarrkirche Sankt Johannes/Evangelist besitzt u.a. drei wertvolle Altäre, den Hochaltar, einen Schutzmantelmuttergottesaltar oder Lobetagsaltar und einen Johannesaltar, die alle vor etwa 100 Jahren von „Wiedenbrücker Meistern“ gefertigt wurden. Nähere Angaben  über diese Meister fehlten bisher.

Nun erhielt ich von einer Kollegin den Hinweis, dass das Museum Abtei Liesborn den Nachlaß des Wiedenbrücker Meisters Anton Mormann (1851 -1940) erhalten habe. Erste Vermutungen verdichteten sich, dass Anton Mormann der Bildhauer der Altarbilder und Reliefe der Seitenaltäre sein könnte. Ich schickte dem Museum Fotos der Altäre, und der Museumsleiter, Dr. Bennie Priddy, antwortete unter dem 11.2.1997: „Es gab viele Bildhauerwerkstätten in Wiedenbrück, und deshalb war ich nicht so sicher, ob wir etwas finden könnten. Wir haben allerdings Erfolg gehabt. Die Arbeiten stammen eindeutig von Anton Mormann (1851-1940). Anton Mormann hat fast alle seine Objekte fotografiert, und ich habe die drei beigefügten fotokopierten Fotos gefunden, die eindeutig aus den Wandtafeln bzw. aus dem Altar in Westernkotten stammen. Die Fotos sind Fotos von Gipsmodellen, wonach die fertigen Kunstwerke gemacht wurden.“

Die auf den drei genannten Fotos zu sehenden Reliefs sind identisch mit den Reliefs der beiden o.g. Seitenaltäre und dem Relief von der Geburt Jesu links im Hochaltar.

Dem Schreiben von Dr. Priddie waren zusätzlich drei Kopien aus dem  Rechnungsbuch  bzw. von Angeboten von Mormann beigefügt.

Die gesamten „kunsthandwerklichen Verbindungen“ von Westernkotten nach Wiedenbrück  können zur Zeit noch nicht vollständig geklärt werden: Der Nachlaß Mormann ist noch nicht exakt geordnet und gesichtet, und das Pfarrarchiv Bad Westernkotten steht erst Ende des Jahres nach erfolgter Neuordnung wieder zur Verfügung. Dennoch sollen die bisherigen Erkenntnisse schon einmal zusammengefaßt werden. Doch zuvor möchte ich einige grundlegende Ausführungen zur „Wiedenbrücker Schule“ machen.

II. Grundlegendes zur „Wiedenbrücker Schule“ und den Wiedenbrücker Meistern

1854 machte sich der 1827 in Wiedenbrück geborene Franz Anton Goldkuhle in seiner Heimatstadt als Kunsttischler selbständig und spezialisierte sich auf kirchliche Inneneinrichtungen.1 Goldkuhle, der 1863/64 den Hochaltar in der Franziskanerkirche in Wiedenbrück fertigte, bekam zu bekannten Kirchenbaumeistern Kontakt, die seine Arbeiten schätzten und ihm neue Aufträge zukommen ließen. Schon 1865 waren in seiner Werkstatt 25 Mitarbeiter beschäftigt.

Franz Anton Goldkuhle zog weitere Kunsthandwerker nach Wiedenbrück. In seiner Werkstatt erhielten unter anderem Theodor Brockhinke, Christoph Siege und auch der für Bad Westernkotten bedeutsame Anton Mormann ihre Ausbildung, die sich alle später in Wiedenbrück selbständig machten. Weitere selbständige Werkstätten kamen hinzu und nutzten den guten Namen, den sich Wiedenbrück schon bald in einschlägigen Kreisen erworben hatte, so Altarbauer wie Anton Becker, Bernhard Diedrichs und Heinrich Schweppenstedde sowie Bildhauer, Maler und Ornamentiker wie Heinrich Hartmann oder Johannes Grewe.

Die Anforderungen des schnell größer werdenden Kundenkreises machten Spezialisierungen nötig, auch unter dem Gesichtspunkt einer nicht nur kunsthandwerklichen Erledigung eines vorgegebenen Auftrages, sondern einer künstlerischen Gestaltung. So wurden die Aufträge untereinander „gesplittet“, eine Altarbauwerkstatt errichtete zum Beispiel den ganzen Altarkorpus und gab dann die Ausführung der Skulpturen und Reliefs sowie die Polychromierung an eine andere Werkstatt weiter. Diese manufakturähnliche Arbeitsweise führte anscheinend nicht zu einer Rangordnung unter den Werkstätten; sie förderte aber eine künstlerische Vielfalt, Kreativität und Variationsmöglichkeit, die bald Kundenaufträge auch aus Übersee nach sich zogen.

Dennoch waren die Wiedenbrücker Meister, die dem Historismus, besonders den Stilausprägungen Neugotik und Neuromantik zuzuordnen sind, bemüht, eine umfassende Einheitlichkeit zu erreichen und den Rahmen der künstlerischen Freiheit nicht zu überschreiten. Ausdruck dieses Bemühens war die Einrichtung einer eigenen Schule Ende des 19. Jahrhunderts, die aber wie weite Teile des gesamten Wiedenbrücker Kunsthandwerkes nach dem 1. Weltkrieg nicht wieder auflebte.

III. Die Wiedenbrücker Meister und ihre Beziehungen nach Westernkotten

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verstärkten sich die Bemühungen der Westernkötter Kapellengemeinde nach kirchlicher Selbständigkeit und Loslösung von der Erwitter Mutterkirche. Bedeutsam für die Gemeinde war es, dass unter dem Erwitter Pfarrer Dr. Xaver Schulte, dem späteren Generalvikar des Bistums Paderborn,  1882/83 die Kapelle nach Osten um ein Joch und die Apsis erweitert wurde. Ein Kreuzgewölbe ersetzte das bisherige hölzerne Tonnengewölbe, Anbauten südlich und nördlich des Turmes kamen hinzu. Die Einsegnung der neugestalteten Kirche erfolgte am 17.12.1883.

Diese gewaltigen Umbauten haben dann auch eine Neugestaltung der Inneneinrichtung nötig gemacht.

Als erstes hat man sich um einen neuen Hochaltar bemüht. Vermutlich durch Vermittlung der Wiedenbrücker und Rietberger Franziskaner-Patres, die alljährlich zum Lobetagsfest nach Westernkotten kamen, sind Pfarrer Schulte und der damalige Westernkötter Vikar Anton Fischer an die Wiedenbrücker Meister gekommen.

Der Auftrag für den Hochaltar scheint Ende 1883/Anfang 1884 an den noch jungen Betrieb Anton Mormann (Betriebsgründung: 1882) gegangen zu sein; denn das von Dr. Priddie gefundene Foto eines Gipsmodells aus der Werkstatt Mormann, das die Geburt Jesu zeigt, stimmt genau mit dem linken Relief aus dem heutigen Hochaltar überein. Ob Mormann auch den Altar selbst gefertigt hat oder diesen Auftrag an eine andere Werkstatt weitergab, konnte bisher nicht ermittelt werden.

Um die Kosten für einen neuen Hochaltar aufzubringen, veranstaltete die Gemeinde am 7. Februar 1884 einen Opfergang um den Altar, der 603,40 Mark aufbrachte. Die Kollektengelder in der zweiten Messe hatten von Oktober 1884 bis einschließlich Mai 1885 insgesamt 433,10 Mark aufgebracht. Auch diese Gelder wurden für die Anschaffung des neuen Hochaltares verwandt. Der neue Hochaltar wurde am Weihnachtsfest 1884 aufgestellt.2 Drei Reliefe, die Geburt Jesu, die Kreuzigung und die Auferstehung, reihen sich um den Mittelpunkt, den Tabernakelbereich. Über den Reliefen auf den Altarspitzen drei Figuren, in der Mitte Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm, links der Kirchenpatron Johannes der Evangelist mit Kelch, rechts ebenfalls eine männliche Person, (noch) nicht exakt identifiziert. Unter dem Relief links ist in das Altarholz das Spruchband „Parvulus natus est nobis; Isai 9,6″ (Ein Kind ist uns geboren) eingearbeitet, rechts finden sich die Worte „Erat Jonas in ventre piscis; Jona 2,1″ ( Drei Tage war Jona im Bauch des Fisches; eine Anspielung auf Tod und Auferstehung Jesu!)

Gleichzeitig mit dem Hochaltar erhielt die Kapelle Weihnachten 1884 einen neuen Kreuzweg, den Dechant Stratmann aus Horn zusammen mit dem neuen Hochaltar weihte.3

Unter dem neuen Vikar Heinrich Diemel, dem am 3. Februar 1890 die Vikarie Westernkotten übertragen worden war, ging die Neugestaltung der Innenausstattung weiter. Dabei wurden immer wieder auch Wiedenbrücker Meister bauftragt.

Für den Hochaltar bestellte die Gemeinde 1891 einen steinernen Altartisch.3a Das  Rechnungsbuch von Mormann weist folgende Beträge aus:

4. Dez.1891: Altartisch Stein 600 Mark

Aufstellen desselben 2 Männer

à fünf Tage à 3 Mark 50                                       35 Mark

von Gehülfen in Rechnung gebrachte

Auslagen für Reise-Kostgeld und

Kistenhintransport                                                              23,40 Mark

658,40 Mark

Am 23. Dezember lieferte Mormann nach seinem Rechnungsbuch (Seite 20) noch „Figuren zum Hochaltare an Schwep“ für 925 Mark. Es ist zu vermuten, dass damit der Hochaltar, der 1884 noch nicht ganz vollständig war, komplettiert wurde. Die Abkürzung „Schwep“ könnte für Heinrich Schweppenstedde“ stehen, der ab 1889 in Wiedenbrück eine eigene Werkstatt als Altarbauer und Ornamentiker unterhielt und nach diesem Hinweis der Künstler der Figuren auf der Spitze des Altares wäre.

Nachdem 1891 die Kirchenbänke von hiesigen Handwerksmeistern gefertigt und 1892 drei Hochaltarfenster angebracht und eine Kommunionbank vom Schlosser Flithoff aus Münster aufgestellt worden waren4 , ging es 1892 an die Aufstellung einer Kanzel. Diese wurde vom Wiedenbrücker Altarbauer und Ornamentiker Heinrich Schweppenstedde, der sich – wie oben bereits gesagt – erst 1889 selbständig gemacht hatte, geliefert und am 26. Juni 1893 aufgestellt.

Am 18. März 1894 kam das Generalvikariat in Paderborn dem Streben der Westernkötter nach Eigenständigkeit weiter entgegen, es erlaubte die Taufe von Kindern in der hiesigen Kapelle. So mußte ein neuer Taufstein her, der nicht aus Wiedenbrück, sondern vom Marmorwerk Allagen bestellt und am 22. April 1894 zum ersten Mal benutzt wurde.

Im Juni 1894 malte der Wiedenbrücker Meister Gerorg Goldkuhle das Herz-Jesu-Bild, das heute in der Seitenkapelle der neuen Pfarrkirche hängt. Unten rechts sind der Name des Künstlers und das Anfertigungsjahr zu lesen.

Am 21. September 1895 verließ Vikar Diemel Westernkotten. Unter seinem Nachfolger Clemens Bernhard Becker machte die Einrichtung der Kirche weitere Fortschritte. Dabei waren es wieder Werke von Wiedenbrücker Künstlern, die besondere Akzente setzten. Besonders das Jahr 1898 hat wesentliche Fortschritte für die Inneneinrichtung gebracht.

Als erstes ist der Muttergottesaltar zu nennen. Nach den Angebotsbüchern  von Mormann hat die Werkstatt Mormann das Relief geschnitzt, die Polychromie besorgte Goldkuhle, und den Altar selber fertigte wahrscheinlich Schweppenstedde. Der Altar wurde am 8. Januar 1898 errichtet und kostete 1200 Mark (Altar: 600, Marienrelief 500, Polychromie: 100 Mark).

Bereits am 1. August 1898 wurde der von den gleichen Künstlern gefertigte Altar des hl. Johannes, des Kirchenpatrons, aufgestellt. 9 aus Westernkotten stammende Lehrerinnen hatten ihn gestiftet.

1898 brachte für die alte Westernkötter Kirche aber noch weitere Neuerungen: die Orgelbühne und einen Holzfußboden unter den Kirchenbänken, von den Firmen Schäfermeier, Hense und Neite aus Westernkotten geliefert, sowie einen Zementplattenfußboden, im Juli durch die Firma Redder verlegt.

Noch ein letztes Mal ist dann wohl ein Wiedenbrücker Künstler beauftragt worden, und zwar für zunächst einen Beichtstühle für 425 Mark, im November 1899 aufgestellt.

So bot das Innere unserer alten – 1976 leider abgerissenen – Kirche im Jahre 1902, als die kath. Kapellengemeinde Westernkotten endlich selbständig und eigenständige Pfarrei wurde, ein weithin abgerundetes Bild und vermittelte eine religiöse Geborgenheit, die vielen älteren Bad Westernköttern noch in guter Erinnerung ist. Es ist erfreulich, dass die meisten der schönen Kunstwerke der alten Wiedenbrücker Meister auch wieder Platz in der neuen, 1976 errichteten Kirche gefunden haben, liebevoll restauriert von den Günner Künstlern Michael und Christof Winkelmann aus Möhnesee-Günne.4

Abbildungen/Bildunterschriften:

  • 1. Anton Mormann (1851-1940), der Bildhauer der Reliefe in den Altären in der Bad Westernkötter Pfarrkirche (Bildnachweis: vgl. Fußnote 1)
  • 2. Blick in die Werkstatt Mormann (Bildnachweis: vgl. Fußnote 1)
  • 3. Linkes Relief des Hochaltares: Geburt Christi
  • 4. Mittleres Relief des Hochaltares: Kreuzigung Jesu
  • 5. Rechtes Relief des Hochaltares: Auferstehung
  • 6. Schutzmantelmuttergottes oder Lobetagsaltar
  • 7. Detail aus dem Relief des Johannes-Altares

1 Diese und die folgenden Angaben sind dem sehr lesens- und betrachtenswerten Buch „Wiedenbrücker Meister“ von Benedikt Große Hovest und Maria Heinrich entnommen, dass 1991 im Bonifatius-Verlag Paderborn erschien.

2 Die angegebenen Daten sind – soweit nicht anders vermerkt – den Bad Westernkötter Heimatbüchern von 1958 (besonders die Seiten 110-114) und 1987 (Seiten 294/295) entnommen.

3 Auch für die Laurentius-Kirche in Erwitte sind in den folgenden Jahren Wiedenbrücker Meister tätig gewesen, so ebenfalls Anton Mormann sowie Theodor Brockhinke; vgl. Große Hovest/Heinrich, aaO. S. 41,70-72 und 123. Der oben erwähnte Kreuzweg hat wahrscheinlich bis ca. 1963 in der alten Westernkötter Pfarrkirche gehangen, dann ist der bis heute existierende unter Vikar Stemmermann an seine Stelle getreten. Ich kann mich erinnern, dass die alten Kreuzwegbilder, ca 40 x 60 cm große, bemalte dünne Metalltafeln,  bis etwa 1965 im ehemaligen Kindergartengebäude in einem Anbau untergestellt waren und dann „entsorgt“ wurden.

3a Nach Auskunft von Pfarrer in Ruhe Norbert Gersmann vom 1.3.97 bestand dieser steinerne Altar aus einer durchgängigen Altarplatte mit einer kleineren Vorplatte in der Mitte; beide ruhten auf einem gemauerten Unterbau, der durch dunkle Säulen gegliedert war. Altarplatte und Unterbau sind beim Abriß der Pfarrkirche 1976 nicht erhalten geblieben, die sog. Vorplatte ist 1981 ins neue Pfarrhaus auf die Terasse gekommen.

4 Die eine Hälfte dieser alten Kommunionbank wurde vom hiesigen Schlossermeister Franz Wenner überarbeitet und befindet sich heute im kath. Pfarrhaus, wo sie als Balkongeländer dient. Die andere Hälfte wurde ca. 1965 leider „entsorgt“;mdl. Mitteilung von Pfarrer i.R. Norbert Gersmann am 1.3.1997

4a  Ein kurzer, anschaulicher Führer einschl. Lageplan durch die Bad Westernkötter Pfarrkirche Sankt Johannes/Evanglist findet sich in der Broschüre „Bad Westernkotten. Historischer Rundgang“, 1996 vom Westfälischen Heimatbund als Band 81 der Reihe „Westfälische Kunststätten“ herausgegeben.